Bühne | Bertolt Brechts ›Die Dreigroschenoper‹ (Stadttheater Pforzheim)
»Sex sells« ist vielfach das Buzzword, also die alles dominierende Agenda, vornehmlich in der Werbebranche. Bei der theatralischen Interpretation des Schauspiels von Bertolt Brecht und der Musik von Kurt Weill, nach John Gays ›The Beggar’s Opera‹, übersetzt aus dem Englischen von Elisabeth Hauptmann (Uraufführung am 13. April 1928), trifft das zweifelsohne ebenfalls zu. Von JENNIFER WARZECHA
Unter der Inszenierung von Thomas Münstermann, der musikalischen Leitung von Markus Huber und dem Bühnenbild von Dirk Steffen Göpfert, kommt das zweifelsohne auch und extrem zum Tragen, allerdings zum Negativen hin. Die eigentliche Gesellschaftskritik und Geschichte innerhalb des Schauspiels kommt schlichtweg zu kurz; das Bühnenbild und die erotisch motivierten Kostüme verzerren die Botschaft Brechts geradezu ins Lächerliche.
Im Mittelpunkt der Geschichte stehen der Konkurrenzkampf zweier krimineller und skrupelloser Geschäftemacher, die amourösen Anwandlungen des attraktiven und charmanten Macheaths und die Bloßstellung der Doppelmoral einer ganzen Epoche. Brechts Erfolgswerk war im eigentlichen Sinne der Dreigroschenoper in ihrem Namen als Stück auch für Bettler bzw. Geringverdienende gedacht, mit nicht zu ignorierenden und Brecht-typischen Songs wie dem legendären »Kanonensong«.
In Pforzheim hat man als Zuschauer im bis auf den letzten Platz gefüllten Großen Haus des Stadttheaters eher das Gefühl, man befände sich in einem modern angehauchten französischen Varieté, im Sinne eines sprichwörtlichen Lustspieltheaters. Die eigentliche Gesellschaftskritik im Brecht‘schen Stil des Epischen Theaters, also der theatralischen Form, die den Zuschauer zu kritischer Distanz und zum Nachdenken über das gesellschaftliche Geschehen bewegen soll, kommt dabei aber zu kurz. Statt Kritik an Kapitalismus und Gier steht die Betonung von Wollust, männlichen Machenschaften und Vielweiberei im Vordergrund.
Die Gesellschaftskritik kommt zu kurz
Hurerei und damit die Sehnsucht nach den schönsten Seiten des Lebens voller Gier und Sehnsucht werden mit einer dominierenden Anzahl, insgesamt sieben Stück, an weiblichen Darstellerinnen der Huren (insgesamt zwar kokett, aber trotzdem zu vulgär und polemisch, auch in den von Alexandra Bentele bereitgestellten schrillen Kostümen und Büstenhaltern: Selin Aktas, Cora Frank, Lili Depluet, Emily Ines Huber, Antonia Schmidt, Melanie Stach und Sanja Steenbock) insgesamt zu überbetont.Die Kapitalismuskritik, also das Gegenstück zu den eingangs erwähnten Bettlern, die zu den Reichen und damit den Kapitalisten hinaufschauen, kommt zu kurz. Das Bühnenbild (Verantwortlicher: Dirk Steffen Göpfert) ist mit den silbernen Stellwänden viel zu karg und zu nichtssagend. Aussagekräftig sind aber die Glühlampen, die die Darsteller gegen Ende der 2¾-stündigen Aufführung auf der offenen Bühne entzünden. Sie besagen, dass jedem Menschen am Ende des Lebens in einer stetig von Unsicherheit und kapitalistischem Streben gekennzeichneten Zeit, die aktuell und nicht nur bei Brecht herrschten und herrschen, ein Licht aufgehe.
