Vom New Wave zum Re-Rave

Musik | Toms Plattencheck

Du bist Musik-Freak und greifst bei der Suche nach neuem Input gerne auch zu diversen Listen? Der übliche »1001 Alben, bevor du den Löffel abgibst« oder »12000 Singles die jeder Rolling Stone Leser im Keller stehen haben sollte«-Quatsch langweilt dich aber zusehens. Dann bist du vielleicht schon mal über die Liste »100 Records that set the world on fire (while no one was listening)« des englischen Wire Magazins gestolpert. Von TOM ASAM

Family Fodder - Monkey Banana Kitchen
Einen der dort gelisteten, übersehenen Schätze veröffentlicht das Staubgold Label mit dem legendären ersten Album der Londoner Underground Heroes Family Fodder. Das 1980 erschienene Monkey Banana Kitchen wird hier kompletiert durch die 12″ EP Schizophrenia Party (1981) und die 7″ Singles Film Music (1981) und The Big Dig (1982), alle ursprünglich erschienen auf Fresh Records. Die 1979 gegründeten Family Fodder waren Teil einer bunten Underground/ DIY Szene – bekanntere Namen dieser Ära sind This Heat, The Flying Lizards, The Pop Group oder die Slits. Family Fodder verbanden New / No Wave Ansätze mit psychedelischen Ausflügen und abgedrehtem Dub-Mixing. Dabei entstand eine sehr eigenständige Musik zwischen karger Popschönheit und experimenteller Improvisationslust, die in Ausschnitten auch eine gewisse Affinität für Jazz der etwas anderen Art durchschimmern lässt. Die Instrumentierung ist weitaus vielschichtiger als bei handelsüblichen New Wave Bands. Piano, Synthesizer, Melodica oder Cowbells sind hier Teil einer »alles geht«-Einstellung, die aufgeht. Die Musik wirkt auch nach mehr als 30 Jahren völlig frisch und verblüffend. Nach 49 Americans eine weitere großartige Ausgrabung von Staubgold, die man sich nicht entgehen lassen sollte. Simon Reynolds übrigens listet in seiner unverzichtbaren New Wave Bibel Rip it up… einen Family Fodder Song unter seine zehn Lieblingssongs der heißesten John Peel-Ära Ende der 70er. Mein Anspiel-Tipp: das neunminütige Dinosaur Sex (quasi als Ermunterung für alle, die 1980 auch schon Musik gehört haben).

Sam Roberts Band - Lo-Fantasy

Sam Roberts Band? In Nordamerika steht am Ende dieses Namens immer öfter ein Ausrufezeichen. Die bisherigen beiden Alben der Quebecer verschafften ihnen nicht nur Supports für Giganten wie die Stones oder AC/DC, sondern auch TV-Auftritte zur Primetime. Ihr Poprock ist so eingängig wie groovy, dass man bereits beim ersten Hören mitsummt und mit dem Fuß stampft. So ist es auch wahrscheinlich, dass Album Nummer drei, Lo-Fantasy mit Hilfe des Top-Produzenten Youth (aka Martin Glover, u.a. »mitschuldig« am Verve-Überalbum Urban Hymns) für weitere Fans sorgen wird. In den kanadischen Albumcharts schlug die erste Single We´re all in this together voll ein, und das Album ist diesmal auch in Europa erhältlich ohne den Import-Dealer zu bemühen. Songs wie erwähnter Singletrack oder The Hands of Love verdeutlichen, dass die Erinnerung an die Manchester-Rave-Tage allerorten wieder auftaut (die Australier Cut Copy etwa liefern mit ihrem aktuellen Werk eine durchgängige Hommage an die Acidrevolution). Auch der Rest könnte mit glatter Bombast-Produktion und Mitgröl-Refrains direkt aus den 80ern in die Jetztzeit gebeamt sein. Lo Fantasy ist in der Tat nicht allzu fantasiereich, allerdings höchst professionell, ansteckend und catchy.

Fanfarlo - Lets Go Extinct

Auch die Londoner Fanfarlo sind beim gefürchteten dritten Album angekommen, dass doch gerne eine »make it or break it«-Situation mit sich bringt. Bisher blieb die Resonanz eher überschaubar. Die Band um den talentierten schwedischen Sänger Simon Balthazar verwöhnt mit schönen Melodiebögen und leicht verschnörkeltem Beiwerk samt Bläsern und Streichern. Let´s go extinct stellt soundtechnisch zwar die Rückkehr dar zu einem etwas wärmeren Gefühl als auf dem Vorgänger Rooms filled with light. Allerdings hätte man sich, ausgehend vom an frühe Arcade Fire oder The National erinnernden Debüts, mal mehr Dreck unter den Fingernägeln vorstellen können. Bei aller Bemühung um Abwechslung bleiben die tollen Songs immer noch etwas zu steril und verkopft. Um die Anklänge von 50´s Elektronik Pionier Raymond Scott, NY-Legende Suicide oder Krautrock, von denen im Pressetext die Rede ist, zu hören, braucht man schon eine Menge Phantasie. Man wird das Gefühl nicht los, dass diese begabte Band es versäumt, auf den Punkt zu kommen und auch weiterhin im Schatten von weitaus weniger ambitionierten Konkurrenten bleiben wird. Schade – trotzdem gut und hörenswert.

| TOM ASAM

Titelangaben
Family Fodder: Monkey Banana Kitchen – Staubgold
Sam Roberts Band: Lo-Fantasy – Paper Bag / Rough Trade
Fanfarlo: Let´s go exstinct – New World Records / Rough trade

Termine
Fanfarlo auf Tour:
27. Februar – Berlin, Bi Nuu
28. Februar – München, Ampere
01. März – Wien, Flex (A)
06. März – Zürich, Rote Fabrik (CH)
07. März – Frankfurt, Das Bett

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