»Der letzte Tag des Howard Phillips Lovecraft« ist gekommen – 86 Jahren nach dem Tod des Autors auch in Comicform, unter gleichem Titel. Der kunstvolle Band, der in deutscher Übersetzung jüngst im Splitter Verlag erschien, besucht den Literaten am Sterbebett – und entführt von dort aus in albtraumhafte Bilderwelten, die den finalen irdischen Akt des Literaten illustrieren. CHRISTIAN NEUBERT hat sich dort staunend umgesehen.
Howard Phillips Lovecraft ist nicht totzukriegen. Der US-amerikanische Autor verstarb zwar am 15. März 1937 im Alter von 46 Jahren, doch sein Werk ist längst unsterblich. Schon zu Lebzeiten wurden seine Geschichten, die sich großteils um den von ihm ersonnenen Cthulhu-Mythos ranken, von anderen Schriftstellern weitergesponnen. Dies gipfelte schnell in einem eigenständigen Erzählkosmos, der nach wie vor bereichert, referenziert, parodiert und vermarktet wird – in jeder nur erdenklichen Form und Gattung. Die Palette reicht von Skulpturen, Songs und Gedichten über Bühnenstücke, Filme und Serien bis zu analogen und digitalen Spielen sowie Merchandise-Artikeln wie T-Shirts und Plüschkissen.
In Comic-Form sind beispielsweise die Lovecraft-Adaptionen und -Meditationen ›Provicence‹ von Alan Moore, ›Lovecraft‹ von Alberto Breccia oder »Vom Jenseits und andere Erzählungen« von Erik Kriek gelungene Beispiele für die reichhaltige Rezeption des Horrorautors. Auch seine immense Korrespondenz wurde künstlerisch erschlossen und verlegt. Letzteres zumindest teilweise: Lovecraft schrieb viele Tausend Briefe. Der Lovecraft-Biograph S.T. Joshi geht von mehr als 87.000 Briefen aus. Lange Briefe, von denen einige schon mal 70 Seiten umfassen.
Das ist nicht tot, was ewig liegt, …
Nun wurde auch Lovecrafts Tod zum Erzählstoff erhoben. Oder besser gesagt: ›Der letzte Tag des Howard Phillips Lovecraft‹ – so der Titel des Comics von Romuald Giulivo und Jakub Rebelka. Der an Darmkrebs leidende, sterbenskrankte Autor verbrachte seinen letzten Tag von starken Schmerzmitteln umnebelt in seinem Krankenbett des Spitals von Providende, Rhode Island. »Der letzte Tag des Howard Phillips Lovecraft« geleitet den Leser direkt dorthin. Und konfrontiert sein delirierendes Subjekt – ganz wie in Charles Dickens Weihnachtsgeschichte – mit den Geistern seiner Vergangenheit. Und sogar mit denen der Zukunft. Mit geistigen Heimsuchungen, die dem Comic eine episodische Struktur verleihen, während alles von Briefauszügen, Zitaten und Sekundärwissen gesäumt ist.
Zunächst schaut Randolph Carter vorbei, eine fiktive Figur aus Lovecrafts Werk, den Kenner als Alter Ego des Autors betrachten. Ihm folgt seine Frau Sonia, die er 1924 heiratete und deren Ehe ein paar Jahre später in die Brüche ging. Der Zauberkünstler Harry Houdini, für den Lovecraft einst als Ghostwriter fungierte. Oder die Autoren Steven King, Neil Gayman und Alan Moore, die gut und gerne in den Fußstapfen Lovecrafts stehen, diesen längst entwachsen sind und ihm als eine Art Literatur-Triumvirat begegnen.
Bis dass der Tod, ihr wisst schon
Was Lovecraft bei alldem im Morphiumrausch durchlebt – oder eher: erstirbt – ist auch für den Leser eine rauschhafte Erfahrung. Genährt wird sie zuallererst von den alptraumhaften Zeichnungen Rebelkas. Kosmisch-psychedelische Bilderfluten umnachten in diesen die naturalistischen Dekors, bis schließlich alles in organisch-grotesken Körperwelten und schauderhaft-morbiden Verwesungsfantasien aufgeht und auf abseitig-jenseitige Abgründe zusteuert, während den Worten zunehmend der Schrecken abhandenkommt, weil sie mehr und mehr ausbleiben.
Die Bilder sind es schließlich auch, die den Band von Anfang bis Ende tragen. Sie erheben die rund 110 Comicseiten zu einer intensiven Lektüre – solange man mit Lovecrafts Werk und Person vertraut ist. Eine Einschränkung, die wohl für die meisten biographischen Stoffe gilt. Fans des Autors können hier jedoch beherzigt zugreifen. Sie finden zwar nichts Neues über die Person Lovecraft heraus, dürften aber schon länger nichts Besseres über ihn gelesen haben.
Titelangaben
Romuald Giulivo (Text) / Jakub Rebelka (Zeichnungen): Der letzte Tag des Howard Phillips Lovecraft
Aus dem Französischen von Harald Sachse
Bielefeld: Splitter Verlag, 2024
144 Seiten, 25 Euro
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