Katzen, ein Junge und ein Goblin

Kinderbuch | Lafcadio Hearn / Anita Kreituse: Der Junge, der Katzen malte

Nicht alle Menschen sind für die Arbeit als Bauer geschaffen. Manche sind zum Maler geboren, manche auch dann noch mit nur einem Motiv. Wie der kleine Junge, der obsessiv immer nur Katzen malte. Was ihm dann einmal das Leben rettete. Von GEORG PATZER

Das Bild zeigt einen kleinen Jungen udn eine überlebensgroße blaue KatzeEs war einmal eine arme Bauernfamilie mit vielen Kindern, die alle mitarbeiten mussten, um überleben zu können. Nur das jüngste Kind, ein kleiner Junge, scheint nicht für harte Arbeit geeignet zu sein, dafür ist er sehr klug. Die Eltern wollen ihn zu einem Priester geben, damit der Junge bei ihm lernt. Der ist nach einer Prüfung des Kleinen einverstanden und unterrichtet ihn, zunächst als Altardiener. Der Junge lernt schnell, auffällig ist allerdings, dass er ständig und überall Katzen malt: »Er malte sie an den Rand der Bücher des Priesters und auf alle Wandschirme des Tempels und auf die Wände und an die Säulen.« Er kann einfach nicht aufhören damit, obwohl der Priester es ihm verbietet.

Eines Tages wirft der Priester ihn deswegen hinaus: »Aus dir wird niemals ein guter Priester. Aber vielleicht wirst du einmal zu einem großen Künstler.« Und er gibt ihm einen geheimnisvollen Rat mit auf den Weg mit der Mahnung, ihn nie zu vergessen: »Meide große Räume in der Nacht – halte dich an kleine!«

Und so verlässt der Bub den Tempel, geht aber nicht nach Hause, denn er hat Angst vor seinem Vater, der ihn sicher bestrafen würde. Ihm fällt ein, dass im Nachbardorf ein anderer, sehr großer Tempel steht, er will die Priester dort bitten, ihn aufzunehmen. Was er nicht weiß: Der Tempel ist geschlossen worden, weil die Priester vor einem Dämon, einem Goblin, geflohen sind. Niemand, auch kein noch so guter Krieger, konnte mit ihm fertig werden. Niemanden, der gegen ihn antrat, sah man je wieder.

Als er am Tempel ankommt, ist es schon dunkel. Der Tempel ist verlassen, nur ein Licht brennt. Der Junge wartet ein Weilchen und merkt dann, dass es überall staubig und spinnwebig ist – und freut sich, weil die Priester sicher einen Tempeldiener brauchen können, um sauberzumachen. Und dann entdeckt er die großen weißen Wandschirme und fängt an, sie mit Katzen vollzumalen. Als er müde wird, fällt ihm plötzlich die Warnung des Priesters wieder ein: »Meide große Räume in der Nacht – halte dich an kleine!« Und er schließt sich in einem Wandschrank ein.

Japanische Geistergeschichten

Lafcadio Hearn, der diese japanische Geschichte nacherzählte, wurde 1850 als Sohn eines britischen Offiziers und einer Griechin geboren, kam mit zwei Jahren zu seiner Großtante nach Irland und wurde von ihr 1869 nach Amerika geschickt, wo er Journalist wurde. 1890 wanderte er nach Japan aus, wo er eine Japanerin heiratete und anfing, Geistergeschichten und Märchen zu sammeln und auf Englisch herauszugeben. Mit seinen Berichten aus Japan wurde er berühmt und prägte das westliche Bild des Landes, das sich grade zu einer der größten Industrienationen der Welt entwickelte, entscheidend: Er exotisierte es und konstruierte einen romantischen Konflikt zwischen einem »alten« Japan und dem neuen.

