//

Endlich wieder Kultur!

Bühne | Hannes Wittmer: Das Ende der Geschichte

Nach langer Corona-Zwangspause organisiert die Stadt Würzburg vom 16. Juli bis 02. August die erste kleine Open-Air-Veranstaltungsreihe »Kulturpicknick« und lässt damit nicht nur die Herzen der regionalen Künstler*innen höherschlagen. Musiker Hannes Wittmer (früher: Spaceman Spiff) nutze sein Konzert am 24.07 direkt für ein weiteres Highlight und präsentierte mit ›Das Ende der Geschichte‹ seine neuste EP. SARAH SCHMITTINGER war beim Release auf dem alten Landesgartenschaugelände dabei.

Pünktlich um 18:30 Uhr begann der Einlass an diesem lauwarmen Freitagabend. Nach und nach füllten sich die markierten, weißen Quadrate auf der Wiese am Hubland mit bunten Decken, Picknickkörben und gut gelaunten Menschen. Charmant wiesen die Platzanweiser*innen allen ihre Plätze zu. Neben den Picknickflächen, die mit maximal vier Personen besetzt werden dürfen, ist der innere Bereich vor der Bühne bestuhlt. Auch hier gilt, nicht mehr als zehn Personen zusammen. Aufgrund der Sicherheitsvorkehrungen verwunderte es kaum, dass die Kulturmanagerin das Mikrofon ergriff und trotz ausverkaufter Veranstaltung auf leere Plätze blicken musste. Freudig strahlend, und doch mit blutendem Herzen, kündigte sie die Künstler*innen des Abends, Clara Jochum, Hannes Wittmer und Kilian Brand an. Gerade noch rechtzeitig sprinteten die letzten Gäste gegen 19:30 Uhr zum Veranstaltungsgelände, begleitet von amüsierten Kommentaren durch Hannes Wittmer auf der Bühne.

Matt Keyworth: Hannes Wittmer Kulturpicknick
Kulturpicknick Würzburg | Foto: Matt Keyworth

Während die Sonne hinter der Stadt unterging, Bierflaschen und Sektgläser aus den Picknickkörben gepackt wurden, spielten sie ihr erstes Konzert seit vielen Monaten. Hannes Wittmer wie gewohnt am Gesang und mit mehr Gitarren als sonst, Clara Jochum am Cello, weiterem »Klimbim« bzw. Klanginstrumenten und immer wieder auch als zweite Gesangsstimme. Nicht mit auf der Bühne, dafür im Zelt an der Tontechnik: Kilian Brand, der maßgeblich an der Entstehung von ›Das Ende der Geschichte‹ beteiligt war und bei zwei Songs auch den Bass eingespielt hat. Die neuen Songs, die in den letzten Monaten während der Corona-Krise entstanden sind, können wohl durchaus als Überraschung gesehen werden. Auf seinem Blog hanneswittmer.de schreibt Hannes, dass er selbst einigermaßen überrascht sei, dieses Jahr neue Musik herauszubringen. Nachdem der ursprüngliche Plan Hannes und Clara Anfang März mit einem Frachtschiff nach Kanada geführt hätte, führte sie stattdessen Corona auf einen Campingplatz bei Würzburg. Und aus der Idee vorerst nicht über Musik und den Zustand der Gesellschaft zu grübeln, wurden Proben im Campingstuhl am Mainufer und die Aussicht auf ein paar Konzerte diesen Sommer.

Die 60 Minuten Bühnenzeit, die das Kulturpicknick vorgibt, führten die Zuhörer*innen durch die musikalische Historie von Hannes Wittmer und seiner Zeit als Spaceman Spiff. Geboten wurde ein bunter Mix aus alten und neuen Songs, indem die vier neuen Lieder geschickt zwischen den älteren Songs präsentiert wurden. Neben den gewohnt klugen und gesellschaftskritischen Texten, die sowohl zum Nachdenken und Reflektieren anregen, nutze Hannes auch diesmal die Zeit zwischen seinen Songs, um den Hintergrund seiner neusten musikalischen Umsetzungen zu beleuchten. Gegen die gewohnte Einstellung, Musik und Texte für sich sprechen zu lassen, hat er sich diesmal entschieden, seine eigene Interpretation im wahrsten Sinne des Wortes mitzuliefern.

Die EP besteht zwar aus 4 Songs, beinhaltet aber 5 Einheiten. Unter dem gleichnamigen Titel ›Das Ende der Geschichte‹ vollendet er seine EP mit einer achteinhalbminütigen Schlusssequenz und klaren Message: Das Ende der Geschichte, als Begriff des Politikwissenschaftlers Francis Fukuyama, welcher den Sieg der liberalen Demokratie über totalitäre Systeme – den stabilen Endzustand in dem alle großen Fragen geklärt sind und es keinen Kriegszustand mehr benötige – beschreibt, wird sich nicht ohne unser aller zutun bewahrheiten. Das 20. Jahrhundert ist endgültig vorbei, doch das 21. Jahrhundert liegt in unserer Verantwortung. Hannes Wittmer: »Das Corona-Virus wirkt wie ein Brandbeschleuniger, der viele gesellschaftliche Verwerfungen verschärft. Soziale Ungleichheiten, Diskriminierungen, die Klimakrise. Es braucht den Willen für politische Veränderung, genauso wie die Bereitschaft auf alte Privilegien und Selbstverständlichkeiten in Form von Konsum, Mobilität und persönliche Freiheiten zu verzichten.«

