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Die Sammler der Herzen

Musik | Album: Fettes Brot

Keine andere Band hat die Hamburger Hiphopszene so geprägt, wie »Fettes Brot«. Die Gründer: Doktor Renz, König Boris und Björn Beton sind seit 1995 aus der deutschen Musiklandschaft nicht mehr wegzudenken. Besonders legendär aus diesem Jahr war und ist ihr Titel »Jein«, mit dem sie deutschlandweit bekannt wurden. Und das lange, bevor die Herren von »Deichkind« mit dem Hinterteil zu »Bon Voyage« wackelten. ANNA NOAH hört in die allerneueste Brot-CD namens »Lovestory«.

Unvergesslich Brot-Hymnen

Nach »Jein« folgten viele weitere Alben, herausragend dabei die Singles »Schwule Mädchen« und »The Grosser« (2001), »Emanuela« (2005), mit dem sie beim Bundesvision Song Contest den 2. Platz belegten und stilistisch etwas anders »An Tagen wie diesen« (2009), um nur ein paar zu nennen. Kaum eine andere Band ist thematisch-musikalisch derart vielseitig.

Fettes Brot - Credit Jens Herrndorff

2004 gründeten sie ihr eigenes Label, die Fettes Brot Schallplatten GmbH.

»Ich würde gerne wissen, wie ich den Nachbarhund davon abhalten kann, meine Hühner zu fressen!«

Fettes Brot - was wollen wissenSeit 2015 moderiert die Band ihre eigene Radioshow »Was wollen wissen?« auf dem Radiosender N-Joy. All das passiert neben der Veröffentlichung von Musikalben, diversen Auftritten und Tourneen.

Von Anfang an besaß »Fettes Brot« zwei ureigene Markenzeichen: Zum einen erzählen die Bandmitglieder abgeschlossene Geschichten mittels ihrer Songs, in denen jeder mehrere Zeilen Gesangspart übernimmt und zum zweiten präsentieren sie sich seit eh und je mit einer übergroßen Prise Humor.
Da ist es wirklich kein Wunder, dass sie sich langsam aber sicher ihrem 30-jährigen Bandjubiläum nähern.

Lieb-liche Ohrwürmer

Nach »Teenager vom Mars« kam nun ihr neuntes Studioalbum auf den Markt. Auf diesem widmet sich die Band der Liebe. Und genau wie in alter Tradition gibt es eigenständige Tracks mit speziellen, manchmal ein bisschen zu optimistischen, Geschichten.
Die CD beginnt gleich mit einem Augenzwinkern. Als einziger Song mit einem gesprochenen Intro erzählt »Ich liebe mich« von der Selbstliebe. Halbernst wird besungen, dass es durchaus in Ordnung ist, sich selbst toll zu finden.

In den nachfolgenden Tracks werden sämtliche Facetten der Sympathie beleuchtet – Entzücken (»Wetterfrau«, »Deine Mama«) oder gesellschaftlich motivierte Beziehungskrisen (»iKEA«), aber auch Freundschaften (»Zwei Freunde und Du«). Der Song »Denxu« bezieht sich auf die beliebte Floskel »Denkst du vielleicht manchmal an mich«.
»Opa + Opa« hingegen erzählt von einer schwulen Liebe seit den 50er Jahren. Ein ungewöhnlich ernster Song, der tief in die Geschichte der gesellschaftlichen Anerkennung von Homosexualität eintaucht.
Auch der soziale Rechtsruck wird nicht ausgelassen und auf dieser Scheibe als kaputt gehende Partnerschaft in »Du driftest nach rechts« besungen.
Durch die stets positiven Schlußworte hinterlassen alle Songs ein gutes Gefühl.
Hier je ein Beispiel aus 1) »Opa + Opa« und 2) »Wetterfrau«:

1) »Opa und Opa sitzen aufm Sofa
Lachen darüber, was früher alles los war«
2) »Wetterfrau, du stellst mir ’ne Leiter hin
Ich kletter‘ rauf und wenn ich oben bin
Bin ich besser drauf, weil ich den Himmel seh’n kann«

Liebe also – in all ihren Formen.

Es schimmert trotz der Gesellschaftskritik eine gewisse Sorglosigkeit durch, die sich auch im Sound manifestiert. Allerdings ist es genau das, was die Fans von ihren »Broten« erwarten. Das, was seit Jahren zu so großer Beliebtheit führt: Sie ignorieren das Weltgeschehen nicht, aber wollen, dass ihre Musik trotz allem Spaß macht. Chapeau!

Was wollen wissen?

Wie bereits an anderer Stelle erwähnt, moderiert die Band seit nunmehr vier Jahren eine wöchentliche Radioshow: halb Sendung – halb Podcast. »Was wollen wissen?« heißt das Format, in dem Renz, Boris und Björn Fragen beantworten. Die Band weiß auch nicht alles, findet aber auf alles eine garantiert komische Antwort. Frei nach dem Motto: Es gibt keine dummen Fragen, es gibt nur dumme Antworten. Zwischendurch läuft Musik.

Zusammen mit dem neuen Album wurde ein Buch zum Radioformat herausgebracht. Quasi das Beste aus mehreren Jahren »Was wollen wissen?«. Es bewirbt sich selbst mit: »Willkommen in der Wortspielhölle!«
Ein verkürztes Beispiel daraus:

Ein Radiohörer fragt: »Ich würde gerne wissen, wie ich den Nachbarhund davon abhalten kann, meine Hühner zu fressen!«
[…] Dokter Renz: »Sind das richtige Hühner? So wie sie als Hühner gemeint waren? Oder sind die schon zubereitet?«
Nachdem geklärt war, dass es sich um echte Tiere mit Federn handelt, gab es einen mehr oder weniger brauchbaren, aber äußerst lustigen Lösungsvorschlag von König Boris.

Diesem Stil bleiben sie stets treu und der Einfallsreichtum der Band kennt dabei durchaus keine Grenzen.

Zurück zu den Wurzeln

»Fettes Brot« beweisen Release um Release ihre Spannbreite auf der Interessensskala. Die neuen Songs haben vielleicht nicht die tollsten Reime und auch nicht die philosophischsten Messages. Aber dafür kann »Lovestory« etwas anderes – die Scheibe bleibt schon nach zwei Mal hören im Ohr. Hip-Hop-Elemente, Rap und tanzbare Beats sind mehr als reichlich vorhanden. Im Grunde ist es dasselbe Rezept, was ihnen mit »Jein« schon einige Anerkennung bescherte. Witz und musikalische Abwechslung darf natürlich nicht fehlen. Es scheint, dass »Fettes Brot« sich zwar weiterentwickelt hat, aber trotzdem mit diesem Album bei ihren »Jein«-Wurzeln anknüpft.

Und nicht nur das! Sie bleiben, was sie immer waren – eine Band, die auf der richtigen Seite steht, klar Stellung gegen Ungerechtigkeiten wie Rassismus, Homophobie und Frauenfeindlichkeit bezieht und dabei den Spaß am Leben und der Musik nicht verliert.

| ANNA NOAH
| Fotos Band: Jens Herrndorff
| Fotos Cover CD/Buch: Add On Music

Bandangaben
Fettes Brot (Add On Music)
Band:
Doktor Renz alias Martin Vandreier
König Boris alias Boris Lauterbach
Björn Beton alias Björn Warns

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