/

Einsam, ruhelos und getrieben

Menschen | ›Georg‹: Zum 70. Geburtstag von Barbara Honigmann

»Ein sechzigjähriger Mann in einem möblierten Zimmer!« Dieser Satz auf der dritten Seite des neuen Buches von Barbara Honigmann schrillt wie ein Aufschrei durch den Handlungsbeginn. Es klingt nach Verzweiflung, nach Mitleid und Klage aus der Feder, der seit vielen Jahren in Straßburg lebenden Autorin, die am 12. Februar ihren 70. Geburtstag feiert. Von PETER MOHR

Honigmann - GeorgBarbara Honigmann hatte vor vier Jahren in ›Chronik meiner Straße‹ von Nachbarn in der Straßburger Rue Edel geschrieben, die »verlassene Heimat mit sich herumtragen.“ Für sie selbst ist das einstige »Provisorium« Straßburg längst eine zweite Heimat geworden, in der sie sich bereits ein Grab gekauft hat.

Wieder einmal schreibt die im damaligen Ost-Berlin geborene Barbara Honigmann die einst als Dramaturgin und Regisseurin an so renommierten Theatern wie der Volksbühne und dem Deutschen Theater Berlin gearbeitet hat, ganz stark an ihrer eigenen bewegten Vita entlang und betreibt dabei durchaus schmerzhafte Erinnerungsarbeit. Sie knüpft mit ihrem Vaterbuch ›Georg‹ an die Vorgängerwerke ›Eine Liebe aus nichts‹ (1991), ›Ein Kapitel aus meinem Leben‹ (2004) und ›Chronik meiner Straße‹ (2015) an. Barbara Honigmann stellt sich immer wieder der Frage, wie stark unser Leben durch die Biografien unserer Eltern geprägt wird, wie schwierig es bisweilen ist, die Fesseln von Kindheit und Jugend abzustreifen – erst recht, wenn die eigene Vita durch wechselnde politische Systeme maßgeblich beeinflusst wurde.

Georg Honigmann (1903-1984) hatte einst über das Weltbild von Georg Büchner promoviert, als Journalist und politischer Korrespondent gearbeitet. Vor den Nazis war der assimilierte Jude nach England geflüchtet, hatte für das NS-Regime spioniert, war dann aber nach Kriegsende in die DDR übergesiedelt, wo er in den 1960er Jahren sogar einige Auszeichnungen erhalten hatte. Ein Lebenslauf, der gleichermaßen bewegend wie unglaublich klingt und einem Roman von John le Carré hätte entspringen können.

»Die Eltern hatten sich von ihrer Herkunft ganz abgeschnitten und konnten deshalb nur in Rätseln oder gar nicht zu uns sprechen«, schrieb Honigmann schon vor 15 Jahren in ›Ein Kapitel aus meinem Leben‹. Dieses eisige Schweigen versucht die Autorin nun klar, nüchtern und völlig unprätentiös aus ihrer Perspektive im Rückblick in einer Mischung aus Erinnerungen, imaginierter Realität und kritischer Bestandsaufnahme aufzubrechen.

Vier gescheiterte Ehen, zahllose Affären und das Gefühl einer ständigen Heimatlosigkeit (sowohl im geografischen als auch im politischen Sinn) prägen Georgs Lebensweg. Wir begegnen ihm als ruhelosen Zeitgenossen, der wie ein Getriebener, ein beinahe manischer Dauer-Suchender durchs Leben zieht – mit Stimmungsschwankungen, deren Skala von euphorisch bis krankhaft depressiv reichte. Zumindest latent scheint Georg auch ein Problem mit dem Älterwerden gehabt zu haben, seine Frauen, die er in den unterschiedlichsten Lebensphasen heiratete oder mit denen er Affären unterhielt, waren stets um die dreißig Jahre alt.

»Er hatte Orte, Adressen und Ehen aneinandergereiht und außer seinen beiden Töchtern und den Bata-Schuhen nichts besessen«, heißt es – und es klingt wie ein bitteres Resümee – auf der vorletzten Seite des Buches, bei dem Verlag und Autorin bewusst auf eine Genre-Angabe verzichtet haben.

Barbara Honigmann hatte keine politische Abrechnung mit dem Vater im Sinn, sondern es ging ihr um das Verstehenwollen, um das Annähern an einen von politischen und emotionalen Loopings geprägten Lebenslauf. Zurückgeblieben ist das poetische Erinnerungsbild an einen vereinsamten Individualisten, der sich kurz vor seinem Tod seiner Ärztin gegenüber selbst als »old man in a hurry« bezeichnet hat.

