/

Das Verhängnis einer Liebe

Menschen | Ingeborg Bachmann, Max Frisch: »Wir haben es nicht gut gemacht«

Von Juli 1958 bis zum Frühjahr des Jahres 1963 dauerte die Liebesbeziehung zwischen Ingeborg Bachmann und Max Frisch – zum Ende hin war sie vergiftet und zerbrach. Immer wieder ist über sie in der literarischen Öffentlichkeit gestritten worden mit Frisch in der Rolle des Böswichts und Bachmann in der des Opfers. Ein neues Editionswerk verlangt nach einer Korrektur der Sicht auf diese unheilvolle Beziehung der österreichischen preisgekrönten Lyrikerin und dem schweizerischen Erfolgsautor. Von DIETER KALTWASSER

Porträtfotos von Ingeborg Bachmann und Max FrischHans Höller, Renate Langer, Thomas Strässle und Barbara Wiedemann haben die Briefe der beiden Liebenden unter dem Titel »Wir haben es nicht gut gemacht« herausgebracht, ergänzt durch Briefe von Verwandten, Freunden und Bekannten sowie einen sich anschließenden umfang- und aufschlussreichen Kommentarteil; eine editorische Meisterleistung. Ermöglicht wurde die Veröffentlichung des Briefwechsels, weil die Geschwister von Ingeborg Bachmann die Briefe freigaben. Sie selbst hatte sich zu Lebzeiten
dagegen ausgesprochen.

Zum ersten Mal begegnet sind sich die beiden am 3. Juli 1958 in Paris, Bachmann war 32 Jahre alt und Frisch damals 47. Sie verliebten sich bald ineinander, folgt man den ausgetauschten Briefen aus der Anfangszeit. Sie kannten sich allerdings bereits, bevor sie sich persönlich begegneten. Frisch war von Bachmanns Gedichten tief beeindruckt, wie er im Juli 1957 an seine damalige Partnerin Madeleine Seigner schrieb: »Ich las die Gedichte der Ingeborg Bachmann, die ich, soweit sie mir aufgehen, bedeutend finde, herrlich.« Kurz vor Weihnachten desselben Jahres empfahl er in der linksliberalen ›Weltwoche‹ in der Rubrik »Vorschläge für ein Buchgeschenk« die beiden Gedichtbände »Die gestundete Zeit« und »Anrufung des Großen Bären« der Dichterin.

Von ihr wiederum ist überliefert, dass sie sich an nächtelangen Gesprächen über Frischs Roman ›Homo faber‹ beteiligte. So schrieb einer der Gesprächspartner an den Autor: »Das Buch lässt uns nicht los – vielleicht hat ihnen Holthusen berichtet, dass wir eines Nachts mit Ingeborg Bachmann bis gegen drei Uhr in der Früh eigentlich von nichts anderem gesprochen haben als von Ihrem Faber.« Frisch hatte beim NDR in Hamburg Bachmanns Hörspiel ›Der gute Gott von Manhattan‹ gehört, noch bevor dieses gesendet wurde und ihr sofort einen Brief geschrieben, der allerdings nicht erhalten ist. In seiner Erzählung »Montauk« gibt er Inhalte aus diesem Brief wieder: »… wie gut [es sei], wie wichtig, dass die andere Seite, die Frau, sich ausdrückt«. Und weiter heißt es: »Wir brauchen die Darstellung des Mannes durch die Frau, die Selbstdarstellung der Frau.«

Frisch erhielt auf seinen Brief eine ihn überraschende Antwort: Sie sei gerade unterwegs nach Paris, sie fahre über Zürich und »könne zwei, drei oder vier Tage bleiben.« Zu einem Treffen kam es nicht, Frisch hielt sich in Spanien auf und sah erst nach seiner Rückkehr ihren Brief. Das erste Treffen der beidem fand kurze Zeit später in Paris statt. Bachmann hatte dort einen längeren Arbeitsaufenthalt vorgesehen und Frisch war in der französischen Metropole, weil er dort die Aufführung eigener Stücke im »Theatre des Nations« plante.

