Pokalendspiel

Lite Ratur | Wolf Senff: Pokalendspiel

Jo and Jan werden sich das Finale in Berlin nicht ansehen. Nach den Spielen gegen Dortmund und Villareal sind sie zu Anhängern von Liverpool mutiert, endgültig, beide, das muss man nicht lang und breit erklären, sie freuen sich auf das Finale gegen FC Sevilla in Basel am Mittwoch. Solange Bayern München, sagen sie, die Messlatte für deutschen Fußball sei, werde deutscher Fußball untere Schublade bleiben.

FussballDas Ausscheiden gegen Atletico Madrid? Bestens illustriert durch Thomas Müllers leidenschaftslosen Elfmeter. Die Mannschaft spiele am Reißbrett, nicht auf dem Platz, und dann gäb’s eben lauwarme Spiele.

Ein Kontrollfreak als Trainer setze seine Maßstäbe für qualitativ hochstehenden professionellen Fußball, hier zählt nur noch Werbesprech, und wie eingeschworene Jünger folge ihm des Landes halbe Trainerschar.

Milde Zwänge, diagnostiziert der Psychiater, ließen sich in das normale Leben eingliedern, der Kontrollzwang des Katalanen jedoch sei fortgeschritten und chronisch. Das sei ja bekannt, fügt er lächelnd hinzu, die Leute in Chefpositionen seien charakterlich für ein Leben im Irrenhaus qualifiziert.

Deshalb eben Liverpool, das müssten sie niemandem lang und breit erklären. Seien auch andere über den Kanal gewechselt, erinnern Jo und Jan, davon einige nach Liverpool. Und was sollen sie sich das Pokalendspiel reinziehen, auch der Neue in Dortmund setze erbarmungslos auf Kontrollkultur. Vom Katalanen habe er’s gelernt, prahle er.

Campino, hätten sie gelesen, habe überm Kanal ein Jahresabo und versäume ungern ein Spiel der Reds. Eine komplett andere Lebenskultur, da müsse man nichts erklären, meine Güte, was ist los mit den Deutschen. Ich meine, sagt Jo, sieh dir nur den Finanzminister an, jenen schneidigen Erbsenzähler, Typus Drei-Sterne-General im Rollstuhl, mindestens, der ganz Europa am Nasenring führe, und lacht ohne Ende.

Nein, sagt Jo, das Pokalendspiel muss ich nicht sehen, das sei ausgepowerte deutsche Fußballkultur, leidenschaftslos. Ich meine, korrigiert er, leidenschaftslos – was den Fußball angeht. Da wird mächtig Fassade aufgezogen, damit Rubel einrollt, und der Profi schielt nun mal nach Rubel. Das wissen die Leute, klar, und ihre Leidenschaft wandelt sich zu Aggression gegen das Umfeld. Sommermärchen, sagt er und lacht ohne Ende.

Sie würden mit dem Rad auf der Steilküste entlangfahren, sagt Jan, das werde ihnen endlich einmal guttun an einem Sonnabend, bis zum Sonnenuntergang Urlaub vom Alk, zwei Wasserflaschen im Gepäck.

Was sei das für ein überkandideltes Spiel, das auf dem Reißbrett produziert werde, sagt Jo kurz vor Meschendorf, eine Wissenschaft machen sie draus. Wir wussten damals auf dem Bolzplatz genau, wie wichtig es ist, den Gegner früh zu stören, möglichst bei der Ballannahme, und was habe sich geändert außer der Wortwahl, fragt er. Wir sind in die Gasse gelaufen, spielten steile Pässe, wir haben in den freien Raum gepasst und in den Rückraum geflankt.

Sie fahren weiter bis Kühlungsborn, ein nobles Pflaster, sie bestellen Filterkaffee und Obsttorte. Danach zurück zur spätabendlichen Fischplatte ins ›Blüsefeuer‹, Rerik, hier und da fänden sich halt doch Orte, an denen sie sich gern aufhielten, man lerne nie aus.

Nein, Ballhalten, bis er ins Tor rollt – teutonischen Reißbrettfußball, auswendig gelernte Laufwege, vorproduzierte Spielzüge, Phantasie aus, das würden sie sich nicht antun, nein, auf Kasernenhöfe gäben sie keinen Pfifferling und gleichfalls nichts auf Generäle, sagt er und lacht ohne Ende. Nein, dieses Finale am Samstag sei absolut nichts für sie.

| WOLF SENFF

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Shitty Names and Techno Beats: An Interview With Soukie & Windish

Nächster Artikel

Schreibend ein neues Leben beginnen

Weitere Artikel der Kategorie »Lite Ratur«

Zittern

Lite Ratur | Wolf Senff   Mehr verlange ich ja nicht, ich will ja nur, dass das Zittern aufhört, verstehen Sie, ein unmerkliches Zittern, das man nicht spürt, nein, unmerklich, das sagte ich doch.

Abstiegskampf

Lite Ratur | Wolf Senff: Abstiegskampf Krähe, lass mich erzählen. Nein, Fußballfan bin ich nicht. Sei mal still. Dass ich samstagsnachmittags Bundesligakonferenz höre, ist mir zur Gewohnheit geworden; so sehr, dass ich’s an spielfreien Wochenenden vermisse, wie man eben eine vertraute Gewohnheit vermisst. Zwei-, dreimal in den letzten Jahren war ich im Stadion, bei St. Pauli, klar, zum HSV, nein, dazu lieber kein Wort. Von WOLF SENFF

Zu Besuch

Lite Ratur | Wolf Senff: Zu Besuch Paul misstraute äußerlichen Abläufen, einer davon war eingeteilte Arbeit, er sträubte sich gegen Vorschriften jeglicher Art, er hatte nie eine Armbanduhr getragen, als man noch Armbanduhren trug. Er hätte als Versager gelten können, doch bei ihm war kein Gedanke daran. Tim hatte ihm die Fahrkarte zugeschickt, das war nun einmal Tim, er erwarte ihn gegen Mittag, sie kamen gut miteinander aus, mehr konnte niemand wünschen.

Ukraine, Polen, Nordirland

Lite Ratur | Wolf Senff: Ukraine, Polen, Nordirland Das Spiel vergangenen Sonntag hatte seinen eigenen Charme, die erste Halbzeit war nicht von Taktikgeplänkel geprägt, kaum grüner Tisch, erst in der zweiten Hälfte wurde erkennbar nach Spielkontrolle und System gestrebt. Boateng und Schweinsteiger setzten unterhaltsame Höhepunkte.

Cooler Typ

Lite Ratur | Wolf Senff: Cooler Typ Sag‘, Krähe, wir kennen uns, du warst gestern schon hier beim Teich. Du glaubst nicht, wie ich die Eleganz deiner Flugbahnen bewundere. Unnachahmlich. ›Das Universum ist vollkommen./ Es kann nicht verbessert werden./ Wer es verändern will, verdirbt es./ Wer es besitzen will, verliert es.‹ Juangzi. Aber einfach mal gefragt, Krähe, entschuldige: Wird es auf Dauer nicht langweilig, dass du ständig herumfliegst?