Mehr Wollen als Sein

Sachbuch | Holger Kuntze: Lieben heißt wollen

Mit dem Titel des Ratgebers ›Lieben heißt wollen‹ ist die wichtigste Botschaft schon gesagt. Wer lieben will, muss es wollen. Diese Erkenntnis dürfte längst den letzten Leser erreicht haben – auch ohne das Buch des Paartherapeuten Holger Kuntze. Unklar ist, wie man erfolgreich lieben kann, wenn die äußeren Umstände nicht gut sind. Ob das Buch auf seinen 230 Seiten darauf eine Antwort findet? Fragt BASTIAN BUCHTALECK

Das Buchcover zeigt einen herzförmigen Luftballon an einer SchnurIn der Einleitung des Buchs steht: »Sie werden dieses Buch mit allerhöchstem Gewinn lesen«. Auch in der Mitte verspricht das Buch nochmal: »Warnung: Die weitere Lektüre dieses Buchs könnte Ihre Beziehung retten!« Kuntze nimmt den Mund sehr voll. Doch, was Kuntze dann hauptsächlich anbietet, sind bekannte Konzepte, schiefe Vergleiche, unnötige Klischees und wiederholte, endlose Reihungen. So rettet man keine Beziehung.

Bekannte Konzepte

Ein mittlerweile verbreitetes Gedankenkonzept ist, dass auf die feurige, leidenschaftliche Zeit der Verliebtheit die vertrautere Zeit der Liebe folgt. Die Verliebtheit muss enden, damit Raum für die Liebe entsteht. Kuntze formuliert dies so:

»Die Beziehungsmittel- und -langstreckler hingegen freuen sich über das Ende der Verliebtheit, weil sie spüren, dass jetzt die wahre Liebe beginnt. Eine, die nichts mit Herzrasen oder Schmetterlingen im Bauch zu tun hat, sondern mit Ankunft, Verständnis, Wärme, Sicherheit, Gelassenheit, Ruhe, Tiefe und gemeinsamer Zufriedenheit. Alles wird langsamer, routinierter, träger, aber eben auch vertrauter, offener, tiefer und sicherer.« <span class="su-quote-cite">(Seite 23)</span>

Schon hier offenbart sich eine eklatante Schwäche des Buchs. Die Abgrenzungen sind im Schwarz-Weiß-Kontrast gehalten. Entweder-Oder. Solch klare Abgrenzungen findet man im echten Leben nicht. Bei Kuntze sind die Dinge klar bis zum Klischee, ja teils bis zur Karikatur. Denn wer würde seine Liebe ernsthaft rein als Ankunft, Geborgenheit und Ruhe beschreiben? Liebe als Stillstand? Dann liebe(r) nicht.

Es zeigt sich in diesem Beispiel auch die Vorliebe des Autors zur Reihung. Eines wird hinter das andere geschrieben, als ob es dadurch wahrer würde.

Gewaltfreie Kommunikation (GfK) ordentlich missverstehen

Kuntze greift in seinem Buch auch die gewaltfreie Kommunikation nach Marshall B. Rosenberg auf. Kurios wird es, wenn der Paartherapeut versucht Bedürfnisse konkret auszusprechen: »Sagen Sie nicht: »Ich hätte gern mehr Sex«, sondern sagen Sie: »Ich hätte gern einmal die Woche zwei Stunden Sex, bei dem ich zum Orgasmus komme.« (Seite 95)

Zugegeben, das Beispiel des Paartherapeuten ist deutlich konkreter; für eine Partnerschaft aber Gift.

Nach Rosenberg suche ich meine Zufriedenheit nicht im Partner, er ist nicht für mein Glück (meinen Orgasmus) verantwortlich. Ich selber bin es. Indem ich die Verantwortung für meinen Orgasmus auf meinen Partner delegiere, setze ich ihn unter Druck, was ganz sicher nicht beziehungsfördernd ist. Zugleich sind, wenn man sich die Dauer des geforderten Sexes anschaut, die Anforderungen deutlich überzogen. Kuntze formuliert also eine überzogene, nach außen gerichtete Forderung. Das hat mit gewaltfreier Kommunikation nichts zu tun.

