Im Comic ›Fleischeslust‹, der jüngst in der Edition Moderne erschien, geht´s um die Wurst. Er erzählt von Erwin, einem Metzger, dem die Kunden wegbleiben – als Milieustudie, Berufsporträt und Beziehungsdrama. Martin Oesch, Illustrator und gelernter Metzger, inszeniert den Band leichtfüßig und reichhaltig, humorvoll und menschlich. Von CHRISTIAN NEUBERT
Erwin Merz ist Metzger mit eigenem Laden. Einem Traditionsbetrieb, der schon seit 1892 besteht. Er führt ihn mit seiner Frau Margrit. Doch es läuft nicht mehr so gut. Kein Wunder, denn »ich gehe auch nicht mehr so oft zu den Merzens, seit wir den Litl um die Ecke haben«, wie jene Dame sagt, die einst zu Erwins treuen Kunden zählte. »Das ist doch nicht wegen dir«, beschwichtigt sie ihr Mann. »Das Problem sind die Veganen und die Ausländer, die kein Schwein essen!!! Eine Sauerei ist das, eine verdammte!!!«
Keine Sorge: Erwin selbst ist nicht so einer. Er meint sein Problem nicht im Stadtbild zu erkennen, wie jener Zeitgenosse oder dieser Kanzler gleichen Nachnamens. Er weiß, dass es die Großbetriebe sind, deren Billigfleisch die Discounter fluten. Und auch die ansässigen Gastwirte, die sich kein Fleisch aus regionaler Zucht leisten können oder wollen. Weil es eben nicht so ist wie in der eingangs erwähnten Stammtischparole: Die Herkunft ist völlig egal. Zumindest, wenn´s um die Wurst geht.
Alles hat ein Ende
Immerhin kommen noch die Kleintierhalter zu Erwin, denen der Tierarzt zu teuer ist, wenn etwa das krank gewordene Meerschweinchen eingeschläfert werden soll. Was ansonsten regelmäßig kommt? Alpträume. Denn neuerdings wird er nachts von den Tieren heimgesucht, die er im Laufe der Jahrzehnte fachmännisch tötete, zerlegte und verwurstete. Meerschweinchen inklusive.
Ein Metzger als Comicheld? Ja – in »Fleischeslust« von Martin Oesch. Für sein erstes großes Comicbuch schöpft der 33-jährige Berner aus dem Vollen seiner Professionen: Oesch ist studierter Illustrator, gelernter Metzger und Mitbegründer einer Biometzgerei. Er weiß, wovon er spricht, wenn er seine Leser hinter die Wursttheke führt und in die hauseigene Produktion, den Schlachthof oder die Tierkörpersammelstelle mitnimmt. Und findet starke Worte für eine lebendige Erzählung, die nüchtern betrachtet, statt einseitig Stimmung zu machen.
Geschnitten oder am Stück
›Fleischeslust‹ ist Milieustudie, Berufsporträt und Beziehungsdrama. Denn auch das abgekühlte Verhältnis zwischen Erwin und Margrit ist Thema. Es wird den flott erzählten Comic noch in ganz andere Gefilde locken – überraschend, humorvoll und menschlich. Überhaupt zeichnen diese Eigenschaften den gesamten Band aus, und nicht zuletzt auch die schiere Handwerkskunst – was wichtig ist, im Comic wie beim Metzger.
Oesch zeichnet und koloriert mit Filzstiften, was ›Fleischeslust‹ detailreich und in satten Farben zum Leben erweckt. Rottöne dominieren die Gesichter und Gliedmaßen sowie die Auslage der Wursttheke, gelb und grün nuancieren, setzen Akzente und schaffen Tiefe, ein tiefes blau kontrastiert die Kompositionen und färbt Erwins Albträume, wobei Oesch gerade hier zu eindringlichen Hochformen aufläuft. Das wirkt manchmal etwas roh, schafft aber expressive Layouts, die pulsieren und atmen, weswegen man als Leser stets hautnah dran ist.
Dass das ein Hochgenuss ist, obwohl der Comic einen ins Schlachthaus und mehrmals auch aufs Klo schickt, soll Oesch erstmal einer nachmachen.
Titelangaben
Martin Oesch: Fleischeslust
Zürich: Edition Moderne 2025
200 Seiten. 29 Euro.
Reinschauen
| Leseprobe auf der Verlagswebseite
| Webseite des Künstlers: Portfolio – Tinu Oesch – Illustrator und Kulturschaffender aus Bern

