The Walking Dead und das Problem grundsätzlicher plot holes

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Ein nagendes Gefühl, endlose Argumentationsketten und jahrelange Diskussionen: plot holes bringen Freunde von Film und Fernsehen zur Weißglut. Mit der Zeit wird dies nicht besser, vielmehr bleibt der Eindruck störender Handlungsfehler bei jedem neuerlichen Leinwanderlebnis konstant haften. Am bekanntesten dürfte hierfür eine Szene aus Titanic sein: Jack hätte neben Rose auf die im eiskalten Meer treibende Tür passen müssen … oder vielleicht doch nicht? Fragt sich Dr. DANIEL MEIS

Solche plot holes können die gesamte Handlung eines Films oder einer Serie infrage stellen, sie in sich selbst unschlüssig und damit unglaubhaft erscheinen lassen. Im Wesentlichen handelt es sich um simple Logikfehler wie Missverständnisse, Versehentlichkeiten im Drehbuch, Umsetzungsproblemen bei der Produktion und Weiteres. Ein plot hole wird nur selten absichtlich konzipiert. Es ist damit eher Ausdruck von Zufällen oder Ungenauigkeiten. Die üblichen kleinen Filmfehlerchen wie bei Masken oder Kameraschnitten fallen naheliegenderweise nicht darunter. Bei plot holes geht es vielmehr um handlungsinterne Inkonsistenzen und Widersprüche.

Anhand der populären Serie The Walking Dead wird hier das Problem grundsätzlicher plot holes diskutiert. Als Medienhistoriker seien hierzu noch einige Bemerkungen methodischer Natur vorgebracht. Erstens wird »nur« die Ausgangsserie The Walking Dead von 2010 bis 2022 in den Blick genommen. Innerhalb des Serienuniversums gibt es viele weitere Serien, die noch lange nicht abgeschlossen und die allesamt mit der Handlung der Ausgangsserie verwoben sind. Hier aber das gesamte Serienuniversum, wohlgemerkt noch in Produktion und längst nicht »auserzählt«, zu analysieren, würde den Rahmen sprengen. Ein längerer fachwissenschaftlicher Aufsatz könnte sich dem aber einmal widmen.

Zweitens bringt es rein wissenschaftlich gesehen wenig, auf großen plot holes herumzureiten. TV-Serien sind Kunst, Kunst ist subjektiv, Subjektivität ist eine menschliche Eigenschaft, errare humanum est. Und je länger eine Serie besteht, umso mehr Schnitzer können sich einschleichen. Kleinere Patzer stören meist nicht, doch ab einer gewissen Häufung sind sie kaum noch zu überbrücken oder gar ignorieren. Das gilt vor allem, wenn die innere Logik der Gesamthandlung durch solche Fehler in Frage gestellt wird.

So oder so sind die plot holes in The Walking Dead aus medienhistorischer Sicht interessant. Denn einerseits ist die Serie höchst erfolgreich, besitzt also eine nachweisbar umfangreiche Verbreitung. Andererseits ist The Walking Dead rein qualitativ hochwertig umgesetzt. Intensität der filmischen Verarbeitung, Handlungswechsel der verschiedenen Stränge, Realitätsnähe menschlichen Verhaltens lassen sie Teil eines Kreises von Serien sein, zu denen auch Breaking Bad, Game of Thrones und Squid Game und einige wenige weitere zu zählen sind. Für den Medienhistoriker ist es daher auch rezeptionshistorisch spannend, die Entwicklung von The Walking Dead aus Perspektive der grundlegenden Logikfehler zu betrachten.

Gravierende Fehler – grundlegende Handlungslöcher

Die meisten plot holes bei The Walking Dead sind trotz jahrelanger Diskussionen in Fanforen und von Journalisten relativ einfach mit serieninterner Logik zu überbrücken. Immer wieder wird beispielsweise kritisiert, dass Hershels Schrotflinte beim Fall der Farm am Ende der Staffel 2 ganze 25 mal schießt, was eine für Schrotflinten völlig illusorisch ist. Natürlich ist so etwas ein Logikfehler. Aber beim genaueren Betrachten der Szene wird ersichtlich, dass ihm die Walker ohnehin nicht zu nahekommen, selbst als er am Ende doch nachladen muss. Hätte er also realitätsnah mehrfach nachladen müssen, wäre es für die Handlung nicht wesentlich gewesen.

