Götterdämmerung

Roman | António Lobo Antunes: Vom Wesen der Götter

António Lobo Antunes schreibt sich durch die Seele Portugals. Vom Wesen der Götter beleuchtet einen weiteren Aspekt der Salazar-Diktatur, diesmal aus der Warte eines Großindustriellen, der göttergleich in seiner Villa herrscht. In den Konflikten werden zwischen den Fronten jene zermahlen, die Herz und Seele eines Landes sind: Die Frauen. Sie sterben als eine Mischung aus Jungfrau Maria, Göttermutter Hera und Aphrodite. Doch sie sterben immer. VIOLA STOCKER trauert.

Vom Wesen der Goetter von Antonio Lobo Antunes
Vom Wesen der Goetter von Antonio Lobo Antunes
Cascais, ein beschaulicher Küstenort der portugiesischen Noblesse. Hier residiert in einer protzigen Villa der Senhor Doutor, der als Fabrikant, Feldherr, Berater des Präsidenten, Strippenzieher eines Krieges und Spion fungiert. Gefürchtet von seinen Angestellten, gehasst von seiner Gattin, verachtet von den Obdachlosen der Stadt hat er längst alle Ketten durchschlagen, die ihn an seine ärmliche Herkunft und an melancholische Momente seines Lebens erinnern. Als Göttervater Zeus begehrt er jede Frau, um sein Herrschaftssystem zu sichern, ist er zu allem bereit.

Spiegelbild der männlichen Seele

Lobo Antunes geizt nicht mit vielsinnigen Vergleichen zur griechischen Mythologie. Seine aus vielen Schichten gewebte Handlung der Götterdämmerung eines Magnaten begibt sich in alle Untiefen der menschlichen Seele, in jeden Morast, in alles Leid. Tiefe Hoffnungslosigkeit tränkt einen Roman, in dessen Verlauf vor allem Frauen zerschlissen werden, während die Herren der Schöpfung verzweifelt um einen würdevollen Tod kämpfen.

Eine derart verachtende Welt hat keinen Platz für die Liebe. Sie weicht dem Ehebruch, der Prostitution, der Vergewaltigung. Männer gewinnen dadurch Macht über Frauen, die zum Scheitern verurteilt sind. Die wenigen Versuche der Protagonistinnen, sich gegenseitig zu schützen, enden in Eifersüchteleien, Konkurrenzkämpfen und einem unwiederbringlichen Rückzug ins Privateste. Mütter müssen mit ansehen, wie ihre Kinder sich zu Monstren, Diven oder Huren wandeln. Ehefrauen bangen um die Treue ihrer Männer.

Dreh- und Angelpunkt der Gesellschaft

Die Villa des Senhor Doutor ist der Hauptschauplatz solchen Theaters. Von hier aus beobachtet Lobo Antunes die Menschen, die aus und eingehen. Eine alleinerziehende Mutter, Angestellte in einem Buchladen, verkehrt dort wöchentlich zu einer Zeit, da der alte Glanz schon schwindet. Die Tochter des Senhor Doutor, selbst mittlerweile eine alte Frau, empfängt sie im Wintergarten wie in einem Tempel, die Bücher dienen als Opfergaben, um aus dem Leben der Magnatentochter zu hören.

Während der Alltag der Senhora in bleierner Trauer verfließt, hat die Verkäuferin mit eigenen Dämonen zu kämpfen. Sie wurde vom Ehemann verlassen, lebt in Not mit ihrem Sohn und verliebt sich in einen Buchhandelsvertreter. Diese Liebe resultiert in einer Gruppenvergewaltigung im Keller einer billigen Pension, niemand kennt den Vater des Kindes, das sie demnächst gebären soll. Ihre Empfängnis war nicht unbefleckt, ihre Arglosigkeit ein Kardinalfehler, die Besuche bei der Senhora werden zu einem ruhigen Moment ihres zerstörten Lebens.

Nehmen und genommen werden

Wie schleierhaft ist er, der Wille der Götter? Als junges Mädchen wird die Gattin des Senhor Doutor aus dem Kinderleben gerissen, zur Tilgung der Schulden des spielsüchtigen Unternehmervaters, der dafür als Brautpreis seinen Namen und das Geschirr behalten darf. Seine Fabrik als Mitgift rundet den Handel ab, der Senhor Doutor wird vom Bankier zum Fabrikanten. Hass und Verachtung prägen eine Ehe, die droht, kinderlos zu bleiben.  Denn der omnipotente Göttergatte ist unfruchtbar. Doch, Siegfried gleich, beschließt der Doutor, seinen Butler täglich ins Schlafzimmer seiner Gemahlin zu schicken, um sie dort so lange zu vergewaltigen, bis sie ein Kind gebiert.

Über die eigene Tochter verfügt der Senhor Doutor ganz wie über seine Frau. Geschäftspartner werden mit Eheschließungen belohnt und hörig gemacht. Fallen sie in Ungnade, wird ein Autounfall arrangiert. Niemand kann dem Zorn des Doutor entgehen, Gnade lässt er niemals walten. Selbst Salazar, der tattrige Diktator, fügt sich seinem Urteil. Er steigt zum heimlichen Regenten Portugals auf, dem auch der Zweite Weltkrieg und die darauffolgenden Kolonialkriege nichts anhaben können.

Erlösung gibt es nur in der Kunst

Niemand kann in diesem Geflecht Erlösung finden. Selbst, als eine wunderschöne Fadosängerin aus der Asche der Kleinstadt sich erhebt wie ein Phönix, bröckelt das lose Mauerwerk einer dekadenten Gesellschaft weiter. Während ihre Musik für die Ewigkeiten auf Schallplatten gebannt wird, ihre Stimme in Konzerthallen Menschen zu Tränen rührt und selbst der Senhor Doutor in ihrer Gegenwart erweicht, frisst sich ein gnadenloser Tumor durch ihren Körper und wandelt sie zu einer sich zersetzenden Mumie.

