Für den einen ist Venedig das Traumziel der Liebe und des Karnevals, für den anderen erinnert die Stadt an das Ende der ›Sissi‹-Trilogie, manche fühlen sich dort zu Hause, weil Commissario Brunetti, literarisch gesehen jedenfalls, mit seiner Familie dort wohnt. Bezugspunkte zu dieser Traumstadt mit einem Traum-Umland gibt es viele, aber nur Wenige kennen die Lagunenstadt vermutlich aus der Luft. Dabei ist das eine absolut spektakuläre Sache, meint BARBARA WEGMANN.
›Venedig aus der Luft‹, das sind fantastische, großformatige und absolut besondere Fotografien, umrahmt von lesenswerten Texten, die gemeinsam schnell klarmachen, warum Venedig und seine Lagune seit 1987 auf der Liste des UNESCO-Welterbes stehen. Und das offiziell »aufgrund der Besonderheiten und Traditionen dieser weltweit einzigartigen Landschaft und des historischen, archäologischen, urbanen, architektonischen und künstlerischen Erbes der Stadt.« Die Fotografien zeigen es brillant »von oben«, aus der Luft, der außergewöhnlichen Vogelperspektive.
Ein kleines, flaches Binnenmeer ist es, in das die Stadt Venedig mit ihren kleinen Inseln auf so ungewöhnliche Art eingebettet ist, 40 Kilometer lang, 15 Kilometer breit. In Abgeschiedenheit – beruhigt sozusagen – seit schon im 14. Jahrhundert die größeren Flüsse auf ihrem Weg ins Meer umgeleitet wurden. Die Lagune indes, sie blieb.
Von Stadt und den Inseln berichten die sehr lesenswerten Texte, da erwacht Historisches und Besonderheiten werden erklärt, denn schließlich: Was an dieser Stadt und ihrem Umland ist nicht »besonders«? Zum Beispiel die Besonderheit des wohl friedlichsten Ortes der Lagune, der Einsiedelei San Francesco del Deserto. Ein winziges Fleckchen Erde, kaum über dem Meeresspiegel gelegen, mit einem Kloster in der Mitte, rundherum Zypressen, ein paar angelegte Gärten. Hier soll Franz von Assisi Anfang des 13. Jahrhunderts gelebt haben, über ihn und seinen Aufenthalt hier gibt es wundersame Geschichten.
Dann wäre da auch die Insel Pellestrina, ein schmaler Landstreifen, der aussieht wie eine Sandbank, so unwirklich dicht bebaut mit Häusern. »Die Insel ist ein Ort der Begegnung, der wie ein Scharnier zwei Welten miteinander verbindet, die allein durch die Existenz dieser Insel zueinanderfinden: das Meer und die Lagune.« Und wie könnte man dieses »Scharnier« und die anderen Motive der Region besser einfangen, als mit Luftbildern.
Riccardo Roiter Rigoni ist ein wahrer Meister, den Charakter von Landschaft und Lebensraum, seine Bebauung und die Einbettung in Wasser und Meer zu fotografieren. Mit vielen Hubschrauberflügen ging er auf Spurensuche, erfasste totale Bilder, aber eben auch Details, Ausschnitte, Bauwerke, Strände, Küstenabschnitte, um dann erneut wieder große Teile der Lagunenstadt großzügig insgesamt aufzunehmen. Bekanntes und Unbekanntes, Offenkundiges und Verborgenes. Perspektiven, die jedem von uns sicher nur selten gewährt werden. Perspektiven, die Neugier und Lust wecken sollen, so die Autoren, »mehr über diesen so einzigartigen Ort zu erfahren, der einen immer wieder aufs Neue zu überraschen und zu berühren vermag.«
Füttern die Texte den Hintergrund, untermauern die Bilder mit Information, Geschichten, Kuriosem, längst Vergangenem sowie heutigen Problemen, so fügt der Fotograf noch eine ganz besondere Leidenschaft und Note hinzu: »Seine Fotografien«, so heißt es im Vorwort, »setzten sich aus einem sichtbaren und einem unsichtbaren Teil zusammen«. Und der unsichtbare Teil bilde die Seele der Fotografie, die sich aus den Emotionen der Person ergebe, die in einem bestimmten Moment durch das Objektiv blicke … und diesen Zeitpunkt festhalte.
Diese Seele erspürt der begeisterte Betrachter bei sehr vielen Bildern, egal, ob man vielleicht einen schon vergangenen Venedig-Urlaub noch einmal Revue passieren lässt oder voller Euphorie eine Reise dorthin nun plant. Übrigens: wer gleich zu Beginn Luftbilder aus Venedig selbst erwartet, all jene berühmten Bilder, die man von Postkarte, aus Reiseführern oder Berichten aus dem Fernsehen kennt, der wird auf den Schluss des Buches vertröstet, die Reise präsentiert zunächst nämlich größere und kleinere Inseln, ehe die Reise über Venedig selbst endet. Als fotografischer Höhepunkt sozusagen.
›Venedig aus der Luft‹, das ist quasi ein Blick aus dem Himmel, auf ein unvergessliches, besonderes Fleckchen Erde.
Titelangaben
Riccardo Roiter Rigoni/ Debora Gusson: Venedig aus der Luft
Versailles: Jonglez Verlag 2022
256 Seiten, 39,95 Euro
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