//

Wenn der Nordwind bläst

Bühne | Gut gegen Nordwind im Theater das Zimmer

Was wenn ein Tippfehler die ganze Welt auf den Kopf stellt? Eine Kettenmail zum Glück auslöst? Gar nicht so einfach, auf dem Boden der Tatsachen zu bleiben. Von MONA KAMPE

Eine Bühnenszene, in der ein Mann und eine Frau in einer Kissenlandschaft spielen.Emmi Rothner möchte ihr Zeitschriftenabo kündigen und landet versehentlich beim falschen Empfänger. Ein gewisser Leo Leyke. Dieser scheint ganz und gar keine Weihnachtsgrüße zu mögen! Doch irgendetwas an der sarkastischen Wortgewandtheit des Fremden scheint interessant. So schreibt sie ihm weiter.

Der Sprachwissenschaftler ist zwar verwundert, aber durchaus angetan von der quirligen, neugierigen Art der Dame am anderen Ende des Bildschirms. Jeder Versuch, die Konversation zu beenden, scheitert. So schreiben sie und fantasieren sich ihr digitales Gegenüber zusammen. Sie spielen mit der Imagination des anderen. Die Wortspiele werden gewitzter, die Fragen heikler.

Dann die Wette: Leo würde Emmi unter zwanzig Frauen in einem vollen Café erkennen! Doch welche sitzt wirklich an den Tasten? Ur-Emmi, Anti-Emmi oder Überraschungsemmi? Und welcher Typ ist Leo bloß? Bis auf den smarten Herrn in Begleitung an der Bar springt Emmi niemand ins Auge.

Die Spannung steigt, denn mit den Nachrichten im Postfach wachsen die Erwartungen an das Fantasie-Ideal im Kopf. Und das wird vom kühlen Nordwind gleich einmal kräftig gegen das Kissen geschlagen, denn die Realität ist kompliziert und voller Geheimnisse.

They are like the wind

Daniel Glattauers Bestseller ›Gut gegen Nordwind‹ begeistert nicht nur als Roman, sondern auch als Zwei-Mann-Stück im kleinsten Theater Hamburgs. Denn hier tippen sich Sandra Kiefer und Stephan Arweiler die Finger wund, um dem digitalen Gegenüber näherzukommen, ohne zu viel von sich selbst preiszugeben. Der Dialog lebt von einer steifen Brise an Wortwitz, Ironie und Stereotypen, die man im anderen vermutet. So spielen sich beide Protagonisten meisterhaft vom Schneeregen in den Sonnenaufgang und zurück.

Und immer bläst der Nordwind – einmal sanft, einmal stürmisch. Er fegt die Schneeflocken von der gemütlich gepolsterten Kissenlandschaft auf der Bühne. Kalte Füße, warme Herzen. Und mit jeder Nachricht wird uns wohliger. Bis zum ersten Treffen. Gehen sie hin? Kann die Realität dem Ideal standhalten oder es gar übertrumpfen?

Angst, Zweifel, Mut, Tat. Verstecken. Entdecken. Der Nordwind ist magisch. Er holt alle Emotionen aus uns heraus – sowie die beiden Künstler. Es ist eine wahre Freude, mit ihnen zu gleiten.

| MONA KAMPE
| FOTO: PATRICK BIEBER

Titelangaben
Gut gegen Nordwind
Theater das Zimmer Hamburg
Mit: Sandra Kiefer und Stephan Arweiler
Regie: Lars Ceglecki
Bühne: Nicole Bettinger

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Eine wahre Heldin

Nächster Artikel

Lockdown im Paradies

Weitere Artikel der Kategorie »Bühne«

Leibhaftiger Wahnsinn

Bühne | Shakespeares Richard III. im Stadttheater Pforzheim Es ist kein Stück wie jedes andere und noch dazu sehr selbst-reflexiv – William Shakespeares (1564 – 1616) ›Richard III‹ (in dieser Fassung als Stückprojekt nach der gleichnamigen Tragödie von Shakespeare, in Deutsch von Thomas Brasch) erobert das Podium und die Zuschauer des Stadttheaters Pforzheim. JENNIFER WARZECHA war dabei.

Rocky aus der Röhre!

Theater | Richard O’Brien’s THE ROCKY HORROR SHOW – Deutsches Theater Göttingen Neben den ganzen erwartungsvollen und schon beim Ersten Klingeln vor Begeisterung zitternden Menschen in der Lobby, musste ich beinahe kühl oder reserviert wirken. Vielleicht lag es daran, dass ich zwar gerne ins Theater ging, aber noch nie The Rocky Horror Show gesehen hatte. Es war mein erstes Mal. So wie bei den meisten ersten Mals konnte man unmöglich wissen, was passieren würde. Und am Ende kam dann sowieso alles anders. Von SVEN GERNAND

»Warum soll ich schuld sein?«

Bühne | ›Lulu‹ im Hamburger Theater das Zimmer Sie verzaubert und verführt – ›Lulu‹ ist für viele Männer der Inbegriff der Perfektion. Doch nur einer weiß, wo bei ihr der Engel aufhört und der Teufel beginnt. Kann er sie zu Fall bringen, bevor die Sünde ihn stürzt? Von MONA KAMPE

Affe – Blau zu schwarz

Bühne | ›Affe‹ in der Oper Neukölln Frei nach dem Motto »Guten Morgen Berlin, du kannst so hässlich sein, so dreckig und grau. Du kannst so schön schrecklich sein, deine Nächte fressen mich auf…« gehen die Zuschauer zusammen mit dem jungen Berliner »F.« auf einen Trip der besonders heftigen Art. ANNA NOAH ist gespannt, wie viel urbanes Lebensgefühl in der Theater-Adaption von Peter Fox’ Album »Stadtaffe« steckt.

Man(n) ist sprachlos

Bühne | Bodyrule im Hamburger Sprechwerk Übergriffigkeit, Schweigen, Schuld. Die MeToo-Debatte hat viel aufgewirbelt – doch nicht genug. Das weiß man(n), wenn man das neue Stück von Denise Stellmann sieht. Ein persönlicher Eindruck von MONA KAMPE