Schwarz oder weiß, fortges.

Lite Ratur | Wolf Senff: Krähe

Weshalb Schwarz, Krähe? Ich meine, er hätte doch auch Grün nehmen können, Grün ist eine hübsche Farbe, Papageien sind grün, man sieht ihnen gern zu, nicht wahr, oder Blau, blau wie der Himmel, weshalb nicht Blau, oder überhaupt bunt? Nein, ich versteh’s nicht, ein Freund von mir hielt sich einen farbenfrohen Kardinal, der in dessen Wintergarten frei umherflog, der Kardinal gehört zu den gefährdeten Arten.

Abb: Maciej Lewandowski / (CC BY-SA 2.0)
Abb: Maciej Lewandowski / (CC BY-SA 2.0)
Schwarz wie die Nacht, klar, schwarz wie der Schatten, der in die Unterwelt übergeht. Also wenn du mich fragst, ist das eine ziemlich harte Strafe, eine Überreaktion, im Affekt, klar, eine halbstarke Geste, Apollon übertreibt, was sind das nur für Götter, wie soll das enden.

Doch es ist, wie es ist. Und? Wie lebt sich mit schwarzem Gefieder, Krähe? Findest du dich hübsch? Ist es dir gleichgültig? Trauerst du den weißen Federn nach? Ich meine, du kannst eh nichts dagegen tun. Schwarz hat auch seine Vorzüge, verstehst du, es ist eine vornehme Farbe, das Menschenvolk kleidet sich in schwarze Anzüge, wenn es wichtige Aufgaben wahrzunehmen hat, kannst du mal sehen.

Andererseits, Krähe, trägt man Schwarz auch zum Begräbnis, da entsteht durchaus der Eindruck, die Etikette sei bei den Menschen gar nicht wirklich sortiert, denn seinen schwarzen Anzug legt der gediegene Herr auch zur Hochzeit an, was sagst du dazu. Sei mal froh, Krähe, dass du dein Federkleid nicht wechseln kannst, und Schwarz ist jedenfalls neutral, das ist doch wenigstens ein beruhigender Gedanke, findest du nicht.

Hinzu kommt, erwähnte ich das, dass Schwarz durchaus zeitgemäß ist, ich meine, es spiegelt die allgemeine Stimmungslage, vielleicht unterschwellig, und ohne dass es jemand merkt, denn die Leute sind tierisch auf Party gedreht, nein bis zum Erbrechen würd‘ ich nicht sagen, aber gibt reichlich Leute, die genießen das.

Fahr mal nach Hamburg am Wochenende, da gibt’s entweder Cyclassics, gibt’s Hansemarathon, gibt’s Open Air Popstars den Sommer lang, mittendrin gibt’s Hafengeburtstag, demnächst wird das Konzerthaus in der Elbe eingeweiht, wird wochenlang dauern vermutlich, dann hast du Harley Days, hast Motorradgottesdienst, Olympia ist wieder mal im Gespräch, nein, ohne Ende und, was ich sagen will, die Stimmung ist keineswegs schwarz. Die Leute finden das geil wie ihren zugekoksten Barden aus dem Atlantic, wie hieß er gleich, ist nicht wichtig.

Trotzdem auf eine gewisse Weise schwarz grundiert, kann noch so bunt und lärmend in Erscheinung treten, elektronisch verstärkt bis zum Gehtnichtmehr – und ist dennoch tiefschwarz grundiert. Seien wir mal ehrlich, die Leute wissen das, Krähe, alle wissen sie das, und in gewisser Weise bist du da der Leitkulturvogel, echt, na herzlichen Glückwunsch.

Nein, musst du dir nichts drauf einbilden. Letztlich ist’s niederschmetternd. Aber du bist ja ständig auf der Straße, stimmt’s, du hast den Überblick. Und jetzt mal so gedreht ist das Auto doch der wahre Ausdruck der menschlichen Seele, so jetzt als Motorrad eher krass, aber als Auto eben doch unverfälscht. Oder seh‘ ich das falsch.

Das Auto, nüchtern betrachtet, ist starr, völlig unbeweglich, totes Metall. Außer eben, dass es rollt. Kein Wunder. Alles, was Räder hat, rollt, mal schnell, mal langsam. Nein, hüpfen kann es nicht. Räder hüpfen nicht, es sei denn, der Fahrer hat die Kontrolle verloren, das kommt vor, aber, Krähe, das ist jetzt nicht unser Thema, ich schweife ab. Es genügt, wenn du von oben deinen Blick über die Blechlawinen schweifen lässt.

Und? Was siehst du? Schwarz. Sag‘ ich doch. Nein, mehr will ich gar nicht wissen. Die Hersteller verkaufen heute nahezu ausschließlich schwarze Autos, Krähe, glaub’s mir, klar, vornehm geht die Welt zugrunde, das wussten schon die Großeltern, und Schwarz liegt ganz und gar im Trend. Siehst du, das ist doch wenigstens ehrlich, dass sie sich in schwarze Karossen setzen, anstatt auch hier noch diesen albernen Frohsinn aufzulegen, die bedrohliche Stille mit lautem Gesang zu verscheuchen und sich den Alkohol zu geben.

Du verfolgst all das täglich aus deiner lichten Höhe, und sag, ist’s nicht erfreulich, dass sich die Wahrheit nicht verstecken lässt, nicht unter den Teppich kehren, und sei es die völlig unmaßgebliche farbliche Tönung des PKW, in der sie sich Bahn bricht. Schwärzer geht’s nicht. Wir müssen nur lernen, die zehntausend Dinge wahrzunehmen, Krähe.

| WOLF SENFF

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