Die weltweite Euphorie um die britische Band gab es in den 1960er Jahren – für manche haben die Beatles aber auch zu einem späteren Zeitpunkt eine ganz besondere Bedeutung in ihrem Leben. ANDREA WANNER freute sich an diese ganz besonderen Graphic Novel, die in das Paris der 1990er Jahre entführt.
Man muss keine besondere Beatleskennerin zu sein, um angesichts der vier Pilzköpfe in psychedelischen Farben nicht zu stutzen. Da sind sie singend auf dem Zebrastreifen der Abbey Road unterwegs und jeder weiß doch, dass der Titel ›Nowhere Man‹ heißt und nicht Nowhere Girl. Aber auf den zweiten Blick entdeckt man ein kleines Mädchen mit Rucksack, die ebenfalls die Straße überquert. Das ist Magali.
Magali ist elf Jahre alt und nach den Sommerferien bereit für ihren ersten Tag in der Mittelschule. Jetzt soll alles anderes werden. Sie will cooler sein. Und fleißiger. Eine bessere Schülerin als in der Grundschule. Als Vorbild dient ihre große Schwester Amé, die nur die besten Noten hat – außer in Sport. Agathe, die seit der Grundschule ihre beste Freundin ist, kommt in die gleiche Klasse. Alles könnte gut sein. Ist es aber nicht.
Die Schule stress, der Druck wächst täglich. Die Eltern, »Genesungs-Superhelden«, die professionell Menschen mit Problemen helfen, versuchen auch Magali zu unterstützen. Es hilft nicht. Der Schulrucksack wird Symbol für die erdrückende Last: von Bild zu Bild wird er größer und schwerer, drückt das kleine Mädchen zu Boden, als ob es wie Atlas die ganze Welt stemmen müsste. Der September geht zu Ende und Magali kann nicht mehr. Und dann, an einem Sonntagnachmittag, geschieht es: Magali entdeckt die Beatles.
Die Kleine verschwindet in einem farbigen Strudel, gibt sich den Tönen, der unbekannten und hinreißenden Musik hin. Und erlebt etwas Ungekanntes. Die Beatles werden Magali durch die kommende Zeit begleiten. Sie wird alles über Paul, Ringo, George und John in Erfahrung bringen, wird sämtliche Alben hören, Details aufspüren, versuchen alle mit ihrer Leidenschaft für die Fab Four anzustecken. Die Beatles werden an ihrer Seite bleiben, auch wenn es mit der Schule kein gutes Ende nimmt und tägliches Erbrechen vor der Schule letztlich dazu führt, dass Magali gar nicht mehr hingeht. Stattdessen wird sie zu Hause beschult.
Magali le Huche lässt uns einen Blick in ihre eigene Vergangenheit werfen. Schulphobie lautet der Fachbegriff und sie selbst zog sich zwei ganze Jahre von der Schule zurück. Die Beatles werden Sehnsuchts- und Zufluchtsort für ein Mädchen, das überfordert ist. Von der Schule, vom Erwachsenwerden, schlicht von allem.
Erzählt wird das mitreißend und brillant. Die Schwarz-Weiß-Zeichnungen, die nur ein bisschen Rosa zur Kolorierung der Räume und das leuchtende Orange von Magalis Haaren als Farbe enthalten, explodieren in einem wahren Farbrausch, wenn die Musik ihrer Idole erklingt. Horden von schreienden weiblichen Fans in den 60ern sind nichts gegen Magalis Leidenschaft. Mit den Beatles taucht sie in einem gelben Unterseeboot ab, wenn ihr alles zu viel wird. Mit den Beatles träumt sie und die Beatles begleiten sie durch diese schwierige Phase in eine neue, bessere Zeit.
© Reprodukt
Titelangaben
Magali le Huche: Nowhere Girl
(Nowhere Girl, 2021)
Aus dem Französischen von Silv Bannenberg
Handlettering von Céline Merrien
Berlin: Reprodukt 2022
120 Seiten 24 Euro
Jugendbuch ab 13 Jahren
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