Cooler Typ

Lite Ratur | Wolf Senff: Cooler Typ

Sag‘, Krähe, wir kennen uns, du warst gestern schon hier beim Teich. Du glaubst nicht, wie ich die Eleganz deiner Flugbahnen bewundere. Unnachahmlich. ›Das Universum ist vollkommen./ Es kann nicht verbessert werden./ Wer es verändern will, verdirbt es./ Wer es besitzen will, verliert es.‹ Juangzi. Aber einfach mal gefragt, Krähe, entschuldige: Wird es auf Dauer nicht langweilig, dass du ständig herumfliegst?

Abb: cuatrok77 (CC BY 2.0)
Abb: cuatrok77
(CC BY 2.0)
Du fliegst gelegentlich den Wölfen nach, nicht wahr? Wenn sie Beute reißen, schnappst du dir einen guten Happen heraus, du weißt wo Bartel den Most holt, du giltst unter den Menschen als intelligenter Vogel, Krähe. Glaub’s mir. Der Mensch hat ein wenig Angst vor dir, hast du seine Filme gesehen, aber er respektiert dich. Gab es nicht sogar einen Gott, auf dessen Schultern du saßest und dem du vom Weltgeschehen berichtet hast? Nein, das war der Rabe und es ist Ewigkeiten her? Stell dein Licht nicht unter den Scheffel, Krähe, der Mensch zählt dich unter die Rabenvögel.

Wo wir beim Menschen sind, Krähe, die ›Crow‹ sind ein Indianerstamm, ›Crow Nation‹, in ihrer eigenen Sprache ›Apsáalooke Nation‹. Oh sie waren als Pferdezüchter berühmt unter den indianischen Völkern und verbündeten sich früh mit den Kiowa-Apachen. Ach, Krähe, es ist eine unglückselige, eine lange Geschichte, die Erzählungen vom Menschen sind stets lang und stets unglückselig, es zerreißt einem das Herz.

Die Crow ließen sich durch Alkohol nicht korrumpieren und waren ein halbes Jahrhundert lang angesehene Pelzhändler. Es ist eine Erzählung auch der Kriege indianischer Stämme gegen einander, Zweckbündnisse waren es und Intrigen, die Crow stellten Scouts für General Custer am Little Big Horn, sie waren bei anderen indianischen Stämmen als Verräter verhasst.

So, Krähe, verstehst du, gestalten sich die Geschicke unter den Menschen, während ihrer Reservatszeit wurden die Crow kulturell assimiliert, und wer weiß schon, Krähe, ob sie unter den einstürzenden Säulen des Industriezeitalters überdauern werden und was letztlich aus ihrer Kultur werden wird. Immerhin, Krähe, sie haben dreizehntausend Stammesmitglieder, rein zahlenmäßig sind sie wieder stark.

Das willst du gar nicht hören, Krähe, ich weiß, ich texte dich zu, du bist ein geduldiger Vogel, dafür sei dir gedankt. ›Wer weiß, redet nicht; wer redet, weiß nicht.‹ Laozi. Ach, ist dir bekannt. Entschuldige. Ich dachte es mir.

Noch einmal zum Fliegen, Krähe. Immer Flügel schwingen, immer im Flug, ist das nicht ermüdend auf Dauer? Ja, frag‘ ich. Du bist ja intelligent, Vogel, du läßt dir von den PKW Nüsse knacken, wenn sie an der Ampel anfahren; raffiniert überlegt, mein Lieber. Und wie wäre das, wenn du da weiter überlegst, Vogel? Fortschritte machst, Technologien entwickelst?

Zum Beispiel, daß du eine Uhr erfindest? Fürs Nest zum Beispiel, daß du weißt, wann du aufstehst. Oder einen Hut? Du wärest irre gut mit Hut, Vogel. Der stechende Blick blitzt unmittelbar unter der schwarzen Krempe hervor, absolut tödlich, mein Lieber, du kannst als Kommissar auftreten. Cooler Typ. Geh zum ›Tatort‹. Du lebst ja in familiären Gruppen und hast doch sicher auch Territorium zu verteidigen. Na also, war mir klar, was zögerst du.

Du fliegst lieber? Hm. Dein Flug ist elegant, ich sagte es. Du solltest die Taube ansprechen, sie fliegt ungelenk und schwerfällig, du solltest ihr Flugstunden anbieten, mit denen der Erwerb eines Flugscheins verbunden wäre. Krähe, hast du denn keine Phantasie? Die Vögel sind eine große Gemeinschaft, ihr müsst zusammenhalten, ein Leben lang lernen, die Tauben werden ihren Flugstil verbessern, schneller fliegen, größere Entfernungen in geringerer Zeit zurücklegen.

Und – versteh mich bitte richtig – es gibt einiges unter den Vögeln, das zu verbessern wäre. Vielleicht dass du Gesangsunterricht bei einer Nachtigall nimmst? Ich will dir nicht zu nahetreten, aber eins ist sicher: Du wirst dich wie neugeboren fühlen mit einer angenehmen Stimme, Stimmtraining ist nicht anrüchig, Krähe, keineswegs, einer wohltönenden Stimme hört man gern zu.

Du bist doch helle im Kopf. Sieh dir die Menschen an, ihre bunte Vielfalt, und dennoch, nicht wahr, sind sie eine große Gemeinschaft. Du siehst, wie glücklich sie leben, was sie leisten, welche Reichtümer sie in ihren Banken anhäufen, welche Fortschritte sie machen, wie sie sich sich den Planeten unterwerfen und von ihm profitieren. Du müsstest deine Welt selbständig gestalten, verstehst du, dein Leben selbst in die Hand nehmen.

Nein, weiß ich jetzt nicht. Bin ich eine Krähe. Aber vielleicht dass du mit simplen Regeln anfängst, ich könnte mir vorstellen, dass zum Beispiel für einen Langstreckenflug eine andere Flughöhe eingerichtet wird als für kurze Strecken, verstehst du, verschiedene Geschwindigkeiten sind vorgeschrieben. So wäre der Luftraum organisiert, und dort spielt sich ja euer Leben überwiegend ab.

Auch für das Eintreffen und Verlassen der Schlafbäume solltet ihr feste Zeiten vorschreiben, damit sich niemand zu nachtschlafender Zeit gestört fühlen muss, Ordnung muss sein, ruhestörender Lärm ist verwerflich. Ihr könnt euch da eine Scheibe vom Menschen abschneiden, vielleicht dass die Jüngeren früher zu Bett einfliegen, das ließe sich alles perfekt organisieren, nein, Stechuhr wäre übertrieben, ihr seid ja nicht umsonst intelligente Lebewesen, fangt nur erst einmal an, am besten feste Arbeitszeiten einführen und Löhne auszahlen; wohin das führt, werdet ihr später selbst merken.

| WOLF SENFF

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