Schon zwei Tage nach der ersten Begegnung und dem Beginn ihrer Beziehung am 3. Juli fragt Frisch in einem Brief: »Was ist los? Ich warte und bange. Kein Zeichen. Du willst, dass wir verschwunden sind für einander.« Strässle und Wiedemann weisen darauf hin, »dass es der gern als ›unheilbar Gesunde‹ hingestellte Max Frisch ist, der zuerst als Leidender erscheint: ›Wenn ich Dich verliere […], dann habe ich in meinem Leben auf nichts zu warten.‹« Am 6. Juli schreibt er: »Ich liebe eine Frau, die mich liebt, und Du trittst in mein Leben, Ingeborg, wie ein lang gefürchteter Engel, der da fragt Ja oder Nein. Und ich bin glücklich und ratlos und zu feig, um über die Stunde hinaus zu denken.«

Damit ist bereits die Tonart gefunden, in der es die nächsten vier Jahre in dieser Beziehung weitergehen sollte; oft ist in ihr von Trennung die Rede. Jedenfalls findet nach dem Treffen in Paris eine mehrtägige Begegnung in Zürich statt. An deren Ende steht zunächst die Trennung, auch wegen der bestehenden Beziehung Frischs mit Madeleine Seigneir. Und schon der Anfang ihrer Liebesbeziehung war der Beginn ihres Verhängnisses; aus einer leidenschaftlichen Liebe wurde für sie eine »monströse Unmöglichkeit«, wie es Bachmann in einem ihrer Briefe ausdrückte.

Die Autorin erinnert sich in ihrem Roman ›Malina‹ mit Bestürzung an diesen 3. Juli: Es sei »ein leerer oder auch ausgeraubter Tag« gewesen, »an dem ich älter geworden bin, an dem ich mich nicht gewehrt habe und etwas geschehen ließ.« Im Kommentarteil heißt es hierzu: »Bachmann war indes kein wehrloses Opfer des werbenden Frisch, wie diese Stelle anzudeuten versucht.« Durch den Briefwechsel werde gerade ihre aktive Rolle zu Beginn der Beziehung sichtbar.

Sie selbst bezeichnete ihren Roman ›Malina‹ »ausdrücklich [als] eine Autobiographie, aber nicht im herkömmlichen Sinn. Eine geistige, imaginäre Autobiographie. Diese monologische oder Nachtexistenz hat nichts mit der gewöhnlichen Autobiographie zu tun, mit der ein Lebenslauf und Geschichten von irgendwelchen Leuten erzählt werden.«

Im Juni 1959 reist Bachmann mit Hans Magnus Enzensberger nach Rom, mit dem sie eine Beziehung beginnt. Später leben Bachmann und Frisch zusammen in Rom und in Uetikon am Zürichsee. Im »Venedig-Vertrag« aus dem Jahr 1960 vereinbaren beide, dass sexuelle Verhältnisse außerhalb ihrer Beziehung möglich sind – sofern diese Affären nicht ihre Liebe gefährden. Im März 1962 begegnet Bachmann dem italienischen Germanisten Paolo Chiarini, mit dem sie wenig später eine Liebesbeziehung beginnt. In Rom kommt es zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Bachmann und Frisch. Ende Juli reisen sie gemeinsam mit dem Auto nach Uetikon zurück. Im September 1962 beginnt die Beziehung von Frisch und Marianne Oellers, er besucht diese auch in München. Im Juni 1963 kommt es zu letzten persönlichen Begegnungen von Frisch und Bachmann in Rom, bei der letzten, nicht geplanten ist auch Marianne Oellers zugegen, Frischs spätere Ehefrau.