Ein amerikanischer Bauernhof in der Nacht. Im Hintergund ist eine altertümliche brennende Scheune zu sehen.
S 2 F 13, 12:19
© AMC Networks

Selbst für vermeintlich größere Logiklöcher gilt das: Es wird zum Beispiel regelmäßig kritisch darauf hingewiesen, dass Treibstoffe nur wenige Monate haltbar sind, in der Serie aber über Jahre Tankstellen und liegengebliebene Autos erfolgreich für den eigenen Bedarf angezapft werden. Das mag ein Logikfehler sein. Wäre das Benzin ausgegangen, hätten die Charaktere aber auch einfach etwas früher mit der Umrüstung ihrer Fahrzeuge und notfalls dem Umstieg auf das Pferd beginnen können – was in späteren Staffeln ja geschieht.

Es gibt tatsächlich nur drei plot holes, die nicht aus der Handlung selbst erklärt werden können und das Geschehen der Serie grundsätzlich in Frage stellen. Dabei handelt es sich um die Ergebnisse des CDC, die Michonne-Tarnmethode, und die Rick-Glenn-/Whisperer-Tarnmethode. Diese drei Punkte reißen klaffende, dauerhafte und unüberbrückbare Löcher in die innere Logik von The Walking Dead.

Unauffälliges Bewegen in der Nähe von Walkern: die Michonne-Methode

Ein erhebliches plot hole ist das stete Ignorieren von Michonne Hawthorne-Grimes‘ wirkungsvoller Methode zum unauffälligen Bewegen unter Walkern. Durch das Amputieren von Armen und Unterkiefern nahm sie Walkern die Möglichkeit, und damit das Verlangen, zu fressen. Sie wurden ruhig und konnten einfach mit einer Kette geführt werden. Untereinander greifen sich Walker nicht an.

Diese Methode erweist sich immer wieder als höchst wirkungsvoll. Michonne Hawthorne-Grimes nutzt sie, um unerkannt zu bleiben. Sie kann zwar nur langsam gehen und muss sich aller Geräusche entsagen, doch es funktioniert. Ihr menschlicher Geruch wird dabei von den angeketteten Walkern überdeckt, sodass auch dies keine Walker auf den Plan ruft. Tatsächlich jedoch wird diese Methode nur von ihr genutzt, wenn von der sie zeitweilig begleitenden Andrea Harrison abgesehen wird.

Sicher, auch mit diesem Vorgehen sollte man stets vorsichtig sein und alles im Blick behalten. Zudem wird das Vorankommen erheblich verlangsamt. Aber diese Methode wäre um einiges sicherer, als alleine durch den Wald zu laufen und ständig über den eigenen Rücken blicken zu müssen. Gerade in Fällen, wo sich Protagonisten in schwer überblickbares Terrain begeben, wären ein paar an der Kette geführte Walker eine große Hilfe. Selbst die beschwerlichen Reisen zwischen den Siedlungsgebieten wie Alexandria oder dem Königreich auf den zunehmend verschlissenen Wegen sind stets gefährlich nah an undurchsichtigen Waldrändern, führen teilweise gar durch Wälder hindurch – einige »entschärfte« Walker zum Schutz wären hilfreich.

Es könnte höchstens argumentiert werden, dass man selbst gemäßigte Walker nicht in die eigene Nähe lassen möchte, oder dass Lebewesen, die einst Menschen waren, nicht Mittel zum Zweck sein dürften. Angesichts der nicht zimperlichen Umgangsweise der Handelnden mit Walkern kann jedoch beides ausgeschlossen werden. Für sie sind Walker in der Regel ein lebloses, blödes Ding, das nur negatives mit sich bringe. Drohen Freunde sich zu verwandeln, werden sie sofort davon »erlöst«. Fremde Walker also zweckzuentfremden wäre nur naheliegend.

Doch von solcher Logik ist keine Spur. Als sich zum Beispiel einige Personen zusammen mit Michonne Hawthorne-Grimes gegen Ende der vierten Staffel auf dem Weg nach Terminus befinden, laufen sie immer wieder Walkern in die Arme. Warum davon nicht zwei, drei zweckentfremden? Es erschließt sich dem Zuschauer nicht. Dabei sind solche Situationen in jeder Staffel zu finden. Ein so konstantes Handlungsloch ist höchstens noch in Einzelfällen überbrückbar, beispielsweise bei der Notwendigkeit einer besonders hohen Reisegeschwindigkeit. In den meisten Fällen hingegen besteht kein sinnvoller Grund, diese Methode zu ignorieren.

Freies Bewegen unter Walkern: Die Rick-Glenn-/Whisperer-Methode

Während die Michonne-Methode eher auf ein unauffälliges Bewegen in der Nähe von Walkern zielt, besitzt die Rick-Glenn-/Whisperer-Methode einen gänzlich anderen Anspruch: das freie Bewegen unter Walkern. Dabei geht es nicht um unauffälliges Verhalten, sondern um Tarnen und Aufgehen in der Umgebung. Schon in der ersten Staffel wird dies erstmals dargestellt: Rick Grimes und Glenn Rhee schmieren sich mit Innereien von Walkern ein und verhalten sich wie Walker, um durch eine Menge gehen zu können. Die sie umgebenden Walker erkennen sie erst in dem Moment als Menschen, in dem der einsetzende Regen die Innereien abwäscht und den menschlichen Geruch durchkommen lässt. Später wird diese Methode ab und an noch verwendet, aber nur in wenigen Ausnahmen.

