/

Balltreten satt

Lite Ratur | Wolf Senff: Balltreten satt

Leid tun einem die Reporter, oder heißen sie jetzt doch Moderatoren. Berichterstatter? Alle halbe Stunde sind sie gehalten, darauf hinzuweisen, dass die Zuschauer zusätzliches Hintergrundmaterial einsehen und sich sogar Spielszenen einspielen können, echt spitze, aus verschiedenen Blickwinkeln, werden Sie Ihr eigener Regisseur, was für ein Quatsch. Von WOLF SENFF

Fußball»Sie drängen jetzt intensiver nach vorn« (Kommentator, 61. Minute), supersupersuper, genau – das Spiel war das reine Elend. Schon korrekt, dass Jan und Jo sich da heraushalten. »Welchen Plan verfolgen die Bayern« (Frage, 76. Minute).

Zwei Wochen war – ›dieses Spiel wird Ihnen präsentiert von‹ – Balltreten satt. Vier Abende Relegation, ein Abend Pokalfinale. Ein Spiel niveauloser als das andere, nur sagt’s uns niemand, im Hochschreiben sind die Sportjournalisten bravourös. »Nicht schön anzusehen«, schreibt SPON über Nürnberg vs. Frankfurt. Nein, grottenschlecht war’s, kein Fußball, sondern Reißbrettgeschiebe. Wer bringt Journalisten das bei, dass sie den Blick so souverän an der Wirklichkeit vorbeilenken? Alle Achtung, supersupersuper, das ist hohe Politik.

Doch die Quote ist zufriedenstellend, und solange die stimmt, ist alles paletti. »Vidal sieht auch wieder schnieke aus und hat ein neues Trikot« (Detail, 79. Minute). Ehrlich gesagt sieht er aus wie ein Gangster, man zeigt sich halt so bei den Bayern und genauso führt man sich auf, Ribery sah nur Gelb für seine Tätlichkeit.

Mehr lohnt nicht zu erwähnen von dem freudlosen Gekicke. Es wird ein aufschlussreicher Sommer werden, weil sich erweisen wird, dass weder Fußball noch Olympia die »schönste Nebensache der Welt« sind, die Welt hat sich geändert.

Irgendein reinigendes Gewitter ist im Anmarsch – Jo und Jan sind jetzt schon neugierig, denn der Leistungssport hat sich zur größten Geschäftemacherei weltweit gemausert: Menschenhandel, Drogenmissbrauch, Wettbetrug, und jeder weiß Bescheid, nur bei den Medien sind unsere Leistungssportler unantastbar, Kritik ist ein Dorf in Böhmen. Da ist er wieder, der geschulte Blick an der Wirklichkeit vorbei.

»Die größte EURO aller Zeiten. Vierundzwanzig Topteams. Zehn Spielstätten. 10. Juni bis 10. Juli 2016«, wirbt die UEFA unverdrossen, supersupersuper, vierundzwanzig Topteams. Albanien gegen Rumänien. Nordirland gegen Ukraine. Zwei Brüller gleich, nein, kommt für Jan und Jo nicht infrage, das muss man verstehen.

Frankreich veranstaltet eine Serie von Hochsicherheitsveranstaltungen, man will vor allem geschützt sein, abgesichert auch gegen Drohnenattacken, und niemand weiß, was dabei herauskommt. Obama hat, paar Tage ist’s her, dafür gesorgt, dass der oberste Taliban per Drohne um die Ecke gebracht wurde, und Rache ist Blutwurst, das ist nicht neu, das kannten wir schon damals auf dem Bolzplatz im Pfarrgarten. Wer Wind sät, heißt es, werde Sturm ernten.

Europameisterschaft in Frankreich. Die feine Balltreterwelt, Franz Beckenbauer, ist gegen die Wand gefahren, Uli Hoeneß durfte die Zelle verlassen. Was spielt sich da ab, fragt man sich, und ob denn niemand merkt, wie nah der Abgrund ist. Ein Spielermarkt für Schnäppchen, das wird sie sein. Die UEFA sahnt Gelder für Übertragungsrechte ab, die UEFA ist ein reicher Verband, so billig war nie Geld verdient. Irgendein Sinn muss ja sein.

