Film | Im TV: Tatort 901 – Brüder (RB), 23. Februar
Die Polizisten David Förster (Christoph Letkowsky) und Anne Peters werden in diesem TATORT zu einem Notruf geschickt; ein Mann fühlt sich bedroht. Der Einsatz eskaliert. Als die Bremer Hauptkommissare Inga Lürsen (Sabine Postel) und Stedefreund (Oliver Mommsen) eintreffen, sind David Förster und der Mann entschwunden; Anne Peters, lebensgefährlich verletzt, wird in die Intensivstation eingeliefert. Von WOLF SENFF
Ein Verteidigungsminister
Von TATORT sind wir gewöhnt, dass gewissenhaft recherchiert wird. »Wohnungen, Clubs, Bordelle, Wettbüros – das Reich der Nidals«. Brüder entwirft ein Szenario hoher Aggressivität seitens nicht integrierter und nicht integrationswilliger Migranten, Brüder führt uns abstoßende Bilder männlicher Drohgebärden und eine demonstrative Gewaltbereitschaft vor, die jedem zivilisierten Zusammenleben hohnspricht. Gibt sogar einen Hassan Nidal (Dar Salim), »ne Art Verteidigungsminister des Clans« – Bremen, so scheint’s, hat Erfahrungen gesammelt mit Parallelgesellschaftsstrukturen, und Brüder zeigt realitätsnahe Szenen (Regie: Florian Baxmeyer).
Immerhin greift die Fahndung, und Hassan Nidal, der selbstbewusste junge Protagonist des Clans, »Nicht vergessen, ich bin hier das Gesetz«, setzt sich erst einmal kurzzeitig ab. Nun aber erscheint, wir kennen das längst, man hatte das in der achten Klasse, der Deus ex Machina, jene wohlwollende Gottheit, die überraschend eingreift und dem Geschehen die entscheidende Wende verleiht, die Wende zum Guten (Drehbuch: Wilfried Huismann, Dagmar Gabler).
Man muss es verstehen
Mesut Sömnez bzw. Tarik Nidal (Matthias Weidenhöfer) – er ist der Bruder, der sich von der Familie trennte, sich in die moderne Gesellschaft integrierte und seine eigene Existenz aufgebaut hat; und David Förster gerät in äußerst heikle Unannehmlichkeiten, denn überall lauert, was man vorher nicht weiß. »Nächste Woche machst du Verkehrserziehung.«
Was sich nun entwickelt, ist ein beinahe intimer, jedenfalls glaubwürdiger und oft bewegender Blick auf eine andere Kultur, in der Familie außerordentlich stark verwurzelt ist und familiäre Hierarchien unwiderruflich gelten. Der Konflikt der Brüder ist – selbstverständlich – spannend gestaltet, aber auch von tiefer Tragik geprägt, man muss das verstehen, und Brüder erspart uns das nicht.
Aus TATORTs Nachbarschaft
Von Navy CIS lief kürzlich die fünfte Folge der elften Staffel (SAT.1, 2. Februar, 20:15 Uhr), die Serie führt in den USA das Quotenranking an. Special Agent Tony DiNozzo, im Begleittext wortreich als Womanizer angekündigt, sonst hätt’s nämlich keiner gemerkt, und durch die Trennung von der Ex-Mossad-Agentin Ziva David aus 11/2 noch ziemlich angegriffen, muss ne anstrengende Trennung gewesen sein: Trugbilder, Wahnvorstellungen etc. – er ähnelt in gewisser Weise jenem TATORT-Ermittler, wie hieß er gleich, mit Hirntumor, der als sein eigener Geist bergauf lief. Doch Murot war keine Serie und die makabre Tumor-Idee wurde ratzfatz fallen gelassen, als wär’s eine heiße Kartoffel.
Navy CIS hat einen zermürbenden Wir-denken-positiv-Dreh. Im Büro herrscht penetrant gute Laune, das Drehbuch bringt die Männer als Kumpel rüber, den Frauen, alterslos Ende Dreißig und erbarmungslos aufgehübscht, wird Zickenkrieg verordnet. Die Dialoge? »Zuvor hat ein brutaler Kampf stattgefunden.« – »Er hat sich gewehrt.« – »Er ist vor irgendwem geflohen.« Na super, nun wissen wir ja Bescheid. Und der Fotograf des Krimiteams, immer locker drauf, hält in der rechten Hand seinen super Energy Drink, in der linken seine Kamera.
