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Zeitenwende

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Zeitenwende

Die Ereignisse, in den Zusammenhang gestellt, nahmen ihren Ausgangspunkt in der höchst eigenartigen Zannanza-Affaire, ausgelöst auf Betreiben der ägyptischen Königin Tahamunzu, deren Gatte verstorben war und die sich an das Königshaus der Hethiter wandte mit der Bitte um einen seiner Söhne, sie zu ehelichen.

Nach anfänglichem Zögern und sorgfältiger Prüfung gab der Hethiter Suppiluliuma dem statt und sandte seinen Sohn Zannanza, der jedoch auf dem Weg nach Ägypten getötet wurde, nähere Umstände sind nicht überliefert, die Ereignisse sind verwickelt, zumal Kriegsgefangene nach einem Rachefeldzug die Pest nach Vorderasien einschleppten, die dort zwanzig Jahre lang wütete, die Dinge ereignen sich langsam, die Ereignisse sind verwickelt, und damit war jeglichen militärischen Aktivitäten bis auf weiteres ein Ende gesetzt.

Hinter der Initiative der Tahamunzu standen ägyptischerseits Kreise, die Krieg mit den Hethitern unter allen Umständen verhindern wollten, man muß das wissen, und zwar mittels einer – wie man heutzutage sagen würde – politischen Heirat, denn in Ägypten dauerte der erbitterte Machtkampf an zwischen einer Politik des Bellizismus und einer der Diplomatie, Konstellationen, die auch zu anderen Zeiten virulent sind, doch all dieses ist Vorgeschichte, die Dinge ereignen sich langsam, quälend langsam, wir steuern auf die Schlacht bei Qadesch zu.

Vorgeschichte, nicht endende Vorgeschichte, nach dem Tod Zannanzas etablierte sich in Ägypten eine militärische Aristokratie – Pferdevorsteher und Feldoffiziere – endgültig in den Machtpositionen, nein, keine Zeitenwende, im Gegenteil, Haremhab usurpierte den Thron, und im Übergang zur neunzehnten Dynastie transformierte sich der Staat zu einer Militärdiktatur bis weit in die Ramessidenzeit hinein.

Der Krieg, wir erinnern uns, war durch die Pest ausgebremst, jedoch nicht zuende geführt, nicht entschieden, Vorgeschichte, nicht endende Vorgeschichte, daß man beinahe annehmen möchte, man finde nirgends weder einen Anfang noch ein Ende, Urknall abgesagt, doch das wäre ein anderes Thema, Ägypten rüstete sich weiterhin für seinen Feldzug nach Vorderasien, es galt die östlichen Grenzregionen zu sichern, das ist alles zur Genüge bekannt, man kann es nachlesen, Ramses II. zog mit mehreren Armeen bis Palästina, wir wissen nicht, welche Rolle auch hier bereits die Innenpolitik spielte, ob der fehlgeleitete Aufmarsch auf der Höhe von Qadesch ein Mißgeschick war oder ob es sich um Obstruktion seitens der bellizistischen Opposition handelte mit dem Ziel, Ramses zu Fall zu bringen, das ist zwar nicht überliefert, doch vieles spricht dafür, wir finden diese abscheulichen Fronten zu allen Zeiten, es ist ein Armutszeugnis, die Aufrüstung wird unablässig vorangetrieben, neue Technologien ersetzen die alten, zu Zeiten von Ramses wurden erstmals leichte Pferdegespanne eingesetzt, eine Innovation der Kriegsführung, von  der sich die Bellizisten Vorteile versprachen.

Nach allem, was uns bekannt ist, endete die Schlacht von Qadesch weder mit einem Sieg noch mit einer Niederlage, Ramses persönlich überlebte wie durch ein Wunder, Amun selbst, so schildert es Ramses, sei ihm auf dem Schlachtfeld erschienen, wir entnehmen diese Version den Inschriften bei Abu Simbel und anderen Tempeln, Ramses schlachtete das Geschehen als seinen persönlichen Erfolg propagandistisch breit aus, verlangte Rechenschaft von seinen Generälen und Offizieren, die Auseinandersetzung schlug innenpolitisch hohe Wogen, die bellizistische Front stand unter heftiger Anschuldigung.

Kein Zweifel, der Klerus hatte seine innenpolitische Herrschaft damit gefestigt, die Dinge schreiten langsam voran, und Ramses konnte, an die Zannanza-Affaire anknüpfend, diplomatische Initiativen einleiten, die schließlich einen langjährigen Frieden zwischen Ägypten und den Hethitern sicherten, eines der seltenen Beispiele, man muß das zu schätzen wissen, eine Zeitenwende.

| WOLF SENFF

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Anne schenkte Tee nach.

Farb griff zu einem Keks.

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Die drei Jahrtausende seien in höchst verschiedene Abschnitte unterteilt, in drei Reiche mit jeweils Zwischenzeiten, einer Spätzeit und einigen Jahrzehnten, von denen wir heute wohl sagen würden, das Land habe unter fremder Herrschaft gestanden, es sei besetzt gewesen.

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