Auf Handlungsebene übt er sich seit zwei Jahren im Aufbau von Gegennarrativen, dem Aufzeigen anderer Möglichkeiten. Doch auch hier sorgt die Corona-Krise für Veränderungen: Aufgrund der Bestimmungen kann er seine Konzerte diesen Sommer nicht wie sonst auf pay-what-you-want-basis spielen, CDs und Vinyl können aber weiterhin auf freiwilliger Spendenbasis erworben werden. Wie schon beim letzten Album ›Das große Spektakel‹ können auch die neuen Songs auf seiner Homepage kostenlos heruntergeladen werden. Aufgrund der aktuellen Situation, die gerade im kulturellen Bereich für große Schwierigkeiten und Einkommensausfälle sorgt, sei an dieser Stelle auch auf den blauen Unterstützungs-Button dort verwiesen, sowie auf seine nächsten Konzerte in Köln, Essen, Ludwigsburg uvm.

Wer es doch lieber regional halten will, endlich wieder ein kulturelles Erlebnis hautnah erleben möchte und vor allem Kultur-Förderer oder Kultur-Förderin sein will, der sollte sich die kommenden Acts des Kulturpicknicks nicht entgehen lassen: Mit Sara Teamusician und Jakob, Lilly Among Clouds und Angelo Sommerfeld & Robert Alan wird dieses Wochenende noch einmal ordentlich was geboten.

| SARAH SCHMITTINGER
| Fotos: MATT KEYWORTH

Reinschauen
| Mehr Fotos zur Veranstaltung findet ihr auf der Webseite von Matt Keyworth.

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Sich selbst neu erfinden

Nächster Artikel

Gedankenreise ins Fremde

Weitere Artikel der Kategorie »Bühne«

Das kleine Schwarze

Bühne | ›Das kleine Schwarze/ The Riot of Spring‹ im Staatstheater Karlsruhe Es gibt Persönlichkeiten, die durch bestimmte Eigenschaften zu wahren Größen werden und fast so etwas wie Wunder vollbringen. Coco, bürgerlich eigentlich: »Gabrielle«, Chanel (1883-1971), ist so eine. Träumte man sich in Amerika einst vom Tellerwäscher zum Millionär, so arbeitete sie sich aus dem Armenhaus heraus in die gehobene Gesellschaft, innerhalb derer sie sich als Modeschöpferin etablierte. Bis heute kennt man ihren Namen, wenn die Rede auf das »Kleine Schwarze« kommt, ein feminines Damenkleid, oder das Parfüm »Chanel No.5«, das nach ihr benannt ist. Von JENNIFER WARZECHA

Um eine Wellenlänge

Bühne | Alle sieben Wellen

Alles ist so einfach, wenn man sich schreibt. Das Gegenüber anonym, die Fantasie blüht. Doch was geschieht mit der Magie, wenn man sich gegenübersteht? Von MONA KAMPE

Nuancen einer Liebe

Live | Bühne | Show: Ghost – Nachricht von Sam Man nimmt das Motiv der unsterblichen Liebe und bringt es als magisches Geistermusical auf die Bühne. Dazu ein hinterhältiger Mord und zack ist der Zuschauer emotional mitten im Geschehen. Die Macher von ›Ghost – Nachricht von Sam‹ wissen, wie sie das Publikum verzaubern können. Dies funktioniert beeindruckend gut. ANNA NOAH freut sich über einen gelungenen Abend.

Im Varieté durch Afrika

Live | André Hellers Show ›Afrika! Afrika!‹ in Berlin Am 23. Januar 2018 feierte die Neuinszenierung von André Hellers ›AFRIKA! AFRIKA!‹ eine umjubelte Premiere im ›Stage Theater Potsdamer Platz‹ in Berlin. Opulente Highlights, wie ein lebensgroß nachgebildeter Elefant beeindruckende Artisten sowie aufwendige Bühnentechnik erwarten die Zuschauer. Beim Auftakt zur Tournee bekamen die Akteure 15 Minuten Standing Ovations. ANNA NOAH hat eine künstlerisch äußerst anspruchsvolle Feel-Good-Show für Groß und Klein gesehen.

Amüsant, menschlich, unterhaltend

Bühne | Samantha Ellis: How to Date a Feminist Der Feminismus ist nach wie vor in aller Munde. Die Feierlichkeiten rund um den Internationalen Frauentag gingen gerade zu Ende. Was aber ist eigentlich mit den Männern? Dass sie oftmals mit ihrer Rolle als Mann überfordert zu sein scheinen, ist bekannt. Was aber geschieht, wenn ein Mann auf einmal sich dem Feminismus zugehörig fühlt? Fragt sich auch JENNIFER WARZECHA