Detroit, Armut, Rassismus
Man muss sich das mal nüchtern durch den Kopf gehen lassen. Die USA sind in einem Zustand der Lähmung, des inneren Zerfalls. Detroit ist insolvent, für die Staaten des Südwestens sind Wasserknappheit, Erosion, lebensfeindliche Bedingungen angesagt, und das TV dort entblödet sich nicht, auf gute Laune, Frohsinn, Paaahdie zu machen. Man fragt sich, nebenbei, in welcher Verfassung die Zuschauer solcher Alles-ist-gut-Serie sind.
Als gäbe es nicht heftige soziale Konflikte, weitverbreitete Armut, Rassismus. Neuerdings wird öffentlich, dass die in New Mexiko in der Erde verbuddelten nuklearen Abfälle leckschlagen. Nein, nichts von all dem Chaos bei Navy CIS, der Zuschauer wird mit wohlgefälligem Trallala sanft eingelullt, gepampert. Selbstverständlich darf man das mit einem TATORT vergleichen, der seine Augen nicht vor dem Leben verschließt, siehe oben, siehe Brüder, der dicke Bretter bohrt und uns auch noch vorzüglich unterhält, welch anspruchsvoller, gelungener Balanceakt.
Hamburger Realitäten, weltfremde Räuberpistolen
Navy CIS präsentiert uns zu allem Überfluss sogar den bekehrbaren Übeltäter, einen Bösewicht, der mir nichts, dir nichts zum Gutmenschen wird. Geht’s noch? Da wird einem jungen Kerl ins Gewissen geredet, bis der seine gezückte Waffe wegwirft und davonrennt. Nett, schön, amüsant, harmlos – und hat null mit dem Leben zu tun, sondern ist Phantasie, ist Wolkenkuckucksheim, ist Feigheit und Flucht vor der rauen Wirklichkeit, das darf man dann wohl Eskapismus nennen. Gut, gut, wer auf so was steht, bitte, gerne doch, niemand will den Leuten ihren billigen Spaß vermiesen.
Hilfreichen Rat gibt’s obendrein. »Denk‘ auch mal an die Menschen, die noch hier sind und die auf dich zählen.« Genau. Wir vertrauen natürlich unseren Freunden aus den USA, aber klar doch, während sie uns hintenrum heimlich ausspionieren. Muss man sich mal klarmachen, da hocken sie mit all ihrem sündhaft teuren, sensiblen Equipment im Botschaftsgebäude mitten in Berlin und hier in Hamburg hocken sie in ihrem Konsulat, einer herrschaftlichen Villa direkt an der idyllischen Außenalster.
… und ein Bürgermeister
Da dieses repräsentative Gebäude nun schon seit 2001 gegen terroristische Überfälle geschützt werden muss, bleibt die schöne Straße Alsterufer vierundzwanzig Stunden täglich gesperrt, und speziell geschulte US-Einsatzkräfte gehen dort weiterhin in aller Ruhe ihrer Spionagetätigkeit nach – gepflegter hanseatischer Alltag. Doch nein, dazu keinen Kommentar vom Bürgermeister. Er äußert sich nicht zu öffentlich erhobenen Vorwürfen, und basta.
Gehörte jetzt nicht wirklich hierher. Es sei denn, man wollte da vor Ort einen TATORT drehen. Aber eher unwahrscheinlich, dass die schnieken Damen und piekfeinen Herren für ihre honorige Villa am Alsterufer eine Drehgenehmigung erteilen würden. Was auch immer, und zurück zum Thema – in jedem Fall sollte man darüber nachdenken, die erwähnten sinnfreien Serien der privaten Anstalten wenn nicht ersatzlos zu streichen, dann bitte rigide zu kürzen. Welcher Depp blättert denn auch in nüchternem Zustand teure Euro hin für weltfremde Räuberpistolen …
| WOLF SENFF
Titelangaben
TATORT: Brüder (Radio Bremen)
Regie: Regie: Florian Baxmeyer
Ermittler: Sabine Postel, Oliver Mommsen
So., 23.02.14, ARD, 20:15 Uhr
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Gregor Keuschnig zu Rüdiger Dingemann: »Tatort«-Lexikon
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