Von selbst im Hirn installiert

Musik | The Tall Ships: On Tariffs And Discovery

Es gibt Bands, die sind eine Sensation, obwohl oder gerade weil sie ziemlich unauffällig daherkommen. Und eigentlich bedeutet das einen denkbar ehrenvollen Ritterschlag. KRISTOFFER CORNILS erhebt The Tall Ships für On Tariffs And Discovery in den Adelstand.

The tall shipsIm Gegensatz zu einer Vielzahl von Kollegen poltern The Tall Ships nicht mit Gewalt an die Vordertür rein, sondern üben sich in der subtilen Kunst des Schleichens. Das über die eigentlich ausgetretenen Pfaden des Indie Rocks beziehungsweise Math Rocks, aber doch mit einer ganz eigenen Note und einem unaufdringlichem Sound, der sich ganz wie von selbst im Hirn installiert.

Es ist ein unvergleichlich stimmiges Zusammentreffen von präzise-behäbig groovenden Drums, einem vollem Bass und zurückhaltend crunchigem Gitarrensound mit leichtem 60es-Anklang. Das alles schreit nach sattem Vinyl, und das tschechische Label Minority Records gibt dem statt.

Keine verhaltensauffällige Combo

Klimaxe gibt es wenige auf On Tariffs and Discovery, The Tall Ships setzen vielmehr auf zurückhaltende Dynamiken und nachdrückliche Wiederholungen. Es ist die Kunst des Fastzuwenig, des Geraderichtigs: In D for Dogs baut sich ein grandioses Gitarrensolo im Hintergrund auf und verebbt dann sofort wieder, Sharks Teeth Under Glass baut sich bedächtig mit gedämpftem Gitarrenarpeggio und sperrigen Power Chords auf, nur um dann kurz vor den eruptiven Qualitäten eines Indie-Gassenhauers wieder auszuhallen.

Destroy A Village hat, was man einen knackigen Refrain nennen kann, aber die Hookline bleibt aus. Die trotz des musikalischen Reduktionismus vorhandene instrumentale Vielfalt wird durch die stimmliche noch ergänzt. Die Gesangslinien von Steve Kuhn und Kyle Conwell lassen mal ganz der Musik den Vorzug, steigern sich energisch-dramatisch, werden dann wieder hintergründig moduliert. Nichts, was danach schreit, dass man es im Club mitgrölt, sondern genau das Richtige, um es morgens in die Kaffeetasse zu summen, bevor der Tag losgeht.

The Tall Ships sind keine verhaltensauffällige Combo mit egomanischen Mitgliedern und zwei, drei Smash Hits im Gepäck, das sind Musiker, die genau wissen, was sie wollen und, noch wichtiger, was nicht. Die Band entwickelt Ausdrucksstärke durch Nachhaltigkeit, schliddert allzeit glücklich an der banalen Eingängigkeit vorbei und behält so ihre eigene sublime Note, die niemals zu aufdringlich wird.

| KRISTOFFER CORNILS

Titelangaben
The Tall Ships: On Tariffs And Discovery
Erschienen bei: Minority

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Geniale Fingerübung

Nächster Artikel

Aus dem Schatzkästlein der Hochstapler

Weitere Artikel der Kategorie »Platte«

Großstadt-Klangkleingärten des Indie-Rock

Musik | The Town Heroes: ›Everything‹ / Juanita Stein ›Get Back To The City‹ Einfach mal Songwritern zuhören, die wie Typen aus dem Nachbarschaftsviertel wirken: Das sind die Indie-Rocker The Town Heroes aus Halifax in Kanada. Könnte man doch schon lang mal vorbeischauen. Demnächst sind sie in Deutschland auf Bühnen. Mit grobkörnigem Songmaterial, fein abgestimmten Harmoniegesängen und gitarrenlastig ausgefeilten Arrangements. Dazu garnieren sie nun auch ironisches Gehabe. Von TINA KAROLINA STAUNER

A Girl Walks Home Alone At Night With Her Headphones On: June’s New Singles Part 2.

Music | Bittles’ Magazine: The music column from the end of the world Just in time for the sanitised hedonism of Ibiza, May and June have brought a slew of turgid house ‚bangers‘ that are so tired and uninspiring they make the decision to insert red hot pokers into both your ears seem like an extremely good idea. Yet, trust me when I tell you that there is some wonderful music out there. To prove the point this follow-up to last weeks article highlights some more amazing singles and EPs, from the likes of Robag Wruhme, Gardens Of God. Felix

Back in the timeline. Das Jahr 1967 in der Musik- und Kulturgeschichte

Musik | The Beatles: Reissue ›Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band‹ Vor 50 Jahren lieferten The Beatles, The Stones. The Doors Hits ab, aber auch The Monkees, The Supremes, Bobbie Gentry, Aretha Franklin. Um nur besonders Namhafte genannt zu haben. 1967 veröffentlichten auch Rock-Musiker wie Jimi Hendrix, Janis Joplin und Velvet Underground & Nico. Jede Nachfolgegeneration nahm Musik aus diesem Jahr wichtig. Ein Rückblick von TINA KAROLINA STAUNER

Towards A Dubb Everlasting: New Album Reviews

Music | Bittles’ Magazine: The music column from the end of the world As I write this I have cocooned myself in a semi-professionally built pillow fort which I am hoping will withstand the coming winter months and keep me protected and warm. Right now the outside world seems so hideous that hibernating for as long as humanly possible seems like an excellent idea. Therefore, for the next few months I shall be hibernating with nothing but my loved one, a bumper packet of M&Ms and a batch of great music to keep me company. By JOHN BITTLES

Free Jazz & Free Space & Impro

Musik | ›Celebrate Ornette‹ Legende des Free Jazz, Harmolodics-Erfinder und Extrem-Ästhet Ornette Coleman lebt seit dem 11.06.15 nicht mehr. Er wurde 85 Jahre alt. Ergänzend zu seinem umfangreichen Œuvre gibt es in memoriam aktuell die Edition Box ›Celebrate Ornette‹. TINA KAROLINA STAUNER erinnert sich an eine seiner Shows der vergangenen Jahre und ihre Begegnung mit ihm beim Jazzfestival Saalfelden 2009.