Pub und Pogo

Musik | Skinny Lister: Down on Deptford Broadway

Die Londoner Folkband Skinny Lister versucht, den Pubfolk alter Tage mit rotzigem Punk zu kombinieren. Jetzt ist ihr zweites Album erschienen. Von MARTIN SPIESS

skinnyFolk hat es, wie jede andere Spartenmusik, nicht leicht – auch trotz Mumford & Sons und The Tallest Man On Earth, die dem Genre vor ein paar Jahren mit fußstampfenden Beats und sentimentaler Seufzerei zu einem Comeback verhalfen. Hält sich eine Band aber stilistisch nah am ursprünglichen Sound der Shanties, Trinklieder und Sehnsüchteleien über Liebe und Heimat auf, riecht das schnell nach Schlager.

Bei Schlager ist es nicht weit zum Pub-Hintergrund-Gedudel – dass man so nennen könnte, wenn diese Formulierung nicht zahllose traditionelle Folkmusiker dazu veranlassen würde, in die Scheune zu steigen, um sich Sense, Fackel und Mistforke zu angeln. (Da ist es von Vorteil, dass die meisten von ihnen eh schon im Heu liegen und sich mit den Schafen vergnügen.)

Kein eingängiger Pop, keine Zitate, keine Anspielungen

Die englische Band Skinny Lister aber, deren zweites Album ›Down on Deptford Broadway‹ vergangenen Freitag erschienen ist, versucht, den schmalen Grad zwischen Kitsch und Coolness zu meistern, indem sie traditionellen und modernen Folk miteinander verbinden. Pub und Pogo, sozusagen.

Auch sie singen vom Trinken ohne Ende, von verflossenen Lieben und der Heimat. Ihr Songwriting mäandert zwischen klassisch-folkigen Balladen (›Six Whiskies‹), modernem Tanzfolk (›Cathy‹) und beinahe punkigen Nummern wie der ersten Single ›Trouble on Oxford Street‹.

Die sechs Londoner – eine Frau und fünf Männer – entscheiden sich dabei ganz bewusst gegen eingängigen Pop voller Zitate und Anspielungen, sie erlauben sich getragenen Pathos und minimalistische Sauflieder, dudelige Akkordeonmelodien und gezupfte Gitarren mit klagendem Frauengesang. Sie lieben ihre Heimat, sie leiden an der letzten Trennung, aber sie wissen, dass es nicht weit ist, bis zum nächsten Pub und dass dort ein Freund wartet, um Drink und Schulter zu spendieren.

Hippe Londoner in rauer Seeluft

Am besten bringt die Band-Philosophie das Video auf den Punkt, das sie zu ›Cathy‹ gedreht haben: Darin treten sie zu einem Aal-in-Gelee-Esswettbewerb in Hastings Old Town, an der Südküste Englands, an. Es weht raue Seeluft und faltige Männer und zerknautschte Frauen schauen zu, wie die jungen, hippen Londoner in die Bar ›Lord Nelson‹ kommen, um jellied eels zu essen. Mit ihren Tattoos, den bis zum Kragen zugeknöpften Karohemden, den weißen Unterhemden, Hipsterfrisuren und Schnauzbärten wirken sie deplatziert und sie verziehen die Gesichter, während sie essen. Aber allein der Versuch beschert ihnen die (Hoch-)Achtung der Einheimischen. Gitarrist, Schnauzbart- und Karohemdträger Sam »Mule« Brace gewinnt mit 14 Schalen Aal in Gelee – nur um sich zum Ende des Videos bei einer Bude eine weitere Schale zu holen und in Richtung Horizont zu laufen.

Und es wird deutlich: wenn es jemandem gelingen könnte, Pub und Punk, Folklore und Großstadt, Pathos und Pogo zu verbinden, dann Skinny Lister.

| MARTIN SPIESS

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Günter Grass – Erinnerungen an die Zukunft

Nächster Artikel

Und sie bewegt sich doch?

Weitere Artikel der Kategorie »Platte«

Music Restricted Area: April’s New Albums Reviewed

Music | Bittles’ Magazine: The music column from the end of the world To say that there are some great albums out this month is a bit like saying that David Cameron is a little bit dodge. Amongst these new aural gems are the sublime electronica of Sasha, Yoshimi, Moderat and Dino Sabatini, the funked-up house of Potions, the alien beats and rhythms of Babyfather and Ash Koosha, the fuzzed-up guitar noise of Bleached, and more. By JOHN BITTLES

In praise of old Noise: March new album reviews. Part 2

Music | Bittles’ Magazine: The music column from the end of the world There has been a bit of controversy recently about the amount of reissues clogging up our record stores‘ shelves. For instance, some have argued, correctly in my opinion, that the glut of re-released albums is harming new music. You only have to pop into your local record emporium, or look at the release list for this year’s Record Store Day to see how this could be a problem. Yet, the humble reissue does have its place! By JOHN BITTLES

Underworld – Barbara Barbara, we face a shining future: Album review

Music | Bittles’ Magazine: The music column from the end of the world After almost three decades in the music business electronic duo Underworld have been reasonably quiet of late. Yet, even though there has been no new Underworld material in the last six years, neither of the duo have been sitting around twiddling their thumbs. Vocalist Karl Hyde has released a pair of albums with ambient icon Brian Eno as well as his debut solo LP Edgeland. Rick Smith, meanwhile has scored both Danny Boyle’s acclaimed Frankenstein production and the film Trance. Together they also directed the music for

Die Sammler der Herzen

Musik | Album: Fettes Brot Keine andere Band hat die Hamburger Hiphopszene so geprägt, wie »Fettes Brot«. Die Gründer: Doktor Renz, König Boris und Björn Beton sind seit 1995 aus der deutschen Musiklandschaft nicht mehr wegzudenken. Besonders legendär aus diesem Jahr war und ist ihr Titel »Jein«, mit dem sie deutschlandweit bekannt wurden. Und das lange, bevor die Herren von »Deichkind« mit dem Hinterteil zu »Bon Voyage« wackelten. ANNA NOAH hört in die allerneueste Brot-CD namens »Lovestory«.

Kein fauler Zauber

Musik | Darjeeling: Hokus Pokus Das Album ›Hokus Pokus‹ von Darjeeling ist eine wirklich überraschende Reise in die verworrenen Labyrinthe der Musik und fordert die absolute Hingabe des Hörers. MARC HOINKIS ließ sich verhexen.