TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Lawine Die Sprache verändert sich, sagt Tilman, sicher, einige Worte geraten in Vergessenheit, andere tauchen auf. Nichts Neues, sagt Susanne abschätzig. Sie hat sich eine leichte Erkältung zugezogen und sich einen warmen Schal umgelegt, selbstgestrickt, lindgrün, sie trinkt einen Kamillentee, die beiden geben ein idyllisches Bild ab an diesem trüben Nachmittag. Das ist nicht so einfach, wie man glauben mag, und selbstverständlich ist es schon allemal nicht.
Menschen | Gesellschaft | Jürgen Klein: Dialog mit Koeppen Wir erleben Tag für Tag, wie der Alltag durch hoch verdichtete Kommunikation hysterisiert wird und der Aufreger von heute sich anderentags in Beliebigkeit auflöst – da entstehen zurecht Ängste, dass Eckpfeiler unserer kulturellen Tradition über kurz oder lang in dichten Nebeln verschwinden. Von WOLF SENFF
TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Gohlis
Wir beneiden sie nicht, die drei auf ihrer Terrasse in Sichtweite des Gohliser Schlößchens.
Nein, Gramner, wir beneiden sie nicht, keineswegs.
Am Ende der Welt, sie müssen sich fühlen, als erlebten sie das Ende der Welt.
Zurecht, Gramner, zurecht, ihre Welt geht dem Ende entgegen.
Es wird ebenso unsere Welt gewesen sein.
Sachbuch | Michel Dijkstra: Zen-Buddhismus. Die Kunst des Loslassens
Die Vielfalt, mit der uns der Zen-Buddhismus gegenübertritt, ist verwirrend, er ist eine reichhaltige, den Europäern ursprünglich fremde Kultur, auch wenn wir historisch gelegentlich eine Nähe wahrnehmen, etwa in den Predigten von Meister Ekkehart oder bei Johannes vom Kreuz. Andererseits finden wir ihn aktuell weit verbreitet, seine Meister in den westlichen Industrienationen pflegen eine zahlreiche Anhängerschaft, Beat-Poeten wie Allen Ginsberg oder Jack Kerouac und Ikonen des Pop wie Leonard Cohen oder Kate Bush bekennen sich zu Zen, da ist hohe Zeit für einen ordnenden Überblick, wie ihn Michel Dijkstra vorlegt. Von WOLF SENFF
TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Auf Fang
Sie waren bei Tagesanbruch in die Lagune aufgebrochen, in zwei Schaluppen, Pirelli und Mahorner im Bug, Eldin hatte gleich mit der ersten Harpune einen Treffer gelandet, es wurde ein erbitterter Kampf, die übliche blutrünstige Routine, der Ausguck mußte sich noch an derartige Bilder gewöhnen.
TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Verstehen
Ob Phantasie der Intelligenz zuzurechnen sei, fragte Farb.
Tilman tat sich eine Pflaumenschnitte auf.
Annika warf einen Blick auf das Gohliser Schlößchen.
Wie er darauf komme, fragte sie, legte ihr Reisemagazin beiseite, griff zur Teekanne und schenkte Tee nach, Yin Zhen, sie hatten wie üblich das Service mit dem Drachenmotiv aufgedeckt, rostrot, sie besaßen es auch lindgrün, Tilman hatte es, wie er sagte, aus Beijing mitgebracht, wo er einen Halbmarathon auf der Großen Mauer gelaufen war.
Da sei man sich nicht einig, sagte Tilman.
Man wisse das nicht, sagte Farb.
TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Wunderkinder
Eldins Schulter?
Kein Ende in Sichtweite.
Kann folglich noch dauern. Scammon?
Hockt achtern in seiner Kajüte über seinen Aufzeichnungen.
Läßt sich nicht blicken?
Läßt sich nicht blicken.
Der Ausguck nickte und ging in den Handstand. Thimbleman ließ einige Sekunden verstreichen, bevor er applaudierte.
TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Gefühl
Das Rauschen des Ozeans klang wie von ferne zur Ojo de Liebre herüber.
Eldin legte einen Scheit Holz ins Feuer.
Keine Ahnung, sagte Gramner, der Mensch der Moderne habe keine Ahnung, null, er stehe sprachlos vor einem Abgrund, man finde kaum eine andere Epoche, während der der Mensch dermaßen blind gewesen sei.
Der Ausguck stand auf, tat einige Schritte, löste sich in die Dunkelheit auf und schlug einen Salto.
TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Vertreibung
Farb war nicht von dieser Welt, nein, die Welt glitt an ihm vorüber, Tag für Tag, ihr hohes Tempo ließ ihn kalt, ihr verführerischer Glanz und ihre laut grölende Musik hinterließen keinen Eindruck, er war damit zufrieden, an den Nachmittagen in aller Stille einen Tee zu trinken und zu plaudern.
TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Umstände
Das werde sich wie von selbst erledigen, sagte Tilman, kein Grund sich aufzuregen, eine monströse Blase sei im Begriff zu platzen, im günstigsten Fall halbwegs geräuschlos zu platzen, seht hin, und mir nichts, dir nichts sei die Luft heraus, so etwas gehe schnell heutzutage.
Meine Güte, sagte Farb und tat sich eine Pflaumenschnitte auf.
›Follower‹ nennen sie sich und ›Influencer‹, spottete Annika, und ob sie ›Follower‹ hätten, fragte sie Tilman und Farb, nein, woher denn, sie wisse das nicht, außerdem seien diese Zeiten längst wieder vorbei, fügte sie hinzu, der Wind habe gedreht, nur daß die es gar nicht gemerkt hätten, sie hielten fest an ihrer Spaßgesellschaft, ich will immer auf dich warten.
Farb lachte. Die Zeiten seien halt schnellebig, sagte er, die Trends würden gewechselt wie die Socken, sagte er, jeder Weg hat mal ein Ende, eben noch waren die Trends medial aufgeblasen und seien doch aus der Welt gefallen, ehe man sich’s versah, ein Wimpernschlag, seien rückstandsfrei zurück geblieben, verloren, als ob es sie nie gegeben hätte, und täglich werde eine neue Sau durchs Dorf getrieben.