Ukraine, Polen, Nordirland

Lite Ratur | Wolf Senff: Ukraine, Polen, Nordirland

Das Spiel vergangenen Sonntag hatte seinen eigenen Charme, die erste Halbzeit war nicht von Taktikgeplänkel geprägt, kaum grüner Tisch, erst in der zweiten Hälfte wurde erkennbar nach Spielkontrolle und System gestrebt. Boateng und Schweinsteiger setzten unterhaltsame Höhepunkte.

So weit, so gut. Aber auch so zusammenhanglos, sagt Tim, finden Sie nicht? Boateng ein Stoß-mich-zieh-dich, der der Kugel den Kick ins Netz gibt, sie jedoch im letzten Augenblick wieder herausbugsiert, sensationell, klar, und Schweinsteiger wie von Alpha Zentauri eingeflogen, ratzfatz, bevor alles wieder zur Normalität auspendelt.

Tim stöhnt. Er bekommt es nicht auf die Reihe, dass ein Trainer sich so gehen lässt. Hat er sich wirklich den Sack gekrault? Spaßgesellschaft? Im Stadion? Welch unbeschwerte Zeiten, da er noch seinen Hunger mit dem eigenen Popel stillte. Bekömmlich ist das alles nicht.

Die Hochleistungsgesellschaft fordert ihren Preis ein, »the normal one« lebt in Liverpool, und nicht einmal darauf gibt’s eine Garantie. Skurrile Typen sind das schon, die auf den Trainerbänken sitzen, stramme Hundertfünfzig-Prozent-Charaktere, besessen von ihren Aufgaben, dazu maßlos eitel wie Guardiola, gnadenlos emotionsfrei wie Tuchel, wurzellos drogenaffin wie seinerzeit Daum etc. p.p., das gibt uns zu denken. Eine morbide Elite hie, vagabundierende Hooligans da. Nein, weder mit diesen noch mit jenen möchte man zu tun haben.

Fussball2Tim kommt nicht darüber hinweg, nein, das geht auf keine Kuhhaut. Er leidet. Entscheidend ist aufm Platz, doch die Begleiterscheinungen treiben ihm die Tränen in die Augen, er würde liebend gern darauf verzichten. Und auch die Mädels geben sich ja so unendlich viel Mühe. Die Cathy moderierte bei ›Sky‹, ein ganzes Jahr lang, ›Sports‹, und führte anschließend während der Weltmeisterschaft ihr ganz persönliches Video-Tagebuch für ›BILD‹, das ambitionierte Mädel hängt sich rein für eine zeitgemäße Karriere.

Ein halbes Jahr später rasselte sie bei RTL ›Let’s dance‹ durch, rote Laterne, ihre Performance kam auch in den ›sozialen Medien‹ nicht eben überzeugend an. Das sind halt Warteschleifen für strebsame Mädels. Nun ist sie schwanger, verheiratet und eröffnet unter viel medialem Hallodri ein super Restaurant in Hamburg.

So buchstabiert sich zeitgemäße Biografie, weiblich. Doch was hat das, fragt sich Tim, mit der Performance der Trainer zu tun. Kann es sein, es handelt sich um ein Mosaik aus gleichermaßen unbeschreiblichen Splittern und liefert am Ende stets jedem ein und dasselbe Einerlei – ein niederschmetterndes Gesamtbild. Aus den Fratzen unserer Hochleistungsträger starrt uns Barbarei entgegen.

Das Spiel am Donnerstag? Vorrundengeplänkel, taktikdominiert, keine Leidenschaft, null Spielfreude, wenige Torszenen, dass Tim sich hinterher fragte, ob die dänische Serie auf arte nicht spannender gewesen wäre. Du kennst eh viele Spieler von der Champions League, sie sind halt diesmal nur nach Nationalitäten sortiert. Alter Wein in neuen Schläuchen, nur anders sortiert oder, im Bilde zu bleiben, ein weiterer schräger Stein im Mosaik.

»Kroos sucht Hummels, findet ihn nicht«. »Das hat er sich offensichtlich anders vorgestellt«. Was auch immer Oliver Schmidt sich dachte, sein Kommentar spiegelt die Ratlosigkeit des Geschehens auf dem Platz. »Sie sind auf der Suche nach einem Schlüssel«. Ist es wieder die Müdigkeit nach einer langen Saison? Ist der Trainer statt tiefenentspannt bloß am Ende mit seinem Latein? Fußball geht anders, »Breite allein bringt’s nicht ohne Tiefe und ohne Ziel«, ein Spiel wie das vom Donnerstag weckt keine Emotionen, »Paßspiel offensiv semi-optimal«.

Da war im Spiel zuvor der krasse Außenseiter Nordirland dichter am Publikum, und man wird am Dienstag sehen, wie der deutsche Beitrag zur EM-Vorrunde ausgeht. Nein, ansehen werde er sich das nicht, sagt Tim, ihm reicht’s fürs erste.

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