Eine noch weitergehende Strategie des freien Bewegens haben die Whisperer gefunden. Sie waschen sich nicht, tragen Masken von erlegten Walkern, bewegen sich wie diese und leiten ganze Herden durch unauffällige Flüstereien in gewünschte Richtungen. Negan Smith benötigte einige Monate zum fehlerfreien Erlernen dieser Technik, was als schnell galt, und beherrscht sie schließlich nahezu perfekt. Die Anführer der Whisperer halten sich mit ihrem Verfahren riesige Herden zur Verfügung als Waffe und Tarnmethode, die größte zählt in der zehnten Staffel rund 10.000 Walker.

Im Gegensatz zu allen anderen Personen der Serie können sich die Whisperer in der Apokalypse frei bewegen. Sie verzichten dafür auf Körperhygiene, Häuser und Weiteres, entledigen sich faktisch der Zivilisation. Aber auch ohne einen vollständigen Verzicht ist die Strategie erfolgreich, wie beispielsweise Lydia mehrfach per Kaltstart zeigt – gegen Ende der zehnten Staffel führt sie gar Tausende Walker in deren sicheren Tod auf eine Klippe zu und rettet damit die menschlichen Siedlungen der Umgebung.

Eine LAndschaft von oben, bei der viele menschenähnliche Wesen auf einen Abgrund zulaufen.
S 10 F 16, 33:17
© AMC Networks

Es wird immer wieder vorgeführt, dass eine solche Technik viel Übung benötigt. Ihre Wirkungskraft ist aber von einer bis dahin ungeahnten Kraft. Nicht nur kann man sich völlig frei unter Walkern bewegen, sie gar passiv als Gefahr beseitigen oder als aktive Waffe einsetzen. Dennoch machen sich nur die Whisperer nachhaltig dieses Rezept zu eigen. Dabei gelten grundsätzlich die gleichen Vorteile wie bei der Michonne-Methode, sie benötigt nur mehr Einübung. Der Gewinn ist dafür um einiges höher. Man kann ganze Horden ansammeln und sie gegen verfeindete Siedlungen anrennen lassen, man kann streunende Walker aufsammeln und sie in tödliche Fallen laufen lassen – aber bis auf die Whisperer nutzt kaum jemand diese Möglichkeiten.

Ein so unlogisches Verhalten bedeutet ein großes Loch in der Handlung. Selbst als sich Ende der elften Staffel eine große Herde der Hauptstadt des Commonwealth nähert – immerhin die größte Siedlung in The Walking Dead – bleibt diese Technik ungenutzt. Walker dringen in Massen ein, verwüsten die Stadt und töten Hunderte bis Tausende. So gefährlich die Handhabe sein mag, gab es unter den Protagonisten doch stets genug selbstlose Personen, die sie beherrschten. Ihre Fertigkeiten wurden nicht herangezogen. Für den Zuschauer ist das wenig nachvollziehbar.

Die ignorierte Antwort auf alles: die Ergebnisse des CDC

Größtes plot hole ist eindeutig der Umgang mit den wissenschaftlichen Ergebnissen des CDC, also des Centers for Disease Control. In der ersten Staffel finden die Protagonisten temporär Zuflucht im CDC, angetrieben von der Hoffnung auf Antworten und Sicherheit. Im CDC ist aber nur noch ein einziger Wissenschaftler übrig: Edwin Jenner. Was dieser jedoch der Gruppe erzählt, zeigt und erklärt, ist von fundamentaler Bedeutung für das Verständnis der Apokalypse.

Er erläutert der zwölfköpfigen Gruppe, nicht weniger, als was es mit dem Walker-Virus auf sich hat. Edwin Jenner zeigt ihnen Scans und Aufnahmen, bringt ihnen in leicht verständlicher Sprache nahe, wie im menschlichen Gehirn Persönlichkeit besteht, dass der Walker-Virus die Menschen tötet und dabei alles an Persönlichkeit vernichtet. Der nach Todeseintritt wiedererwachte Walker hat laut Edwin Jenner nur noch einen Antrieb im Gehirn: Fressen! Der Mensch mitsamt seiner Persönlichkeit ist weg, eine Wiederherstellung nicht möglich.

