Kriegssprech

Lite Ratur | Wolf Senff

Wo der Mensch sich aufhält, führt er Kriege, er reibt sich auf für seine Mitmenschen, aufopferungsvoll, er okkupiert Territorien, er führt vernichtende Kriege. Er forscht und konstruiert neueste Waffensysteme, er opfert sich auf für seine Mitmenschen.

Abb: Roger & Renate Rössing / Deutsche Fotothek
Abb: Roger & Renate Rössing / Deutsche Fotothek
Im eigenen Organismus inszeniert die Medizin eine gewaltige Verteidigungsarmee, sein Immunsystem verteidigt ihn gegen alles, gegen Entzündung, gegen Infekt, gegen Fieber, Heuschnupfen, was du dir denken kannst, und die pharmazeutische Forschung ermittelt sogar eine Task-Force im Immunsystem, eine Todesschwadron, die alles verbliebene Übel erkennt und eliminiert.
Alles ist auf Krieg gebürstet, so geht’s zu im Menschen, Task Force heißen auch T-Zellen, sie sorgen für unsere Sicherheit und sind vierundzwanzig Stunden lang einsatzbereit wie Feuerwehr, das sind Geschichten, die uns unsere Kriege erzählen, Großbuchstabengeschichten, laut und schrill, überall herrscht Krieg.

Und aufgepasst! Es gibt Zellen, die sich nicht regelkonform verhalten, sie weichen ab, sie sind entartet, sie sind auf Krawall gebürstet und unsichtbar wie Tarnkappenflieger ›F-117 Nighthawk‹. Da ist die Todesschwadron nun außen vor, eine spannende Geschichte, ratzfatz sind die Abweichler auf und davon und stiften Chaos, sie terrorisieren, sie bilden Tumore, die Tumore wachsen, sie setzen sich ab, sie flüchten in andere Regionen, sie bilden Metastasen, was kann man tun.
Was sich so im eigenen Körper abspielt, das ist Krieg, volle Granate, da muss der Mensch flexibel sein, hellwach, immer gefasst auf den erbarmungslosen Countdown, so geht’s zu, er muss sich neue Strategien einfallen lassen, um siegreich zu bleiben, du verstehst, innovativ, aufopferungsvoll innovativ, längst sind die Waffen von gestern ausgemustert, wir müssen Überwachungsinstrumentarien installieren, lückenlos, wir müssen Nanosysteme etablieren. Sei auf der Hut!

Der innovative Mediziner adelt sich zum Kriegsberichterstatter, nichts läuft ohne Deutungshoheit, und klar, es gibt eine neueste Strategie gegen die letale Infiltration durch Fremdkörper, aufopferungsvolle Forschungen der Pharmaindustrie, es herrscht Krieg, Chemotherapie war gestern, obwohl sie bei Bedarf noch erfolgreich eingesetzt wird, sie eliminiert die tödlichen Zellen. Wie Drohne gewissermaßen, Kollateralschäden inbegriffen, fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker.
Das Leben ist kompliziert, jedoch der Mensch ist anpassungsfähig und wusste noch jeden tückischen Angriff durch eigene Attacke zu kontern, das Leben ist Kampf, ist Clausewitz. Die Medizin rüstet auf, sie forscht und entwickelt ohne Ende. Die Pharmaindustrie kämpft an vorderster Front, neueste Medikamente werden auf den Markt gebracht, nichts läuft ohne Deutungshoheit, gewaltige Beträge sind im Spiel, das Übel, so bestimmt’s die mythische Erzählung von unserer Gesundheit, ist stets leider einen Schritt schneller.

