Gesellschaft | Renée Schroeder: Von Menschen, Zellen und Waschmaschinen
Überbevölkerung, Überproduktion, Konsumrausch, Konkurrenzdenken, digitale und religiöse Demenz, Krankheiten durch Falschernährung, der Welt geht es schlecht. Das konstatiert zumindest die österreichische Biochemikerin und Zellbiologin Renée Schroeder in ihrem neuen Buch Von Menschen, Zellen und Waschmaschinen. Eine Anstiftung zur Rettung der Welt und serviert gleich die wahre Lösung für alle Probleme. Die allerdings ist eine, die die Welt bestimmt nicht braucht, meint MAGALI HEISSLER.
»Sollten wir unsere Zukunft nicht besser gestalten?«, fragt Schroeder zu Beginn und führt die Leserin schon im Vorwort mit vielen Ausrufezeichen und im Duktus US-amerikanischer Verkaufsstars, die vom Autoreifen bis zum Seelenheil alles losschlagen, zur Antwort: Sollen wir.
Unter Rückgriff auf das weidlich strapazierte Höhlengleichnis nennt sie dann den Grund dafür, wie »wir«, die Menschheit, in die heutigen Katastrophen geraten sind. »Wir« wissen nicht genug.
Das liegt daran, dass wir nicht genug nachdenken und auch Angst vor Wissen haben. Das trifft vor allem Philosophen, die zwar nützlich sind, weil sie unser Wissen erweitern, aber zuweilen auch kapitulieren aus Angst vor dem Denken. Dann bringen sich viele von ihnen um (S. 149).
Wer es jedoch wagt zu denken, die tritt ans Licht der Erkenntnis. In dessen leuchtendem Strahl sieht sie vor allem ein Schreckensszenario: die Überbevölkerung.
Horrovisionen
Zweitausend Jahre lang wuchs die Menschheit kaum, sagt Schroeder. Sie stützt sich dabei auf Schätzungen der UNO. Verlässliche Zahlen gibt es nicht. Ab dem 18. Jahrhundert kommt es zu rasantem Wachstum, das bis weit ins 20. Jahrhundert anhält. Seither jedoch verlangsamt sich das Wachstum. Sie verweist auf die Arbeiten des schwedischen Arzts und Statistikers Hans Rosling, der ein Sinken der Geburtenrate seit fünfzig Jahren weltweit festgestellt hat. Erstaunlich, meint Schroeder, und zur Abwechslung kann man ihr zustimmen. Bei ihrer anschließenden Suche nach den Gründen dafür begleitet man sie jedoch mit wachsender Verblüffung. Da wird freizügig theoretisiert über das Verhalten von Molekülen und Zellen. Bei Rückbildungen, Absterben und Neubildungen unter bestimmten (Labor-) Bedingungen wird ihnen ein moralisches Verhalten unter dem Begriffspaar egoistisch/altruistisch unterlegt und von da aus mit Verve auf das Verhalten von Menschengruppen geschlossen. Schroeder gerät leicht ins Schwärmen. Man wird aufgefordert, grob mit der Hand skizzierte Kurven von Bakterienwachstum und Bevölkerungswachstum zu vergleichen – Sie werden Ähnlichkeiten finden! (S. 44) –, zu fantasieren, ob sich Hormone und Pheromene durch Luft und Wasser weltweit verbreiten und Botschaften weitergeben können und über die »Ursuppe« zu staunen, aus der »wir« entstanden sind. Am Ende weist Schroeder jeweils daraufhin, wie unsicher ihre Überlegungen sind, nicht in einem einzigen Fall durch Beweise gestützt. Das hält sie aber nicht davon, mit ihren Denkübungen, wie sie es nennt, umzugehen, als ob es verlässliche Fakten wären. Horrorvisionen, wohin man blickt.
Manipulativ und dogmatisch im leichten Plauderton
Grundsätzlich ist ihr Umgang mit dem Material wenig redlich, sondern manipulativ und letztlich dogmatisch. Und all das im leichtesten Plauderton. Das Bevölkerungswachstum bis ins 18. Jahrhundert, das zunächst noch als »schwach« bezeichnet wird, wird noch auf der gleichen Seite zu »praktisch kein Wachstum«, um im Lauf des dünnen Buchs dann zu »keinem Bevölkerungswachstum in 2000 Jahren« zu mutieren. Warum es »kein« Wachstum gab, weiß man nicht, sagt die Autorin. Bekannte Ursachen, wie Seuchen, Kriege, wenig entwickelte Landwirtschaft, weist sie zurück. Überhaupt weiß man aus diesen zweitausend Jahren nahezu nichts. Vertreterinnen und Vertreter einiger Dutzend wissenschaftlicher Disziplinen, angefangen bei den Geisteswissenschaften, wird diese so energisch geäußerte Überzeugung doch recht verwundern.