Fußball? Hans lacht und streckt sich im Sessel. Die Fernsehanstalten reiben sich die Hände, so günstig war Sendezeit nie, damit sei allen gedient, sagt er, der Rubel rollt, es ist ein Elend, er nimmt ein Stück Rogen von der Fischplatte, Jo bestellt den zweiten Halben mit Küstennebel, schlimmer geht immer.

Dieser Sommer ist ereignisreich, sagt Hans, paar Wochen drauf dann, Anfang August, beginnt Olympia in Rio. Brasilien sei ein sozial ausgebranntes Land, die Präsidentin wurde zum Rücktritt gezwungen, die konservative Elite nimmt wieder die Zügel auf, alles paletti, Unruhen seien vorprogrammiert, man sollte Wetten abschließen, überall schließe man Wetten ab.

Du kannst dieses Geschehen nur aus sicherem Abstand mit ansehen, sagt Jan.

Wo wäre sicherer Abstand?, fragt Hans.

Zum Wohl, sagt Jo und kippt den Küstennebel, bevor er zum Halben greift. Nach Frankreich fahren? Eine Schnapsidee.

Liverpool, sagt Jan, hat Sommerpause. Wie ärgerlich, sagt er, die Niederlage gegen Sevilla.

Hans nimmt noch ein Stück Rogen. Man dürfe sich, sagt er und lehnt sich zurück, nicht abhängig machen.

| WOLF SENFF

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Music For Darkened Dreams: An Interview With Diamondstein

Nächster Artikel

Die schönste Zeit im Jahr

Weitere Artikel der Kategorie »Gesellschaft«

BU-BA-BU: Wie Sprache und Literatur der Ukraine neu erfunden wurden

Gesellschaft | Bu-Ba-Bu – Literatur in der Ukraine Was sich anhört wie ein Wort, das ein Kleinkind erfunden hat, steht als Abkürzung für Burlesk-Balahan-Buffonada, also Burleske-Farce-Posse: Am 17. April 1985 gründeten Wiktor Neborak (* 1961), Oleksandr Irwanez (* 1961) und Jurij Andruchowytsch (* 1960) im ukrainischen Lwiw die Autorengruppe Bu-Ba-Bu, die die ukrainische Literatur, Kultur und Sprache grundlegend verändern sollte. Von JUTTA LINDEKUGEL

Wohnen und Leben

Hannes Lindenmeyer: Hellmut. Die lange Geschichte einer kurzen Straße Die Hellmutstraße bildet das Zentrum des Widerstands. Hannes Lindenmeyer, Hellmi-Aktivist der ersten Stunde, schildert das Innenleben eines Quartiers, das sich zum Ziel setzt, selbstbestimmt zu wohnen, d. h. selbst über die Bedingungen der eigenen Lebensumwelt zu entscheiden. Von WOLF SENFF

Im europäischen Herz der Finsternis

Kulturbuch | Karl-Markus Gauss: Die Hundeesser von Svinia Karl-Markus Gauss reist zu den slowakischen Roma. Ein bewegendes, aufwühlendes und doch auch irritierendes Buch – vorgestellt von WOLFRAM SCHÜTTE

Portrait of the President as a young Man

Sachbuch | Oliver Lubrich (Hg.): John F. Kennedy – Unter Deutschen Vor fünfzig Jahren, im Juni 1963 besuchte US-Präsident John F. Kennedy die Bundesrepublik. Von diesem Besuch ist der Abstecher nach Berlin die denkwürdigste Episode geblieben. Die Reise war der letzte Besuch Kennedys in Deutschland, denn schon im November des selben Jahres wurde er ermordet. Sie war aber keineswegs sein erster Aufenthalt bei uns. Als junger Mann war Kennedy nicht weniger als drei Mal in Deutschland gewesen. Oliver Lubrich hat jetzt die Selbstzeugnisse Kennedys von seinen Reisen 1937, 1939 und 1945 unter dem Titel John F. Kennedy – Unter Deutschen zusammengestellt. Von