Bühne | Im Kopf von Bruno Schulz (Schauspiel Köln)
Bildung beginnt mit Muskelmasse: So lautet Lektion Numero eins für den Zuschauer, der Nicola Gründel als Lehrerin Helena Jakubowicz dabei zusieht, wie sie mit lakonischen Kommentaren und drakonischer Härte ihre Kollegen Robert Dölle und Seán McDonagh zu Höchstleistungen an Schwebebalken, Barren, Trampolin und Co. antreibt. Das Ensemble des Schauspiel Köln zeigt sich sportlich. Von JALEH OJAN
Dabei ist der namengebende Protagonist aus Maxim Billers fürs Theater adaptierten Novelle ›Im Kopf von Bruno Schulz‹ alles andere als ein Athlet. Ein Kopfmensch ist er, ein verträumter Mystiker, dieser Bruno Schulz, einer der wichtigsten polnisch-jüdischen Literaten und Künstler der Vorkriegsjahre. Biller hält sich zwar an gewisse Eckdaten seiner Biografie, fabuliert aber ansonsten frei von Dingen, die sich so oder ähnlich in seiner Prosa oder im echten Leben zugetragen haben könnten. Schulz gibt am Gymnasium Zeichenunterricht und arbeitet in seinen freien Stunden an belletristischen Texten, die von wunderlichen Dingen und bizarren Wesen bevölkert sind. Nun will er einen fremden Deutschen in seinem Ort als falschen Thomas Mann entlarvt haben: einen verkappten Nazi, der nackte Menschen vor seine Kutsche spannt und Listen mit den Namen aller im Ort ansässigen Juden anfertigen lässt. Von leiser Panik getrieben, schreibt Schulz an sein literarisches Vorbild, den echten Thomas Mann, um ihm von den Machenschaften seines Doppelgängers zu berichten. Als sei das Knäuel aus realen und fiktiven Elementen noch nicht schräg genug, schmückt Biller seine Geschichte mit allerlei tragikomischen Szenen aus; lässt seinen Protagonisten sich in erotischen Fantasien verlieren, derweil ihn seine Schüler in Gestalt von Tauben unablässig piesacken.
Bühnenbildner Jörg Kiefel versetzt das galizische Drohobycz, Schulz‘ Heimatstadt, in eine vollausgestattete Turnhalle: faszinierend weitläufiger Spielplatz und zugleich Synonym für militärischen Drill. Ungelenker Körperkontakt zwischen den drei einander seltsam fremd wirkenden Figuren und Turnübungen, die mit der Zeit immer abstruser werden, bebildern einen Großteil der Novelle, die von den Darstellern abwechselnd erzählt wird.
Es muss eine schweißtreibende Angelegenheit sein, sich den eigenen Hirngespinsten zu stellen. Zumindest sieht es Christina Paulhofer wohl so, denn ihre Inszenierung der 2013 erschienenen Novelle entpuppt sich als wahrer Kraftakt für die Darsteller, eine mentale wie auch körperliche Herausforderung. Da wird in atemberaubendem Tempo eine Geschichte nacherzählt, die so voller Anspielungen und kurioser Einfälle ist, dass die dramaturgische Umsetzung manchmal etwas holpert. Da kann auch die schrille Modenschau zum Song von Right Said Fred nicht dazu beitragen, dem Zuschauer eine Atempause zu gönnen. Doch das ist erst einmal ein verschmerzbarer Aussetzer, denn wer Schulz‘ eigenwillige Prosa kennt, der wird auf der Bühne Motive daraus wiedererkennen: die Schneiderpuppe, die Vögel, das Wandern auf dem schmalen Grat zwischen Alltag und Wahnsinn. Nur wird die für Schulz typische Fantastik hier auf die Spitze getrieben: der wie im Delirium heruntergerasselte Text, die psychedelischen Musikeinlagen, und nicht zuletzt die phantasmagorischen Masken und Kostüme (Lili Wanner), die alle Grenzen zwischen Geschlecht und Spezies aufweichen.
Die Guten und die Glamourösen
Das unglaublich kraftvoll aufspielende Darstellertrio mimt auf der Kölner Bühne gnadenlos selbstironische und zugleich konturlose Typen. Mal sind sie nuschelnde Stimmen aus dem Off, mal tierische Laute ausspuckende Vogelwesen. Der häufige Rollenwechsel täuscht jedoch nicht darüber hinweg, dass nicht alle Besetzungen immer passend sind. Gründel nimmt man die verruchte Jakubowicz weniger ab als ihren zerbrechlich wirkenden, frechen Zeichenschüler. McDonaghs Part im großen Ganzen gewinnt erst da so richtig an Kontur, wo er als ebenso herrischer wie schmieriger Pseudo-Thomas Mann in goldenem Sakko auf den Plan tritt. Robert Dölle bringt indes eine verlässliche Konstante ins Spiel: er ist der un-ruhende Pol des ungleichen Trios, der ewig sich verausgabende Grübler, der auch in Fummel und Tutu kein bisschen exzentrisch wirkt.
Treten die Elemente des Bösen in Billers Novelle noch in Form von kauzigen Randgestalten auf, verschwinden sie auf der Bühne in Köln-Mülheim endgültig in der gimmickreichen, an sich makellos orchestrierten Choreographie (Arzu Erdem-Gallinger). Schulz‘ Fantasien sind in ihrer Darstellung nämlich nur schwach abzugrenzen von den Auspeitschungen der Drohobyczer im kalt ausgeleuchteten Großraumbadezimmer. Letzteres ist nur eine der Schandtaten des Mann-Doppelgängers, die als Vorwegnahmen von Nazi-Verbrechen im Konzentrationslager krasse, aber nicht abwegige Fantasieprodukte Maxim Billers sind.
In Christina Paulhofers Version von Billers Novelle trifft Schöngeistiges auf Athletik, Sarkasmus auf bitteren Ernst. Bizarrerweise, möchte man sagen, geht ihre Rechnung auf. ›Im Kopf von Bruno Schulz‹ passt in keine Schublade, und das ist zunächst einmal nichts Schlechtes. Es ist eine sehr verspielte, und auf verquere Weise auch schön geerdete, weil körperliche Inszenierung – physisches Theater im besten Sinne also. Der ernste Kern der Geschichte aber geht dabei verloren, ganz ohne Pauken und Trompeten, und diese Niederlage kann man nicht sportlich nehmen. Ob der Zuschauer eine Vorstellung davon bekommt, wie es in Bruno Schulz‘ Kopf tatsächlich ausgesehen haben könnte – auch das ist zu bezweifeln. Ist doch schon das Vorhaben, in Maxim Billers Kopf hineinzukriechen, nicht so ganz geglückt.
Titelangaben
Im Kopf von Bruno Schulz
Schauspiel Köln, Premiere am 07.02.14
Besetzung: Robert Dölle / Nicola Gründel / Seán McDonagh
Regie: Christina Paulhofer
Bühne: Jörg Kiefel
Musik: Sylvain Jacques
Licht: Michael Frank
Kostüme: Lili Wanner
Choreografie: Arzu Erdem-Gallinger
Dramaturgie: Jens Groß