Die Evolution, die Schroeder sehr wichtig ist für ihre »Erklärungen«, hat als einzigen Faktor die Selektion aufzuweisen, ein sehr verkürzender Blick auf das komplexe Problem.
Ebenso naiv benutzt sie den Begriff »Mem«. Wissenschaftlich bei weitem nicht anerkannt noch ausreichend von Fakten unterstützt, bildet er für Schroeder eine patente Ergänzung zu »Gen«. Was das Gen für die körperliche Fortpflanzung ist, ist das Mem für die geistige und damit für das willentlich beeinflusste Verhalten durch Ideen. Neue Meme können das Verhalten ändern, was wiederum auf die Selektion und damit die Evolution einwirkt. Das müssen »wir« aber wollen. Zwar hat die Evolution kein Ziel (S. 77), aber wer nicht leben will, den eliminiert sie (S. 110). Das also ist der Grund für das Verschwinden so vieler Arten? Da hat so ein Australopithecus nicht gewollt? Ja, dann.
Vulgärfeminismus
Wer wollen soll, sind vor allem wir Frauen. Wir sind aufgerufen, den Wachstumswahnsinn zu beenden, bei den Geburten wie in der Wirtschaft. Neue Meme, Ideen, in die staunende Welt zu bringen. Zu lange waren wir unterdrückt. Den Männern ausgeliefert, denen wir Kinder gebären mussten. Etwas anderes haben Frauen über Jahrtausende nicht getan. Was Schroeder ganz sicher nicht getan hat, ist, sich zu informieren.
Neu denken bedeutet Freiheit. Ganz im Rausch dieser Freiheit ruft die Autorin gleich zur Befreiung Nordkoreas auf. Aus den konzertierten »Befreiungsaktionen« der westlichen Welt allein in den letzten 25 Jahren hat sie offenbar nichts gelernt.
Die Unterdrückung der Frau ist vornehmlich auf die Religion zurückzuführen, das Mem »Gott«. Schroeder hat mit dem Katholizismus deutlich ein Hühnchen zu rupfen. »Der Religion« wirft sie auch vor, das fehlende Wissen über jene frühen zweitausend Jahre Geschichte hinter Klostermauern verschlossen zu haben. Gut, dass wir jetzt wissen, wo wir zu suchen haben.
Dazu hat uns die Religion eine Maria-Gestalt vorgesetzt, demütig, dienend und dumm. Das ist alles schon extrem schlicht gedacht und wäre eigentlich sogar komisch, wenn Schroeder nicht, unverdrossen im muntersten Plauderton, am Ende einen sehr gefährlichen Schwenk machen würde. Sie bezeichnet Maria nämlich als »Burka-Frau«. Diese Ahnungslosigkeit ist empörend, die implizite Schlussfolgerung rassistisch.
Das wird noch verstärkt durch die Forderung, dass Europa neu definiert werden muss, weiblich, kreativ, nährend, denkend, liebend. Wenn Frauen gestalten können, wird alles besser. Das sieht man bereits deutlich an diesem Buch.
Aber Europa muss vor allem Vorreiterin werden mit diesen neuen Ideen, fordert Schroeder. Womit wir beim Neokolonialismus angelangt sind. Gut, dass die Frauen weltweit sich schon längst der Aufgabe angenommen haben, die Welt zu verändern, nach ihren eigenen Vorstellungen, mit ihren eigenen Lösungen und mit beträchtlichen Erfolgen. Auch in den Köpfen von Männern. Auf Europa braucht keine zu warten.
Uninformiert, im monokausalen, mechanistischen Denken verhaftet, sprunghaft, an Oberflächenphänomenen klebend und im Großen wie im Kleinen häufig einfach falsch trägt dieses Geplauder ganz sicher nicht zur Weltrettung bei.
| MAGALI HEISSLER
Titelangaben
Renée Schroeder: Von Menschen, Zellen und Waschmaschinen. Anstiftung zur Rettung der Welt
In Zusammenarbeit mit Ursel Nendzig
St. Pölten: Residenz 2014
200 Seiten. 21,90 Euro