Barbara Honigmanns ›Georg‹ hinterlässt beim Leser ähnlich tiefe Spuren und zwiespältige Gefühle wie das im letzten Herbst erschienene Vater-Buch ›Irgendwo in diesem Dunkel‹ (Rowohlt Verlag) der beinahe gleichaltrigen Natascha Wodin. Höchst persönliche Werke, in denen erzählend quälende Fragen nach biografischen Wurzeln gestellt werden und damit auch eigene Lebensentwürfe auf den kritischen Prüfstand geraten. Und doch sind es auch poetische Vermächtnisse.

| PETER MOHR

Titelangaben
Barbara Honigmann: Georg
München: Carl Hanser Verlag 2019
157 Seiten, 18 Euro
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Reinschauen
| Leseprobe

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Resident Evil 2 – Es lebt!

Nächster Artikel

Erfinder eines modernen Pantheon

Weitere Artikel der Kategorie »Menschen«

Des Teufels General und der falsche Hauptmann

Menschen | Zum 125. Geburtstag des Schriftstellers Carl Zuckmayer

›Des Teufels General‹ und der ›Hauptmann von Köpenick‹ gehörten über lange Zeit für viele Gymnasiasten zum Unterrichtsstoff und waren Evergreens auf den deutschsprachigen Theaterbühnen. Die große Zeit des Dramatikers und Erzählers Carl Zuckmayer scheint vorbei zu sein, seine Stücke stehen nur noch vereinzelt auf den Spielplänen, seine Bücher werden kaum noch nachgefragt. Warum? Kommt der Schriftsteller Zuckmayer heute zu volkstümlich, zu wenig intellektuell daher? Von PETER MOHR

Geschichten, die wir selber schreiben

Musik | Interview mit Hannes Wittmer

Seit mehr als zehn Jahren ist Hannes Wittmer hauptberuflich als Musiker tätig. Der gebürtige Unterfranke wurde vor allem als Singer-Songwriter unter dem Pseudonym Spaceman Spiff bekannt, unter welchem er bis 2017 poetische, deutschsprachige Texte mit melancholisch anmutenden Gitarrenklängen vermischte. Als Teil der experimentellen Indie-Band Otago veröffentlichte er später auch englischsprachige Lieder und entfernte sich damit mehr als nur namentlich von seiner Rolle als Spaceman. 2018 entschied er, diese endgültig gehen zu lassen und fortan unter seinem bürgerlichen Namen aufzutreten. SARAH SCHMITTINGER traf noch vor den Kontaktbeschränkungen einen Künstler, der in den letzten Jahren gespürt hat, was es heißt, mit Erwartungen zu brechen und Alternativen aufzuzeigen.

»Die Federn des Carl Barks«

Comic | ›Disney‹-Zeichner Ulrich Schröder im Interview 17 Jahre lang hat Ulrich Schröder als Art Direcor für ›Disney‹ gearbeitet. Dabei hat er nie eine Zeichenausbildung absolviert – und seine Liebe zu Comics entsprang einem Unfall. Parallel zur Veröffentlichung des deutschen ›Micky Maus Magazins 7/8 2017‹, für das er das Covermotiv beisteuert, sind seine Werke in Würzburg zu sehen. CHRISTIAN NEUBERT traf Ulrich Schröder zum Interview.

Schreiben mit dem Weitwinkel

Menschen | Zum Tod der Georg-Büchner-Preisträgerin Brigitte Kronauer ›Eigentlich ist man als Schriftsteller immer froh, wenn sich Wahrnehmungen verändern. Man darf sich bloß nicht in einen blöden Sog bringen lassen‹, hatte Brigitte Kronauer im letzten Jahr in einem FAZ-Interview auf die Frage nach möglichen Problemen mit dem Älterwerden erklärt. Von PETER MOHR

Deutsch-deutscher Grenzgänger

Menschen | Vor 25 Jahren starb der Schriftsteller und ›Liebling Kreuzberg-Schöpfer‹ Jurek Becker (14. März)

Sein Lebensweg hätte reichlich Stoff für einen Roman hergegeben, für ein opulentes Erzählwerk, das zwischen Tragödie und Komödie changiert. Eine Vita, in der sich noch Spuren der Grausamkeiten des Zweiten Weltkriegs wiederfinden und die vom Grenzgang zwischen den beiden deutschen Staaten geprägt ist. Die Rede ist vom Schriftsteller und Drehbuchautor Jurek Becker. Ein Porträt von PETER MOHR