Neues vom Krimitraumschiff

Krimi | Camilla Läckberg: Die Totgesagten

JUDITH HAMMER über den zuletzt auf Deutsch erschienenen Roman der Auflagen-Krimikönigin Schwedens, Camilla Läckberg.

Die TotgesagtenEs hat wieder Anker geworfen im kleinen Hafen von Fjällbacka, das Krimischiff mit der altgedienten Crew. Da steht das vertraute Polizeirevier Tanumshede, die Uniformen leicht zerknautscht, auf der Kommandobrücke. Steuermann Patrik wäre ohne Chefstewardess Erica verloren, denn nur sie kann ihm neuen Mut geben, wenn er vor lauter Nebelschwaden die Fahrrinne aus den Augen verliert. Deshalb wird er sie jetzt endlich heiraten.

Bertil, der selbst- und diesmal auch fremdverliebte Kapitän, hat nur noch Repräsentationspflichten und kann nicht viel Unheil anrichten. Dafür darf er am festlichen Finale in der Kirche von Fjällbacka teilnehmen. Für den Leser ein Ausflug mit kalkuliertem Risiko, er kennt die Personen von früheren Episoden und vertraut sich ihnen an. Er weiß, es wird viel zu sehen und zu fühlen geben, aber am Ende überleben die meisten der Guten. Und die vorbeiziehende Landschaft ist sehenswert. 

Quote für Tote

An Bord: Eine Reality-Soap. In der TV-Produktion ›Raus aus Tanum‹ tauschen die Darsteller Privatsphäre gegen Publicity und bringen Unruhe in die überschaubare Gesellschaft. Als zuerst eine Frau stark alkoholisiert verunglückt, und der Müllmann dann noch eine der Kandidatinnen ermordet in einer Abfalltonne findet, steigt mit den Einschaltquoten auch das Arbeitspensum der Polizei. Unterstützung kommt in Gestalt der neuen Kollegin Hanna, die sympathisch ist, aber bei der irgendetwas nicht stimmt. Das merkt der Frauenversteher Patrik sofort.

Die Ermittlungen zeigen Verbindungen zu ungelösten Todesfällen in ganz Schweden. Alle Opfer starben mit einem hohen Blutalkoholgehalt, und eine Seite aus dem Märchen ›Hänsel und Gretel‹ liegt in ihrer Nähe. Auch die Lösung liegt nahe, aber bis die Mannschaft das erkennt, fördert sie noch einige Details zutage, damit die Reisegesellschaft auf dem Sonnendeck Redestoff hat. Patrik bleibt bei all dem kaum Zeit, sich auf seine Hochzeit mit Erica vorzubereiten. Während diese mit Patriks Mutter um die Sitzordnung der Verwandtschaft ringt, lösen die Polizisten endlich den Fall, kurz bevor der Hochzeitsmarsch ertönt.

Vertraute Muster

Camilla Läckberg legt auch in diesem Krimi ihre bekannte Schablone an. Eine bunte Auswahl von Personen illustriert den Roman mit ihren Lebensgeschichten; daraus entwickelt die Autorin schnell ausreichend Verdächtige, damit es für den Leser nicht zu einfach wird. Sie springt zwischen den Handlungssträngen hin und her und wechselt die Perspektiven; wieder setzt Läckberg Rückblenden ein, um den Bogen in die Vergangenheit zu schlagen. Diesmal sind es meist diffuse Selbstgespräche; sie halten nicht mit den Ereignissen Schritt und wirken langatmig. Die Lösung des Falles – ein verlassenes Kind, das sein Leben lang Rache übt – kreist die Autorin langsam ein und eröffnet dabei Einblicke in aktuelle Themen von Borderline-Syndrom bis Talentshows.

