Lite Ratur | Wolf Senff: Vor der Tagung
Er hatte keinen Revolver dabei, nein, Revolver sind antiquiert, heutzutage werden sogenannte Selbstladepistolen eingesetzt, kurz Pistolen genannt, zum Beispiel die Walther35, ein sehenswertes Exemplar, doch auch eine Pistole hatte Martin nicht dabei, so war er nun einmal und ging damit ein gewisses Risiko ein, die bevorstehende Tagung war konfliktträchtig, auch Teilnehmer aus Randgruppen wurden erwartet, die Lage war nicht leicht kalkulierbar, und zweifellos waren Sicherheitsdienste beauftragt.
Ein Revolver ist durch eine drehbare Trommel definiert, die die Patronen enthält, er erinnerte sich an ein Seminar zu diesem Thema. Dieses Prinzip wurde später auf tragbare Granatwerfer übertragen, die mit dieser Technologie in weniger als drei Sekunden sechs Granaten verfeuern, das richtet zweifellos allerhand Schaden an, auch Rüstsätze bei Bombern wie dem Northrop B-2 oder der Tupolew Tu-160 arbeiten mit dieser Technologie. Das hat mit der Tagung nichts zu tun. Doch es schadet nie, ein Stück über den Tellerrand hinaus zu blicken.
Martin verließ das Haus und wandte sich nach rechts. Ihm blieb hinreichend Zeit, die Tagung würde um zehn eröffnet, ihre vierteljährlichen Tagungen beginnen üblicherweise dienstags um zehn Uhr, davon wurde nicht abgewichen.
Pistolen arbeiten mit einem Magazin, das durch eine Selbstladeautomatik bewegt wird, im Lauf der Jahre hat sich diese Technologie durchgesetzt. Zwar tritt gelegentlich eine Ladehemmung auf, doch wie gesagt führte Martin eh keine Pistole mit, er erinnerte sich nicht, dienstlich je über eine Pistole verfügt zu haben, und welchen Grund sollte es geben, ausgerechnet heute mit diesem Grundsatz zu brechen. Doch wäre es kein Fehler gewesen, die Verhältnisse wandeln sich, und hinterher ist man immer klüger.
Bis zum Kiosk, wo er täglich seine Zeitung kaufte, er musste nicht einmal die Straße überqueren, waren es knapp zweihundert Meter; ›Kiosk‹ war eigentlich das falsche Wort, es handelte sich um eine Bäckerei mit einem Zeitschriftenregal und sogar einem Café, meistens gut besucht, wo er sich hätte setzen und ein Frühstück bestellen können, das Menü führte diverse Frühstücke. Doch er frühstückte aus Prinzip zu Hause, er hielt sich ungern in der Öffentlichkeit auf, mehrmals in der Woche bereitete er sich Rührei zu, er ließ sich Zeit, den Tag zu beginnen.
Mit der Zeitung unter dem Arm verließ er den Bäcker, auf dem Rückweg kam ihm sein Nachbar entgegen. In der Küche überflog er einige Artikel im Feuilleton und auf den Sportseiten und goss sich Tee auf, er trank drei bis vier Tassen und benutzte wie üblich die leicht angeschlagene Tasse, er schätzte derartige Spuren von Gebrauch. Nein, er hatte nie über die Gründe dafür nachgedacht, vielleicht galt ihm der Sprung als ein Lebenszeichen, doch er musste das nicht wissen; es war hinreichend, dass ein Tag unerschütterliche Abläufe hatte.
Berühmte Pistolen sind die österreichische Glock 17, die auch bei der deutschen Marine eingesetzt wird, die bis 1936 produzierte deutsche Mauser, diverse Modelle von Browning/USA, der auch das Winchester-Gewehr herstellte, ferner die Derringer, eine handlich kleine Pistole, mit der seinerzeit Abraham Lincoln ermordet wurde, die Walther P38, eine halbautomatische Waffe der deutschen Bundeswehr, deren Nachfolger die P8 von Heckler & Koch wurde, der Ruf von Heckler & Koch hat Schaden genommen.
Es kann durchaus sinnvoll sein, über diverse Handfeuerwaffen präzise informiert zu sein, er hatte sich vorbereitet, man wusste nie, wie detailliert die Diskussionen auf den Tagungen geführt wurden, er erwartete harte Auseinandersetzungen. Erwähnenswert sind außerdem die Steyr M1912, die bis 1930 Waffe der k.u.k. Armee war und bei Sammlern beliebt ist, ferner eine Colt oder die italienische Beretta.
Wie intensiv sich die Hersteller auf dem Markt drängen, davon gelangt allgemein wenig an die Öffentlichkeit, und wie sehr ihnen an den Aufträgen von Sportvereinen und, besser noch, staatlichen Behörden gelegen ist, denn die Behörden sind zuverlässigere Geschäftspartner als die Sportvereine, bei denen es seit neuestem durchaus vorkommt, dass sie die Zahlungsfristen nicht einhalten und auf Mahnungen nicht reagieren. Die Sportvereine haben reichhaltige Waffenlager, und wer Ausrüster einer Polizeibehörde ist, hat ausgesorgt.
Konsequenzen aus Zahlungsverzügen konnten für alle Beteiligten unangenehm werden, denn auch die krisenfeste Rüstungsindustrie ist auf pünktliche Zahlungen angewiesen, und in diesem Geschäft wurden, man kann das nachvollziehen, kompromisslose Mittel angewandt, um Außenstände einzutreiben.
Martin prüfte flüchtig den Sitz seiner Krawatte und warf sich den Trenchcoat über, es war ein selten angenehmer Herbsttag, Altweibersommer.
| WOLF SENFF
| Abb. Zephyris