Paris

Lite Ratur | Wolf Senff: Krähe

Glaubst du dran, Krähe? Vergiss es. Sie bringen es doch nicht einmal, dass sie einen Flughafen termingerecht aufstellen, schon gar nicht zum vereinbarten Preis.

Wie steht’s mit dem unterirdischen Bahnhof in Stuttgart? Aus der Konzerthalle, die sie in die Elbe stellen? Die Sanierung der Oper in Köln kann nicht termingerecht abgeschlossen werden? »Heiliger Bimbam!«, riefen unsere Großeltern, »Heilige Axt!«, rufen wir.

800px-ParisUnd, Krähe? Glaubst du dran? Jetzt nehmen sie sich vor, den Planeten zu retten. Das Klima, ja, und reden über Fristen und Termine. Bendzko? Nein, der nicht, Krähe. Du hast doch gehört von Paris, von der Weltklimakonferenz in Paris, das sollte dich interessieren, eine Menge wichtiger Leute, viel Medienhype, sie machen einen Aufreger draus. Wenn das Klima einbricht, ist auch für dich zappenduster.

Nein, reg dich nicht auf, du kannst nichts dagegen tun, der Mensch hat’s verbockt. Das Kind ist in den Brunnen gefallen, widerstrebend nimmt er das Geschrei zur Kenntnis und hält sich die Ohren zu. ›Geld verdienen mit dem Klimaschutz‹, titelt die ›Frankfurter Allgemeine Zeitung‹ – mancher wird nie begreifen, was auf dem Spiel steht.

Was las ich über die Saiga-Antilopen? Sechzigtausend Tiere innerhalb von vier Tagen verendet? Binnen Jahresfrist 257.000 Saiga-Antilopen in Kasachstan um die Hälfte reduziert? Ja, einfach gestorben, eine bislang unbekannte Seuche, die Wissenschaft wird’s analysieren und uns wie üblich nachher erklären, woran’s lag.

Nein, wir müssen nicht bis Kasachstan gehen, das Artensterben ist auch in Mitteleuropa eine vertraute Erscheinung. Doch solange andere sterben, ist das nicht so wichtig, Krähe, da rührt der Mensch keinen Finger, höchstens, dass wir bisschen jammern, Träne für die Kamera, Fahne auf halbmast, Gedenkminute vorm Anpfiff.

Ach, das ist uns doch so was von egal, letztlich ist uns dieser Planet völlig banane. Saubere Luft? Was war mit den gefälschten Abgaswerten? Nun habt euch mal nicht so. Die Welt verändert sich, die Welt hat sich immer verändert und mit ihr, klar doch, das Klima. Oder, Krähe? ›You gotta get up and try and try and try‹? Du bist das? Schäm dich!

Na ja, ich versteh schon, du bist ein kluges Tier, du wirst Einwände haben. Nein, du hast das nicht zu verantworten. Das Ruder herumwerfen? Ach, Krähe, du hast nicht die geringste Ahnung, wie der Mensch tickt. Die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen? Ich bitte dich. Deren Hirne sind so leer, du glaubst es nicht. Nur Zahlen und eine Menge Platz, dass der Rubel rollt, sonst spielt sich nichts ab.

Das Potsdamer Institut für Klimaforschung arbeitet daran, mit Computersimulationen zu prognostizieren, und orientiert auf zwei Grad Erwärmung, ingenieursmäßiges Denken, das, sagen sie, würde die Lebensgrundlagen erhalten. Die medialen Hilfstruppen machen Hype in Paris, ein paar Tage lang füllt das Thema die Gazetten, gibt große Buchstaben, Talkshows im TV, anschließend ist halt ein neues Thema im Programm.

Und? Wie gehen wir mit anderen Symptomen um? Dieser Tage erst trieben mehr als dreihundert verendete Wale vor der Küste Perus an. Außer dass es medial unter ›Vermischtes‹ erwähnt wird, geschieht nichts, es gibt keinen Plan. An der Rodung der Urwälder – Vernichtung der CO2-Speicher – für kommerzielle Interessen hat sich seit Jahrzehnten nichts geändert.

Das Ruder herumwerfen, die Richtung ändern, sich in die Natur zu fügen, anstatt sie zu beherrschen, das ist zu viel verlangt. Umdenken, Krähe, das ist noch ein Thema für Träumer in dem schönen Paris an einem Sonntag. Anschließend ein erbaulicher Spaziergang über den Père Lachaise.

| WOLF SENFF

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Sweet Beats And Christmas Cheer: December New Album Reviews

Nächster Artikel

Von echten Männern und dem wilden Meer

Weitere Artikel der Kategorie »Lite Ratur«

Großmacht

Liter Ratur | Wolf Senff: Großmacht Da ist jemand bemüht, sein Leben anzuhalten, Krähe, verstehst du. Als ob es einen Schalter gäbe, auf den drückst du drauf, stopp, und nun bleibt alles, wie es ist. Nein, verstehst du nicht, Krähe. Also anhalten und endlos in dieser Schleife verweilen, darum geht’s, der Rausch des Erfolgs findet kein Ende, er betäubt so lange, bis der Sensenmann die Bühne betritt.

Der Holzschuh- und der Spitzentänzer

Lite Ratur | Roth und Tucholsky, Avignon und Marseille. Und Laura Der Publizist Klaus Jarchow wies vor einiger Zeit in seiner ›Besichtigung literarischer Werkstätten‹ darauf hin, Kurt Tucholsky würde Joseph Roth häufig vorgezogen. Er hielt das für ungerechtfertigt, sei Roth doch als politischer Schriftsteller genau so gewichtig. Als gewichtig charakterisiert THIERRY PORTULAC Roth denn tatsächlich, im Vergleich zur Leichtigkeit des sich nicht minder politisch äußernden Tucholsky. Am Beispiel des Frankreich-Bildes beider Autoren nimmt er eine Gegenüberstellung vor.

Volkswagen

Lite Ratur | Wolf Senff: Begegnungen Er hatte die unangenehmen Zeitgenossen ausnahmslos abgewimmelt, oder? So viele waren es nun auch wieder nicht gewesen, aber finde sich mal einer zurecht in dem herrschenden Durcheinander. Immer mal wieder kam einer an in heller Verzweiflung und wollte sich auf seine Fähre flüchten. Bestechung? Nein, kein Gedanke daran, die Bräuche der Sterblichen waren hier unbekannt, er würde niemanden übersetzen, dessen Zeit nicht gekommen war.

5 vor 12

Textwerkstatt | Benjamin Brigant: 5 vor 12 Hach, ja, erster Schluck – immer schwer zu genießen. Scharf, sprittig, zersetzt die Zunge. Nicht lang schnacken! – Brennen im Rachen, in der Speiseröhre. Gesicht verzerren nicht vergessen. Bäh. Aufprall im Magen, bisschen Beben, kurzer Widerstand. Speichelreflex? – Ah, kommt schon. Besser spät als nie. Schnell schlucken! – Bleibt drin, klar doch, jawoll, geschafft, alles bestens, mein Guter! Leichte Wärmewelle, wie gewohnt. Schön. Doch noch genossen, irgendwie. Kurz mal die Augen geschlossen – Ruhe. Herz entspannt sich. Wunderbar.

Stichwunden

Liter Ratur | Wolf Senff: Stichwunden …dreiundzwanzig, wer zählte sie? Antonius? Lief er kreuz und quer im Getümmel, die Einstiche zählend, die Schwerter, die Dolche, wie stellen wir uns das vor?