Doch neue Hoffnung auf Sieg ist geweckt, auf den Endsieg, gibt jedes Mal neue Hoffnung, die Rüstungsspirale, ’s ist Krieg, sie dreht sich ohne Ende, der Gegenschlag wird vorbereitet. Die Gesundheitsdinos Merck und Bristol-Myers besitzen seit Ende vergangenen Jahres eine Zulassung für eine Immuntherapie in den USA, das erlösende Produkt heißt ›Nivolumab‹, es wirke, so wird versichert, gegen den ›Checkpoint-Rezeptor‹, einen gefährlichen ›PD-1-Inhibitor‹.
Neue Feldzüge werden auf den Weg gebracht. Nein, man mag sich nicht vorstellen, was da alles involviert ist, Drittmittelforschung verschlingt immense Beträge, der Rubel rollt wie nie zuvor, ›Nivolumab‹ wird im Herbst in Deutschland zugelassen sein.

Selbstverständlich fährt die Pharmaindustrie gewaltige Angst einflößende PR-Strategien, denn wir führen einen Krieg gegen den eigenen Körper, das Böse lauert in allen Winkeln, wo wir auch sind, wir sind im Kriegszustand, führen Kriege nach außen, führen sie nach innen gegen die eigene Bevölkerung und führen sie gegen den eigenen Körper, als wären wir von allen guten Geistern verlassen und hätten nichts verstanden, was spielt sich ab.

| WOLF SENFF

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Moses parted the red Sea, but Bob Moses gave us the tunes

Nächster Artikel

Außergewöhnliches

Weitere Artikel der Kategorie »Lite Ratur«

Orang-Utan

Wolf Senff: Tierwelt Die Bäume sind seine Welt, er bewohnt diesen Planeten seit zwei Millionen Jahren; es geschieht selten, dass er aufrecht auf den Beinen geht. Er flicht sich Zweige zu Nestern, die er manchmal nur einen halben Tag lang bewohnt, und ernährt sich von den Früchten des Urwalds, sein Lebensraum umfasst mehrere Quadratkilometer. Das erwachsene männliche Tier ist ein Einzelgänger, sein mächtiger, eindringlicher Ruf, heißt es, übertreffe das Brüllen des Löwen, sei aber auch, erzählen die indigenen Dayak, ein qualvolles Seufzen, nachdem die Braut ihn in der Hochzeitsnacht verlassen habe. Was der Mensch halt so erzählt.

Pokalendspiel

Lite Ratur | Wolf Senff: Pokalendspiel Jo and Jan werden sich das Finale in Berlin nicht ansehen. Nach den Spielen gegen Dortmund und Villareal sind sie zu Anhängern von Liverpool mutiert, endgültig, beide, das muss man nicht lang und breit erklären, sie freuen sich auf das Finale gegen FC Sevilla in Basel am Mittwoch. Solange Bayern München, sagen sie, die Messlatte für deutschen Fußball sei, werde deutscher Fußball untere Schublade bleiben.

Von-Eicken-Park

Lite Ratur | Wolf Senff Du merkst das nicht, nein. Du siehst es ja gar nicht. Nein, ich zähle nicht, wie oft ich hier entlanggehe, weshalb auch, ich führe keine Strichliste, ich wusste lange nicht, wie der Baum heißt, keine Ahnung, Namen sind Schall und Rauch.

Sehnsüchte

Lite Ratur | Wolf Senff: Krähe   Schwierig, Krähe, schwierig. Nein, niemand weiß, wie einer da jemals rauskommt. Verstehst du, das ist, als wollte ein Planet aus seiner Bahn ausbrechen, wie stellen wir uns das vor. De facto ist das unmöglich, Krähe.

Ukraine, Polen, Nordirland

Lite Ratur | Wolf Senff: Ukraine, Polen, Nordirland Das Spiel vergangenen Sonntag hatte seinen eigenen Charme, die erste Halbzeit war nicht von Taktikgeplänkel geprägt, kaum grüner Tisch, erst in der zweiten Hälfte wurde erkennbar nach Spielkontrolle und System gestrebt. Boateng und Schweinsteiger setzten unterhaltsame Höhepunkte.