Gerade bei der Hängung Macheaths, dem Chef einer Bande von Straßenbanditen (als Dandy überzeugend amourös und trotzdem fast überzogen lächerlich: Robert Besta) im Kastenwagen am Ende kommt noch dazu die Kritik am Christentum und damit an dem von Sünde geplagten Menschen, samt menschlichen Strebens nach Glück, dem Leiden und Versagen zum Tragen. Letzteres wird gleichwohl an den Prostituierten und der Gier nach Sex sichtbar.
Macheath (genannt Mackie Messer oder Mac) heiratet Polly Peachum (charakterstark: Theresa Martini/Jula Zangger), die Tochter des Geschäftsmanns Jonathan Jeremiah Peachum, die später zu Macs Huren geht, um ein Kopfgeld auf ihn auszusetzen. Gerade durch Macheaths dandyhaftes Gebahren und die zahllosen Flirts und die Auslebung seiner Liebesaffären auf der Bühne wirkt die Ehe der beiden desillusionär und fast makaber, da seine Liebesaffären im Vordergrund stehen, während seine Frau auf offener Bühne ihre Wut zelebriert und von einer Bühnenecke in die andere wandert und fast hysterisch wirkt.
Der Mensch ist im Grunde seines Daseins schlecht
»Die Welt ist roh, der Mensch ist schlecht!«, singen Polly und ihre Mutter (beispielhaft für eine Frau, die sich gegen die Launen ihres Mannes auflehnt: Barbara Bernt). Das zeugt einerseits von Brechts Vorliebe, das Christentum als solches zu kritisieren. Andererseits kommt es den gesamtgesellschaftlichen Verhältnissen zugute: Ein von Armut erniedrigter Mensch kämpft um seine Existenz und behandelt seine Mitmenschen dementsprechend egoistisch und schlecht, weil er von Kurzsichtigkeit hinsichtlich auf sein eigenes Leiden und damit seinen Mikrokosmos geprägt ist.
Brechts Ballade von der Unzulänglichkeit des menschlichen Strebens aus dem Jahr 1928 mit dem Songzitat: »Der Mensch ist gar nicht gut, drum hau ihn auf den Hut!«, umschreibt wenigstens die grobe Aussageabsicht Brechts, wie sie Georg Büchner im 19. Jahrhundert bereits festgestellt hatte: Der Mensch und die Machenschaften seiner Seele sind unergründlich; der Mensch sowohl zu allem Guten, aber umso mehr zu allem Bösem, wie unbändiger und ungezügelter Wollust, fähig. Gesanglich und von der Darstellung her top wirkt in Pforzheim mal wieder Lilian Huynen, hier als Spelunkenjenny und Hure.
Bedauerlicherweise wirkt die Aufführung in Pforzheim dennoch dank der Dominanz der Huren trotz Brechts allgemein recht derber Aufführungspraxis zu zotig und überzogen, fast schon lächerlich. Schade.
| JENNIFER WARZECHA
| Titelbild: SABINE HAYMANN
Titelangaben
Die Dreigroschenoper
Schauspiel von Bertolt Brecht
Musik von Kurt Weill
Besetzung:
Jonathan Jeremiah Peachum, Chef einer Bettlerplatte — Klaus Geber
Mrs. Peachum — Barbara Bernt
Polly Peachum, ihre Tochter — Theresa Martini / Jula Zangger
Macheath, Chef einer Bande von Straßenbanditen — Robert Besta
Tiger Brown, Polizeichef von London — Markus Löchner
Lucy, seine Tochter — Jula Zangger / Theresa Martini
Spelunkenjenny, Hure — Lilian Huynen
Filch, ein Bettlerjunge — Christoph Traxel
Platte — Alexander Usanov, Halil Kurtca, Alex Mauricio Mehnert, Thorsten Thumm, Dorlir Ahmeti
Die Huren — Selin Aktas, Cora Frank, Lili Depluet, Emily Ines Huber, Antonia Schmidt, Melanie Stach, Sanja Steenbock
Inszenierung — Thomas Münstermann
Musikalische Leitung — Markus Huber
Bühnenbild — Dirk Steffen Göpfert
Kostümbild — Alexandra Bentele
Dramaturgie — Peter Oppermann