Japaner lieben Geistergeschichten, sie durchziehen die japanische Literatur bis heute, selbst in manchen Krimis treten sie auf oder in berühmten Filmen wie Kurosawas ›Rashomon‹. Auch diese traditionelle Geschichte handelt von einem Geist. Denn spät in der Nacht weckt ihn ein schrecklicher Lärm, ein Poltern wie von einem heftigen Kampf, der so laut und heftig ist, dass der ganze Tempel bebt. Bis es dann plötzlich totenstill ist. Erst am Morgen traut sich der Junge, aus seinem Wandschrank hervorzukriechen: Der gesamte Tempelboden ist mit Blut überströmt, mitten im Raum liegt eine riesige tote Ratte – »ein dämonischer Rattengoblin, größer als eine Kuh.« Und dann sah er, »dass die Mäuler all der Katzen, die er in der letzten Nacht gemalt hatte, rot und feucht von Blut waren.«

Wie viele Märchen in der ganzen Welt ist auch dieses japanische recht brutal, dafür hat es gleich ein doppeltes Happy End: Denn nicht nur wird der Junge gerettet, sondern er wird auch ein berühmter Künstler: »Einige der Katzen, die er gemalt hat, werden bis heute Reisenden in Japan gezeigt«, heißt es am Schluss.

Beeindruckende Illustrationen

Was aber besonders an diesem Bilderbuch ist, sind die Illustrationen der lettischen Künstlerin Anita Kreituse. Eigentlich sind es keine Illustrationen, sondern erzählen über die einfache Geschichte hinaus ihre eigenen bildhaften Geschichten auf jeweils zwei Seiten. So sieht man den Jungen etwas abseits vom einfachen Bauernhaus sitzen, mit einem winzigen Pinsel zeichnet er etwas auf einen großen Stein, und hinter ihm hockt eine tiefblaue Katze und schaut ihm über die Schulter, während der Mond sanft durch den Nebel scheint. Auf einem anderen Bild malt er eine rote Katze auf einen roten Kimono, der auf traditionelle Weise an einer langen Stange zwischen einem Baum und einer spitzen Bambushütte aufgehängt ist, in der Hütte sitzt ein kleiner Buddha, und eine riesige rote Katze hockt entspannt, mit geschlossenen Augen, zwischen den Felsen. Als seine Mutter ihn zum Tempel bringt, sieht man sie beide dick eingemummelt vor einem diesigen Himmel, die Mutter schaut betrübt vor sich hin, der Junge blickt voraus zum fahl glänzenden Mond, in dem ein Katzengesicht zu sehen ist (der japanischen Sage nach wohnt allerdings ein Hase im Mond).

Es sind eher eigenständige Gemälde, die durch ihren Kontrast zwischen dem Grau von Himmel und Felsen und den kräftig bunten Farben der Kleider und Katzen sehr lebendig werden: Rot glänzen die Robe des Priesers, der Kimono des Jungen und die vor sich hin lächelnde Katze im Hintergrund, tiefblau färbt die schimmernde Nacht die Shoji-Papierwand des Tempels, Gesicht und Hände des Jungen und die in einem Teich sitzende Katze, golden glänzt das Gesicht und die Finger einer liegenden Buddhastatue, die Blumen vor ihm und das Gefäß mit Räucherstäbchen, und lässig hat sich eine gestreifte Tigerkatze an den Buddha angeschmiegt.

Kreituse gelingt es, eine besondere, sehr intime Atmosphäre zu schaffen, mit der sie die Geschichte nacherzählt und mit ausdrucksvollen japanischen Details anreichert, denen man ihre Kenntnis des Landes anmerkt. Es geht ein Sog von diesen intensiven, emotional aufgeladenen, großformatigen Bildern aus, den sicherlich nicht nur Kinder genießen werden.

| GEORG PATZER

Titelangaben
Lafcadio Hearn / Anita Kreituse: Der Junge, der Katzen malte
(Puika, kas zimeja Kakus, 2017), übersetzt von Gabriela Bracklo
Birkenwerder: Edition Bracklo 2021
52 Seiten. 24,80 Euro
Bilderbuch ab 5 Jahren
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