Viel Raum bekommt die persönliche Geschichte von Erica und ihrer neuen Rolle als Mutter, wie schon in ›Die Töchter der Kälte‹. Sprachlich eingängig mit abgegriffenen Ausreißern ist ›Die Totgesagten‹ eine Lektüre für den Feierabend, nicht für den Literaturzirkel.

| JUDITH HAMMER

Titelangaben
Camilla Läckberg: Die Totgesagten
(Olycksfågeln, 2006) Deutsch von Katrin Frey
Berlin: List 2009
412 Seiten, 19,90 Euro
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Die Bedeutung der Nebengeräusche

Nächster Artikel

Das System der Kunst

Weitere Artikel der Kategorie »Krimi«

Ein postmodern designter Käptn Haddock

Film | Im TV. Tatort – 907 Der Hammer (WDR), 13. April Wir beneiden den Busfahrer um seine Blitzreaktion, absolut, wir fühlen Schmerz mit einem Obdachlosen, sind angefressen von einem 1,6‰-Jugendlichen im 3er-BMW – was so ein Sturz vom Dachgeschoss alles auslöst. Nein, menschenfreundlich geht’s nicht zu, davon kann keine Rede sein. Ein Bauunternehmer wird in seinem Büro mit Säure attackiert, mit einem Hammer erschlagen und durchs Fenster gestürzt, da ist wohl jemand außer Rand und Band und leistet ganze Arbeit. Von WOLF SENFF

Rufschädigend

Film | Im TV: ›TATORT‹ – Der Irre Iwan (MDR), Neujahrstag, 20.15 Uhr »Wie viele Mitarbeiter beschäftigen Sie?« – »Dreiundsechzig, nein, entschuldigen Sie, zweiundsechzig. Ich hatte Frau Kleinert noch mitgezählt!« Korrekt gezählt ist unverzichtbar, und Sie merken schon, dieser Film will witzig sein, das könnte ja ein wertvoller Vorsatz sein, und kühler Witz, klug gehandhabt, kann jeden ›TATORT‹ bekömmlich würzen. Von WOLF SENFF

New Orleans im Ausnahmezustand

Krimi | James Lee Burke: Sturm über New Orleans New Orleans im Ausnahmezustand. Nach Hurrikan »Katrina« herrscht das Chaos in der zu drei Vierteln überfluteten Stadt. Fast 2.000 Tote, unzählige Obdachlose und eine US-Regierung, die mit der Katastrophe nicht zurechtkommt, ganze Stadtteile tagelang sich selbst überlässt. In dieser Atmosphäre lässt James Lee Burke (*1936 in Houston/Texas) seinen 16. Dave-Robicheaux-Roman spielen. Es ist sein zornigster und einer, der sich ohne Wenn und Aber auf die Seite jener stellt, die, wie der Autor schreibt, sich mit Recht als die Opfer eines unerhörten Verrats der Regierenden an der eigenen Bevölkerung sehen dürfen. Mit

Billig und Boulevard

Film | Im TV: ›TATORT‹ Borowski und der Himmel über Kiel (NDR) , 25. Januar Eingeblendete Bildfetzen, Dunkelheit, viel Geräusch, ein Leichnam, eine Axt, zwei Beine von Täterin/Täter, das ist schon allerhand und war nur Vorspann, von der Leiche gibt’s bis auf weiteres nur Kopf. Rätselhafte Heimat Schleswig-Holstein. Von WOLF SENFF

Von Tod und Tofu

Roman | Christine Lehmann: Allesfresser Lisa Nerz ohne ihre berühmte Lederjacke? Da muss etwas ganz Besonderes geschehen sein. Ist es auch: Im Internet wird zum Mord aufgerufen. Tod denen, die töten! Denn: »Tiere zu essen ist nicht weit vom Kannibalismus entfernt.« Und warum sollte der, der den Tod von Millionen Kreaturen gutheißt, nicht ebenfalls über den Jordan geschickt werden? Christine Lehmann ist mit ihrem elften Lisa-Nerz-Krimi wieder ein provokantes Stück Literatur gelungen. Nach seiner Lektüre schaut man die Fleischpakete im Supermarkt jedenfalls mit anderen Augen an. Von DIETMAR JACOBSEN