Rosenberg hätte es vielleicht eher so ausgedrückt: »Ich habe ein Bedürfnis nach körperlicher Intimität und anschließender Ekstase. Mein Wunsch ist, dass du dies gemeinsam mit mir erleben magst.« Vielleicht so. Sicher nicht, wie Kuntze es tut.

Komische Verlangensstärke

Fatal wird Kuntzes Buch, wenn er das Konzept der Verlangensstärke in einer Beziehung vorstellt. Demnach gibt es einen Verlangensstärkeren und einen Verlangensschwächeren. Nach Kuntze führt Verlangen zu einem Leidensdruck (schon allein dieser Schluss sollte in einer guten Partnerschaft abwegig sein) und da der Verlangensschwächere weniger Leidenssdruck verspürt, würde dieser die Beziehung dominieren. Kuntze macht dies am Beispiel des Kinderwunsches fest.

Während der eine Partner schon Kinder habe, der andere aber Kinder wolle, entstehe dieser Verlangensunterschied. Es folge daraus, dass derjenige, der keine Kinder wolle, die Beziehung dominiere, weil er den geringeren Verlangensdruck hat. Diese Beobachtung kann, wenn überhaupt, nur sehr situativ richtig sein. Kuntze generalisiert den einzelnen Aspekt des Kinderwunsches als bestimmend für die gesamte Partnerschaft und dies greift in Tiefe und Komplexität deutlich zu kurz. Partnerschaft ist ein weitverzweigtes System verschiedener Bedürfnisse, die allesamt miteinander in Beziehung und teilweise in Konkurrenz zueinanderstehen. Davon ist in dem Buch jedoch nichts zu lesen.

Unnötige Klischees

Schiefe Vergleiche können geschehen, da fast jeder Vergleich irgendwo Schwächen hat. Klischees jedoch sind in einem Beziehungsratgeber Quatsch. Kuntze hat viele davon in seinem Buch untergebracht.

In dem Kapitel »Aufwachen aus dem Traumland« stellt Kuntze vier Persönlichkeitstypen vor, mit denen Partnerschaft nicht funktioniert. Süchtige, Borderliner, passiv-aggressive und narzistische Menschen werden dort in Klischees zusammengefasst, dass es nur so kracht. Dasselbe geschieht mit dem Abwechsler, dem Dauer-, dem Distanz- und dem Nähetypen, die Kuntze kurz darauf vorstellt. Am gedanklichen Reißbrett werden Klischees umrissen, mit denen Beziehung nicht möglich ist. Über die Lebensrealität wird damit jedoch überhaupt nichts ausgesagt.

Über den Distanztyp schreibt Kuntze Folgendes:

»Der Distanztyp hat Angst vor Selbsthingabe, Altruismus, Konfrontation, Offenheit und Nähe. Er schützt sich davor durch Egozentrik, Alleinsein, Stolz, Rückzug, Vermeidung, Abkapselung, Zorn, Rache, Täuschung und Verteidigung. Sein Weg zu innerem Wachstum und zu Veränderung wäre geprägt von der Hinwendung zu Barmherzigkeit, Liebe, Empathie, Freundschaft, Beteiligung und Opferbereitschaft und die Realisation von Zeit als Kontinuum und als Qualität.«<span class="su-quote-cite">(Seite 61)</span>

Einen solchen Kessel Buntes rührt Kuntze beständig in seinem Buch an. Wer es nur vielfältig genug versucht, wird auch mal einen Treffer landen.

»Veränderungen, Verfestigung, Verstetigung, Vertrauen, Verlässlichkeit« (Seite 95) und andere, endlose Reihungen

Das Buch »Lieben heißt wollen« ist leider ein bedauerlich schlechtes Buch. Auf der literarischen Seite ist das Buch vollgepackt mit Reihungen, die zwar die Seiten füllen, gleichzeitig jedoch überaus unbeholfen wirken. Natürlich trifft eine solche Reihung manchmal die Realität und der Leser stimmt zu und sagt zu sich, ja das kenne ich. Aber wenn man die Reihungen ernst nimmt, dann stellt man schnell fest, wie rein stilistisch sie sind und wie wenig mit Inhalten gefüllt. Inhaltlich werden entweder bekannte oder teilweise absurde Konzepte vorgestellt.