In einem späten Text des literarischen Projekts ›Todesarten‹ von Ingeborg Bachmann finden sich die Sätze: »Das, was mein Leben ausmacht. Es ist in meinem Kopf, es ist das Inferno.« Am 17. Oktober 1973 starb sie in einer römischen Klinik an den Folgen ihrer Verbrennungen, die sie sich in ihrer Wohnung in der Villa Giulia zugezogen hatte. Der Brand soll durch eine brennende Zigarette ausgelöst worden sein. Möglicherweise starb sie auch an den Folgen ihrer Tablettenabhängigkeit, an kaltem Entzug, weil die Ärzte ihre Suchterkrankung nicht oder zu spät erkannten. Ingeborg Bachmann wurde nur 47 Jahre alt.

| DIETER KALTWASSER

Titelangabe
Ingeborg Bachmann / Max Frisch: »Wir haben es nicht gut gemacht«
Der Briefwechsel
Mit Briefen von Verwandten, Freunden und Bekannten
Herausgegeben von Hans Höller, Renate Langer, Thomas Strässle und Barbara Wiedemann
Piper Verlag, München, Berlin, Zürich und Suhrkamp Verlag AG: Berlin 2022
1039 Seiten, 34,00 Euro
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Reinschauen
| Leseprobe

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Die Macht der Buchstaben

Nächster Artikel

Leben

Weitere Artikel der Kategorie »Gesellschaft«

Man sollte wollen, was Greta will

Gesellschaft | Greta Thunberg: No one is too small to make a difference

Politiker reden meist nur, in der Regel in nichtssagenden Floskeln. Dies erkannte die schwedische Schülerin Greta Thunberg schon in jungen Jahren und sie erkannte angesichts der drohenden Klimakatastrophe, dass sie handeln muss. Sie begann mit Schulstreiks vor dem schwedischen Parlament und hat damit offensichtlich einen Nerv getroffen. Von BASTIAN BUCHTALECK

Wider die soziale Ungleichheit

Gesellschaft: Friedhelm Hengsbach: Teilen, nicht töten JOSEF BORDAT untersucht die Gerechtigkeitsvorstellung des Sozialethikers Friedhelm Hengsbach und kommt zu einem geteilten Urteil.

Von Gläubigen, Ungläubigen und Leichtgläubigen

Gesellschaft | Linda Dorigo/ Andrea Milluzzi: Bedrohtes Refugium. Christliche Minderheiten im Nahen Osten Kurz vor Kriegsausbruch 1991 trafen sich die Oberhäupter der im Irak vertretenen christlichen Konfessionen in Bagdad und appellierten eindringlich an den Westen, den Frieden zu wahren. Griechisch-Orthodoxe sah man da, Melkiten, Assyrer, Chaldäer, Nestorianer, Armenier, Jakobiten, Katholiken und Protestanten, in ihren bunten Trachten. Sie alle trieb nicht die Liebe zum Regime Saddam Husseins, sondern die richtige Einschätzung, dass ein Krieg die Balance in der Region zerstören würde – zum Schaden besonders der Christen. Bedrohtes Refugium von Linda Dorigo und Andrea Milluzzi will eine Art Bestandsaufnahme christlichen Lebens

Ambitioniertes Programm

Gesellschaft | Martha Nussbaum: Die neue religiöse Intoleranz Burkaverbot in Frankreich, Minarettverbot in der Schweiz, Kopftuchverbote bei uns, hitzige Debatten um Moscheebauten, Beschneidung oder rituelles Schlachten – die europäischen Gesellschaften scheinen Amok zu laufen. Muslimische Minderheiten sollen mit ihren Symbolen anscheinend für die katastrophal verfahrene westliche Nahostpolitik büßen. Wie man mit dem auch in den USA wachsenden Muslimhass umgehen könnte, will Martha Nussbaum in ›Die neue religiöse Intoleranz‹ zeigen. Von PETER BLASTENBREI

Ungemein erfolgreich

Gesellschaft | H.Lorenz, L.Franke, G.Koppel (Hg.): Wer rettet Wen? – Die Krise als Geschäftsmodell / Auf DVD: L.Franke, H.Lorenz: ›Wer rettet wen? Die Krise als Geschäftsmodell auf Kosten von Demokratie und sozialer Sicherheit‹ Herdolor Lorenz und Leslie Franke genießen als Dokumentarfilmer einen besonderen Ruf, ihre Arbeiten sind stets dicht am Puls der Zeit. »Bahn unterm Hammer« (2007) begleitete die Debatte um die Privatisierung der Bundesbahn, »Water makes Money« (2011) erschien punktgenau zum Konflikt um die Privatisierung der Berliner Wasserversorgung. Von WOLF SENFF