So um die 100 Einwohner hat sie doch immerhin, die zweitgrößte deutsche Hallig, groß ist sie nicht wirklich, eher sehr überschaubar, ein Eiland im Taschenformat. Aber: eine Insel, die das Herz des Autors für immer erobert hat, Hallig Hooge. Geschichten aus seiner Jugend, Erinnerungen und heutige Eindrücke sind es, die Jan Keith erzählt und BARBARA WEGMANN hat sie mit viel Freude gelesen.
»Es gab Zeiten in meinem Leben, da war ich 51 Wochen im Jahr der Verlierer. Und eine Woche König. Der König von Hooge.« Liebenswerter können 160 Seiten nicht geschrieben sein, was für eine charmante Liebeserklärung der ganz besonderen Art. Als Jugendlicher fährt Jan Keith erstmals auf eine Freizeit seiner Musikschule nach Hooge. Eine neue Kulisse, ein aufregend fremder Ort, Mädchen, Pubertät, na, da kam alles zusammen und geblieben ist bis heute die Verbundenheit und Liebe zu einem kleinen Fleckchen Erde mitten im Nordfriesischen Wattenmeer. Achtmal nahm er an den Freizeiten teil, dann sah er Hooge über Jahre nicht, dennoch: »Tief in meinem Inneren, ganz hinten in der Ecke, hielt ich stets ein kleines Plätzchen frei … Ich bin tatsächlich zurückgekehrt. Diesmal nicht als pubertierender Junge. Sondern als Kolumnist der Zeitschrift ›mare‹.« Und hier sind es die 37 Folgen, die Keith zwischen 2018 und 2024 schrieb. Kleine Episoden von einer kleinen Insel, herzlich, ehrlich, mit viel Charme und Esprit, mit Witz und Humor und mit viel, viel Fingerspitzengefühl. Hooge, ein Ort mit »diesem platten Grün, den Prielen, den aufgeschütteten Wohnhügeln, die sie Warften nennen.« ›Kein Arzt, keine Apotheke. Kein Eltern-Kind-Café‹.« Und ein Kinobesuch ist nur dann möglich, wenn mindestens 5 Leute reinwollen in einem Film. Was tun? Ein Mitarbeiter der Halligverwaltung, der Hafenmeister und der Postbote fahren einmal im Jahr ans Festland, buchen ein Hotel und schauen im Multiplex einen Film nach dem anderen. »Für die drei Männer ist es der Höhepunkt des Jahres. Ein cineastischer Exzess, der sich so anfühlte, als würden sie sich einmal im Jahr hemmungslos betrinken.«
Es ist wohl die sympathische Mischung aus Lokalkolorit, der wohlmeinenden Skizzierung diverser Hooger Einwohner und Keiths ganz persönlichem Stil, seine so eigene Sicht und Verwobenheit mit diesem Sandhaufen. Kapitel, die sich wunderbar leicht und süchtig machend lesen, die gut gelaunt das Buch schließen und weglegen lassen. Erst einmal, denn, wer weiß, vielleicht holt man es nach einem eigenen Hooge Besuch ja auch einmal wieder hervor.
Jan Keith hat eine vielseitige Karriere gemacht: Politikwissenschaft, Japanologie und Geografie studierte er, absolvierte die Journalistenschule in München, schrieb für die Financial Times Deutschland, bevor er schließlich für mare tätig wurde, und nun in diesem Buch 37 kleine hinreißende Nordseeperlen vorlegt.
Es sind allein schon die ganz besonderen Umstände dieses Eilands, die Leser ganz spontan schmunzeln lassen: Der für Hooge zuständige Polizist ist auf Amrum und hat kein Polizeiboot. Fähre? Maximal einmal am Tag, montags gar nicht. Die Kriminalität ist glücklicherweise »extrem niedrig«, das Sicherheitsempfinden der Hooger hoch. Es gibt auch keinen Ordnungsbeamten, allerdings: Die Bürgermeisterin darf Knöllchen ausstellen. »Auf Hooge schnallt man sich nicht an.« Das sei spießig, erklärt sie Keith. 40 Autos gibt es auf der Insel. Und: Es gibt eine Grund- und Hauptschule für 12 schulpflichtige Kinder, die sich auf die Klassen 1 bis 9 verteilen. Keith schildert anschaulich, er wisse jetzt, dass ein »Halliglehrer ähnliche Fähigkeiten mitbringen müsse wie Verkehrspiloten beim Landeanflug im Sturm, geschüttelt von Gewitterwolken und Winden, behalten sie viele Dinge gleichzeitig im Blick: Höhe, Geschwindigkeit, Kurs und die eigenen Nerven.« Vom Bestatter und archäologischen Funden erzählt Keith, vom Tourismus und der Liebe auf dem kleinen Eiland. Von Trachten und Tradition, vom Boßeln, von der Insel-Geschichte und dem Glauben auf Hooge. Ausgesprochen kurzweilig ist jede Geschichte, stets nur drei Seiten, steckt voller Flair und spiegelt Jan Keiths Verbundenheit zu einem besonderen Fleckchen Erde wider.
Übrigens, es versteht sich, dass die drei Hooger Cineasten sich am nächsten Morgen verkatert auf die Heimreise machen, zurück nach Hooge, »der wohl schönsten Entzugsklinik Deutschlands.«
Titelangaben
Jan Keith: Meine Hallig Hooge
Illustrationen: Orlando Hoetzel
Hamburg Mare Verlag 2024
160 Seiten, 20 Euro
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