Kuntze selbst beendet das Buch folgendermaßen: »Sie sind nach der Lektüre des Buchs ein anderer Mensch als zuvor.« Diese Haltung schließt zwar an zuvor getroffene Aussagen an, ist jedoch nicht nur anmaßend, sie zeugt auch von einer kolossalen Selbstüberschätzung. Eine derartige Fehleinschätzung der eigenen Wirkung, gepaart mit einem enormen Mitteilungsbedürfnis scheinen nicht die besten Voraussetzungen für eine Paartherapie. Als Buch jedenfalls funktioniert es überhaupt nicht.

| BASTIAN BUCHTALECK

Tielangaben
Holger Kuntze: Lieben heißt wollen
Wie Beziehung gelingen kann, wenn wir Freiheit ganz neu denken
München: Kösel-Verlag 2018
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Reinschauen
| Leseprobe

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Angst vor dem Versagen

Nächster Artikel

Die Lebenden, die Toten und die Seefahrer

Weitere Artikel der Kategorie »Sachbuch«

Nicht einmal mehr Bienen sind noch das, was sie waren

Sachbuch | Hans Arthur Marsiske: Kriegsmaschinen Es gibt so Themen, die dümpeln. Kennen Sie das? Sie liegen herum, irgendwo im Brackwasser, jeder weiß, dass es sie gibt, seit Jahren schon, doch niemand kümmert sich, oft aus Bequemlichkeit. Man könnte sich schmutzig machen, und wer weiß, man könnte schlafende Hunde wecken – wer will das schon? Von WOLF SENFF

Einen Bestseller schreiben

Kulturbuch | Christian Eichler: 90, oder: Die ganze Geschichte des Fußballs in neunzig Spielen Ob man dem Titel trauen darf? Was ist das überhaupt, eine Geschichte des Fußballs? Eine Wagenladung voll Stars, eine Liste der großen Siege, der phantastischen Tore – könnte ja sein. Genauso jedoch gehören die tiefen Abstürze dazu, die Niederlagen, und man würde gern etwas erfahren über die Einflüsse von Politik auf Fußball. Von WOLF SENFF

Zur Situation des Widerstands

Gesellschaft | Steffen Vogel: Europa im Aufbruch Steffen Vogel gibt einen kenntnisreichen Überblick über den Stand politischer Bewegungen in den Ländern Europas. Sein Interesse liegt auf dem Widerstand gegen die vorherrschende neoliberale Ausrichtung, »einen Kurs, der letztlich perspektivlos ist«. Vor allem in den südlichen Ländern sieht er starken Widerstand, während in nördlichen Ländern rechtspopulistische Kräfte an Einfluss gewonnen hätten. Von WOLF SENFF

Von digitalen Würmern und dichotomischen Weltbildern

Sachbuch | Mark Bowden: Worm. Der erste digitale Weltkrieg Mark Bowden, der unter anderm für den Thriller ›Black Hawk Down‹, einer Episode aus dem somalischen Bürgerkrieg, bekannt ist, erzählt in ›Worm‹ die Geschichte des Computerwurms »Conficker« der erstmals im Jahr 2008 sein Unwesen trieb. Dieser Wurm, der sich hauptsächlich auf Sicherheitslücken des Windows-Betriebssystems konzentrierte, befiel weltweit bis zu 50 Millionen Rechner, ohne zunächst konkreten Schaden anzurichten. Bis heute ist fraglich, welche Absichten der oder die Programmierer des Wurms verfolgten. JÖRG FUCHS taucht ein in die Welt von Bits und Bytes – und wundert sich über das dichotomische Weltbild des Autors.

The Life and Death of a Superstar

Kulturbuch | Michael Engelhard: Ice Bear: The Cultural History of an Arctic Icon (Auszug) Even in death, Knut arguably has the distinction of being the world’s most prominent polar bear. “It cannot be that the little Knut is completely forgotten,” said a woman who spent $5,000 on a public Knut memorial marker—one of several, in a city that teems with monuments commemorating two World Wars, the Holocaust, and the Iron Curtain. By MICHAEL ENGELHARD