Anfangen, die Welt zu retten!

Kinderbuch | Hannah Gold: Der letzte Bär

Es gibt sie wirklich, die Bäreninsel. Ihre Koordinaten 74° 26′ nördliche Breite und 18° 59′ östliche Länge, das ist ziemlich genau zwischen dem Nordkap und der Insel Spitzbergen. Der Rest der Geschichte ist Fiktion. Aber was für eine Geschichte, findet ANDREA WANNER.

Ein Bär und ein Kind begegnen sich auf einer BergspitzeDie 11jährige April lebt alleine mit ihrem Vater, einem Wissenschaftler zusammen. Die Mutter ist schon lange tot, gestorben bei einem Autounfall, als April 4 war. Sie muss eine wunderbare Frau gewesen sein, »aus Regenbögen gemacht«. Was das Mädchen vor allem vermisst, ist die Wärme eines glücklichen Zuhauses. Der Vater trauert noch immer, vergräbt sich in Arbeit und nimmt, trotz aller Liebe zu seinem Kind, April eher am Rande wahr.

Da kommt das Angebot, er könne ein halbes Jahr auf einer Wetterstation auf der Bäreninsel arbeiten und Klimadaten sammeln, genau richtig. Die Insel ist unbewohnt, Vater und Tochter werden während dieser sechs Monate die einzigen Menschen sein. Das ist die Gelegenheit für mehr gemeinsame Zeit, für Spaziergänge und Schlittenfahrten, findet April. Und wird bitter enttäuscht.

Auf der Insel mit Dauerfrost angekommen, verschwindet der Vater tageweise bei den Messinstrumenten und überlässt das Mädchen sich selbst. Trotz aller Enttäuschung ist das für die clevere Naturliebhaberin und Tierfreundin kein Problem. Warm verpackt verbringt sie ihre Tage meist draußen, streicht über die Insel und verfolgt einen Plan: sie meint, einen Eisbären gesehen und haben und ist trotz der Beteuerungen ihres Vaters, auf der Insel gäbe es keine Bären mehr, von der Idee besessen, ihn zu finden.

Hannah Gold erzählt von der Begegnung eines Mädchens mit einem wilden Tier und davon, wie darauf eine ungewöhnliche Freundschaft wird. Sie findet die richtigen Worte für die Annäherung der beiden, das wortlose Verständnis, die grenzenlose Zuneigung. Gegenseitiger Respekt, aufeinander Eingehen, sich Wahr- und Ernstnehmen: Poetisch und eindrucksvoll lässt sie vor dem Hintergrund des Lebens unter der Mitternachtssonne diese Verbindung täglich enger werden, den Bären mit Hilfe von Erdnussbutter von einer abgemagerten Kreatur zu einem muskulösen Prachtstück mit seidigem Fell werden und April so glücklich sein, wie nie zuvor in ihrem Leben. Aber die Zeit in der Arktis ist begrenzt und der Aufenthalt von April und ihrem Vater geht dem Ende entgegen. Was soll das Mädchen nur tun?

Eine wundervolle Ergänzung zu diesem Abenteuer sind die atmosphärisch dichten Schwarz-Weiß-Illustrationen von Levi Pinfold, von dem auch das 2022 erschienene ›Paradise Sands‹ mit liebevoll detaillierten und handwerklich überzeugenden Bildern stammt. Man freut sich über jede Seite, auf der man auf einen neuen Ein- und Ausblick in die weiße, unendliche Landschaft und die beiden Freunde stößt.

Abgerundet wird das Kinderbuch durch Quellenangaben, wo man mehr über den Schutz von Eisbären erfährt, ein Kapitel über die Ursachen der Klimakrise und schließlich »Zehn Energiespartipps, die wirklich was bringen fürs Klima« und sich gar nicht so schwierig umsetzen lassen.

| ANDREA WANNER

Titelangaben
Hannah Gold: Der letzte Bär
(The Last Bear, 2021) Aus dem Englischen von Sylke Hachmeister
Mit Schwarz-Weiß-Illustrationen von Levi Pinfold
Hamburg: von Hacht 2022
288 Seiten, 18 Euro
Kinderbuch ab 10 Jahren
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Kulturrevoltion

Nächster Artikel

Das Schlimmste ist nicht die Einsamkeit

Weitere Artikel der Kategorie »Kinderbuch«

Hereinspaziert?

Kinderbuch | Vita Sackville-West: Eine Frau von Geist Puppenhäuser, putzige Nachbildungen von Wohnungen oder ganzen Häusern im Kleinformformat, übernahmen schon vor Hunderten von Jahren eine erzieherische Aufgabe: Mädchen sollten spielerisch auf ihre spätere Rolle als Hausfrau vorbereitet werden. Die englische Schriftstellerin und Gartengestalterin Vita Sackville-West hat sich eine durchaus subversive Puppenhausgeschichte ausgedacht, freut sich ANDREA WANNER.

Wem gehört das Wasser?

Kinderbuch | John Kilaka: Schneller Hase   Für wen ist eigentlich das Wasser da? Nur für den Stärkeren? John Kilaka verpackt ein ernstes Thema in ein buntes und spannendes Bilderbuch, in eine farbenprächtige Fabel. Von BARBARA WEGMANN

Dunkle Geheimnisse

Kinderbuch | Adam Baron: Freischwimmen Es gibt Dinge, die man nicht kann und das ist nicht weiter schlimm. Es gibt aber auch Dinge, die man können sollte. Schwimmen zum Beispiel. Zuzugeben, dass man es nicht kann, ist schwierig. So zu tun, als ob man es könnt, funktioniert aber auch nicht. Cym hat ein Problem. ANDREA WANNER folgte gespannt der Lösung.

Auf der Suche nach einem Zuhause und einer Heimat

Kinderbuch | Alea Horst: Manchmal male ich ein Haus für uns

Laut UNHCR lag die Zahl der Flüchtlinge Ende 2020 weltweit bei über 26 Millionen, darunter die Hälfte unter 18 Jahren. Insgesamt waren mindestens 82,4 Millionen Menschen gezwungen, aus ihrer Heimat zu fliehen. Wir können es uns nicht vorstellen, was das bedeutet. Die Heimat, liebe Menschen und Dinge, die einem wichtig waren, zurückzulassen. Aufzubrechen ins Ungewisse, wo die grundlegenden Rechte auf Bildung, Gesundheitsversorgung, Beschäftigung oder Bewegungsfreiheit keine Gültigkeit haben. ANDREA WANNER freut sich über den Mut, darüber in einem Kinderbuch zu erzählen.

Rettende Missverständnisse

Kinderbuch | Ulf Stark: Im Himmel ist es fast genauso Ulf könnte ein kleiner Bruder geworden sein. Dass er es nicht ist, sorgt für Probleme. Von ANDREA WANNER