Joe Casey/Piotr Kowalski: Sex 1. Ein Steifer Sommer
Ein Superheld lässt seine selbstjustiziare Berufung hinter sich, um ein sogenanntes normales Leben zu führen – inklusive jener weltlichen Versuchungen, die die Welt für Normalsterbliche bereithält. Aber genügt ihm das? Genügt ihm »Sex«? CHRISTIAN NEUBERT wirft einen Blick hinter die abgenommene Maske.
Nach zehn Jahren im Dienste der maskierten Selbstjustiz lässt sich Simon Cooke da blicken, wo er im Grunde eh schon immer hingehört: In der Chefetage seines eigenen millionenschweren Konzerns. Dass er dort fehlplatziert ist, wird aber schnell augenscheinlich: Es fällt ihm schwer, sich im Wust von Quartalszahlen, Hochrechnungen, Unternehmenssteuerschlupflöchern und Wachstumsprognosen zurechtzufinden. Vor Kurzem noch hat er alles Geschäftliche delegiert. Nun aber, wo sein Cape am Haken hängt und er stattdessen seinen CEO-Posten wahrnehmen möchte, sieht er sich selbst mit dieser Aufgabe konfrontiert. Es sollte zu schaffen sein – immerhin hat er einen ganzen Apparat um sich herum, der ihn unterstützt; er befindet sich unter Freunden. Doch wie sagt er so schön: »Tja … noch was, woran ich arbeiten muss.«
Cooke, der seine Superheldenkarriere in Saturn City auf Eis gelegt hat, weiß plötzlich, was ihm inmitten seiner Freunde fehlt – denn ihm fällt auf, was er an seinen Feinden hatte. Das Leben ist plötzlich so arm an Action, so ohne Höhepunkte. Und unverbindlicher Sex ist irgendwie auch nicht das, wofür er sich begeistern kann. Er, der alles hat oder haben kann, vermisst etwas. Ganz besonders, so scheint es, jene Frau, die ihm früher mal, ebenfalls mit Kostüm und Maske, handfest Paroli bot und die heute, so wie er, ein bürgerliches Leben führt. Naja: solange man das sagen kann über eine Frau, die ein Bordell betreibt.
Die Unter- der Parallelwelt
Gleichzeitig braut sich was in Saturn City zusammen: All die Gangs und Psychopathen formieren sich neu, denn die Stadt hat ihren maskierten Rächer und Beschützer verloren. Es gilt, sich neu zu positionieren, seine Vormachtstellung auszubauen. Nicht wenige riechen diesen Braten: Ein narbengesichtiger Mobster, eine von narzisstischen Schönlingen geführte Gang, ein junger Dieb, der als Spülhilfe eines Restaurants kaum unauffälliger sein könnte, ein verwahrloster Herr, der schwer zu durchschauen ist und offensichtlich eine merkwürdige Auffassung von Humor hat. Und das war wohl erst die Spitze des Eisbergs.
Ruhig Blut
Mit »Sex« etablieren Autor Joe Casey und Zeichner Piotr Kowalski ein weiteres Superheldenuniversum, das auf Realismus setzt. Das steht ihm gut, diesem ›Steifen Sommer‹, so der Untertitel des Bands. Er versammelt die ersten acht Kapitel der Reihe – einer Reihe, die sich erfreulicherweise viel Zeit nimmt, um Saturn City und seine helden- bzw. schurkenhaften Bewohner vorzustellen. Das bedeutet zwar, dass es in den vorliegenden 160 Seiten keine Superheldenaction gibt. Dafür bekommt das Storytelling genügend Raum beigemessen, um Handlungsfäden glaubhaft zu knüpfen und Spannung zu gebären. Im Gegensatz zu dem, was der Titel vielleicht verspricht, ist Sex dabei nicht gerade omnipräsent. Aber er findet statt; Lack und Leder sind hier auf andere Weise Arbeitskleidung als in herkömmlichen Superheldencomics. Ob er, also der Sex, für den zurückhaltenden Cooke Kryptonit oder Waffe ist, wird wohl der Folgeband zeigen …
Mit Zurückhaltung ging übrigens auch Piotr Kowalski ans Werk, als er ›Sex‹ in Bilder umsetzte. Klar möchte er nicht auf die knallige, für Superheldenstories typische Optik verzichten. Er bettet sie allerdings in Seitenlayouts, die insofern erfrischend sind, als dass sie nicht ständig Splashpages bemühen. Auf diese Weise in Ordnung gebracht und gehalten, schreitet die Story übersichtlich voran und gewährt der Story auch auf graphischer Seite gebührendem Raum. Dass dabei nicht nur das Eskapistische, sondern auch das Fetischistische im und am Superheldending entlarvt wird, ist eh klar.
Titelangaben
Joe Casey (Story)/Piotr Kowalski (Zeichnungen): Sex 1. Ein Steifer Sommer
Stuttgart: Panini 2014
160 Seiten. 17,99 Euro
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