Dennoch ist sie, längst im Sterben begriffen, die Einzige, die ohne Bitterkeit auf ihr Leben zurückblicken kann. Ihre Musik, ihre Stimme, schützt sie vor den Niederungen des Lebens, die Tonstudios garantieren ewigen Glanz auch, als die Villa des Senhor Doutor mit der kitschigen Venusstatue im Garten längst dem Verfall preisgegeben ist. In der Gegenwart der Fadosängerin erstrahlt selbst bitteres Leid in sanftem Glanz, die Rosen im Wintergarten des Senhor Doutor beginnen, leise zu klirren.

Alte Wunden heilen nicht

Die Zerrissenheit einer Nachkriegsgesellschaft, die oft das gleiche sieht, doch ungleich handelt, spiegelt sich in den vielen Facetten, die in Lobo Antunes‘ Glaskugel aufblitzen. Leid macht unzufrieden, das Streben nach Wohlstand führt in einen Abgrund aus Kaltherzigkeit und Bosheit. Wer dem entgehen möchte, begibt sich in ländliche Armut oder stirbt. Demokratie und Rechtstaatlichkeit müssen erst noch geboren werden. Bis sie dieses Land heilen können, hilft nur der Fado.

Dessen sehnsüchtige Trauer führt durch den Roman, der, wie in Liedstrophen verfasst, zwischen Ruinen an Strandpromenaden vom Wirken und Sterben längst vergessener Götter erzählt. Als weiser Strippenzieher schließt Antunes endlich den Vorhang des Weltentheaters und entlässt das Publikum in eine laue Abendstimmung. Wer genau hinschaut, erblickt den Obdachlosen, wie er wissend schweigend zwischen leeren Stühlen nach Schätzen sucht.

| VIOLA STOCKER

Titelangaben
António Lobo Antunes: Vom Wesen der Götter
Aus dem Portugiesischen von Maralde Meyer-Minnemann
München: Luchterhand 2018
720 Seiten. 26.- Euro
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Reinschauen
| Leseprobe

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Corona

Nächster Artikel

Auf der Suche nach dem roten Sonnenschirm

Weitere Artikel der Kategorie »Roman«

Sommer ohne Balkon

Roman | Elena Fischer: Paradise Garden

Den vielversprechenden Debütroman einer bislang unbekannten Autorin schickte der renommierte Diogenes Verlag ins Rennen um den Deutschen Buchpreis. Mit guten Gründen, denn Elena Fischers Paradise Garden kommt so hinreißend frisch und unverbraucht daher, dass man das Buch nicht mehr aus den Händen legen mag, trotz der im Grunde tieftraurigen Thematik. Doch mehrfach heißt es im Verlauf der Geschichte: alles auf Anfang. Von INGEBORG JAISER

Tugend und Sünde

Roman | Zum 80. Geburtstag von Isabel Allende erscheint der Roman ›Violeta‹

Da ist wieder eine der typischen Frauenfiguren von Isabel Allende: kämpferisch, selbstbewusst und manchmal ihrer Zeit auch etwas voraus. Und doch ist Violeta, die Protagonistin des 26. Romans aus der Feder der chilenischen Erfolgsautorin, die seit vielen Jahren in den USA lebt, etwas anders. Von PETER MOHR

In Ungnade gefallen

Krimi | Qiu Xiaolong: Schakale in Shanghai Oberinspektor Chen Cao ist wieder da. Wenn auch nicht ganz. Denn der in seiner Freizeit als Dichter und Übersetzer tätige Mann ist von seinem Posten bei der Shanghaier Polizei entfernt worden. Plötzlich sieht er sich als Direktor an der Spitze eines Komitees für Rechtsreformen. Und weiß nicht, wem er diesen merkwürdigen »Aufstieg« zu verdanken hat, der ihn und die Seinen alsbald ins Fadenkreuz mächtiger Männer ohne jeden Skrupel befördert. Schakale in Shanghai heißt das neue Buch von Qiu Xiaolong. Eine Rezension von DIETMAR JACOBSEN

Große Erwartungen

Jugendbuch | Antonia Michaelis: Nashville oder das Wolfsspiel Eine neue Stadt erobern, den nächsten Schritt in einem spannenden Studienfach zu machen, Menschen kennenlernen und die Liebe, vielleicht sogar die große, kann es für junge Menschen mit achtzehn, neunzehn Jahren etwas Aufregenderes geben? Mit großen Erwartungen marschieren sie in das Leben. Aber der Weg ist voller Stolpersteine und Fallen und sie zeigen sich früher, als man es gedacht hat. Antonia Michaelis schickt in Nashville oder das Wolfspiel ihre junge Heldin auf einen Weg, der mehr Schrecken birgt, als diese je erwartet hätte. Von MAGALI HEISSLER

Mit aller Konsequenz

Jugendbuch | Sabine Ludwig: Am Ende der Treppe, hinter der Tür Wer unglücklich ist, sieht oft nur noch sich. Das gilt besonders für Teenager. Gefühle empfinden sie in voller Stärke. Das trübt den Blick auf die eigentliche Lage der Dinge, das Handeln folgt überstürzt und undurchdacht. Es fehlt noch die Lebenserfahrung, die hilft, auf Distanz zu gehen und über die Folgen des Tuns nachzudenken. Die Folgen müssen nämlich auch Teenager tragen, davor gibt es keinen Schutz. Sabine Ludwig lässt in ihrem Jugendthriller Am Ende der Treppe, hinter der Tür ihre sechzehnjährige Heldin eine solche Situation mit aller Konsequenz durchleben. Von