Mehrere Menschen stehen in einem dunklen aber hochmodernen Labor und betrachten einen riesigen Bildschirm, auf dem ein menschlicher Knochen abgebildet ist.
S 1 F 6, 22:23
© AMC Networks

Diese Information, erforscht von Wissenschaftlern und simpel erklärt für Laien, bedeutet fundamentales Wissen. Doch wird dieses Rüstzeug nie weiterverbreitet und nutzbar gemacht. Das Gegenteil ist der Fall. Immer wieder hätte es sich geradezu aufgedrängt, diese Erkenntnisse weiterzureichen. Auf der Farm in Staffel 2 zum Beispiel geraten die Gastgeber um Hershel Greene mit den Gästen um Rick Grimes über die Einschätzung der Walker so stark aneinander, dass der Hausherr die Besucher zum Gehen auffordert. Denn er denkt, die Walker seien lediglich krank und könnten irgendwann geheilt werden. Doch niemand hält es für nötig, ihn über die wissenschaftlichen Ergebnisse des CDC aufzuklären. Dabei wäre er als Veterinär wahrscheinlich durchaus offen für solche Argumente gewesen.

Ein so tiefes Logikloch kann kaum mit Sinn gefüllt werden. Haben die zwölf Personen Edwin Jenner im CDC nicht verstanden? Die Reaktionen auf seine Erklärungen wirken eher erstaunt, verstehend, nachdenklich. Waren die wissenschaftlichen Ausführungen vielleicht zu kompliziert? Edwin Jenner drückte sich verständlich aus, und nicht nur die Intellektuellen und Gebildeten der Gruppe wie etwa die Juristin Andrea Harrison sollten ihn verstanden haben. Haben die Protagonisten etwa wegen ihrer Flucht aus dem kurz vor der Zerstörung stehenden CDC die Ergebnisvorstellung einfach vergessen? Unwahrscheinlich – so grundlegend, wie diese zum Verständnis der neuen Welt waren.

Das plot hole um das CDC könnte noch weiter diskutiert werden, aber einen in sich schlüssigen Abschluss findet es damit nicht. Die Verantwortlichen der Serie bezeichneten die entsprechende Folge späterhin als Fehler, mochten sie nicht und ignorierten künftig schlicht ihre Inhalte. Damit blieb es bei dem Handlungsfehler. In der Serie sollte dieses plot hole noch etliche Leben kosten und die großflächige Unwissenheit über die Hintergründe der Walker unangetastet lassen. Die Antwort auf alles wird einfach ignoriert.

Offene Restfragen

Neben den drei diskutierten plot holes kommen in The Walking Dead noch einige weitere nie geklärte Logikfehler auf, die zwar nicht aus der Handlung selbst begründet sind, aber trotzdem erhebliche Fragezeichen aufwerfen. Das betrifft mitunter ganz wesentliche Fragen des Alltags. Warum beispielsweise wird in keinem der gewählten Zufluchtsorte – von der Farm über das Gefängnis bis zu Alexandria und etlichen weiteren – ein simpler Graben um die Außengrenze gezogen? Streunende Walker würden hineinfallen, nicht mehr herauskommen, könnten gefahrlos ausgedünnt und verbrannt werden.

Stattdessen lebt man auf der Farm offenen Feldes, wo man von der Walker-Herde völlig überraschend attackiert wird und drei der 16 Personen versterben. Beim Gefängnis verlässt man sich auf die alten Zäune, die von Walkern immer mehr eingedrückt werden, bis sie zusammenklappen. In Alexandria begnügt man sich mit gestützten Wellblechwänden, auf die nur ein Baum umstürzen musste, um die Stadtmauer einzureißen. Selbst auf den ersten Blick sicher erscheinende Schutzwälle wie die Mauern in Hilltop aus Baumstämmen sind bei näherem Hinsehen fragwürdig. Es verwundert nicht, dass die verfeindeten Whisperer sie innerhalb einer einzigen Nacht komplett niederbrennen können. Die Beispiele ließen sich fortführen. Das gilt auch für weitere ungeklärte Logikfehler der Serie.

Ein Mann mit roten Haaren und schwarzer Jacke blickt auf einen hohen massiven Holzzaun. Er trägt ein Gewehr über seiner Schulter.
S 6 F 11, 20:55
© AMC Networks

Ausblick

Je länger eine Serie Bestand hat, umso mehr plot holes wird sie aufweisen. Nur sehr wenige Serien entkommen diesem Schicksal, darunter etwa Breaking Bad. Bei The Walking Dead sind es auch nur drei grundlegende Logikfehler – bei insgesamt elf Staffeln und 177 Folgen ein starkes Ergebnis. Und ganz offensichtlich zieht es die Zuschauer trotz dieser drei Widersprüche en masse vor den Bildschirm. Aktuell sechs Ableger und diverse Webserien sprechen für sich.

| DR. DANIEL MEIS
| Abbildungen: AMC Networks

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