/

Von der Natur der Sache

Musik | Festival: »Katarakt« – Kampnagel Hamburg

Was soll man lange herumreden: In jedem Fall ist es außerordentlich schwierig, experimentelle Musik zu beschreiben. Das liegt in der Natur der Sache. Theoretische Ansätze fruchten da wenig. Es gibt allerdings Leute, die darin einen Vorzug sehen. Doch. Von WOLF SENFF
(Foto: Mark Bond)

Klub Katarakt Motiv A Energy pattern isolated on black  (c) Mark Bond
Foto: (c) Mark Bond
Das Hamburger Festival Katarakt behauptet sich im neunten Jahr; das will etwas heißen bei dem Nischendasein, das moderne Musik in diesem unbarmherzig konservativ eingefärbten Land führt – schlimmer noch: Jahrelange Erfahrung zeigt, dass sich ausgerechnet Hamburg immer wieder gern als eine Stadt der Ärgernisse und Blamagen darstellt.

Jedoch darf das Festival Katarakt sich mit guten Gründen als eine Ausnahme betrachten. Und Katarakt ist zweifellos ein mutiger Name; denn der Katarakt ist jener Abschnitt, an dem der mächtige Strom zum Wasserfall wird, an dem er seine donnernde Kraft, seine Muskeln spielen läßt, die ansonsten im gemächlichen Fließen gezügelt sind und geborgen. Welch schönes Bild.

Drei äußerst kontrastreiche Tage

Das Festival eröffnet mit einem Auftragswerk von Phill Niblock, der im Jahr 2006 composer in residence dieses Festivals war. In den achtziger Jahren spielte Niblock mit Joseph Celli Aufnahmen für das unabhängige Avantgarde-Jazz-Label India Navigation ein, er ist seit Jahrzehnten eine prägende Figur der New Yorker und internationalen Szene experimenteller Musik, das Festival balanciert auf anspruchsvollem Niveau.

Den zweiten Tag wird La Monte Young dominieren; mit Philip Glass, Steve Reich und Terry Riley wird er zu den bedeutendsten Vertretern der Minimal Music in den USA gezählt. Seit Ende der fünfziger Jahre charakterisieren sein Werk lange gehaltene Töne und reine Stimmung. Für die Dokumenta 5 inszenierte er 1972 gemeinsam mit Marian Zazeela ein Sound/Light-Environment. In Hamburg wird sein abendfüllendes (!) Werk für Cello und Elektronik Just Charles & Cello in The Romantic Chord in der Lichtinstallation Abstract #1 with Dream Light von Marian Zazeela aufgeführt.

Den dritten Tag prägt der composer in residence des diesjährigen Festivals. Matthias Kaul, Mitbegründer des Ensemble L’art pour L’art, ist ein international renommierter Komponist, Schlagzeuger und Performer. Das Ensemble führt ein Auftragswerk der Bayerischen Staatsoper auf, Relax (2006), ein ins Absurde treibendes Musiktheater, in dem neben den fünf Instrumentalisten eine Tontopfpresse, Eisschränke, Aquarien sowie hundert Mausefallen klangerzeugend wirksam werden – die Neue Musik, wie schön, dass es das gibt, zeigt sich entspannt und von ihrer humorvollen Seite.

Lange Nächte

Nach drei intensiven, kontrastreichen Tagen zieht der vierte, als Lange Nacht angekündigt, in diversen Aufführungen einen weit gefächerten Bogen von Neuer Musik bis hin zu elektronischer Tanzmusik und bietet – gewissermaßen grenzüberschreitend – auch ein Programm experimenteller Kurzfilme an.

Er schließt ab 1:00 Uhr open end mit dem Sutsche DJ-Kollektiv, wie übrigens der erste Abend ab 22:30 Uhr mit einer Eröffnungsparty schloß unter der Ägide von DJ Alexa D!Saster, Berlin. Man darf das keineswegs missverstehen. Es geht nicht eher nicht um lockere Party-Atmosphäre, sondern das Auftreten dieser zwei ambitionierten DJs gehört unter das Leitmotiv des Antipoden-Themas. Die Vielfalt und die Qualität dieses Katarakt Festivals werden mit Sicherheit auch in diesem Jahr die Neugierde eines an den neuen Strömungen der Musik interessierten Publikums zufriedenstellen.

| WOLF SENFF

klub katarakt 2014
Festival für experimentelle Musik, Hamburg

Metathema: Antipoden
15. bis 18. Januar 2014, Kampnagel (kmh, P1, K4)
www.klubkatarakt.net

WEST
Mi, 15. Januar

19:30 Hommage à Phill Niblock
22:30 DJ Alexa D!Saster
Der erste Tag – im TITEL kulturmagazin Rückblick

OST
Do, 16. Januar

19:30 La Monte Young: Just Charles & Cello in The Romantic Chord (2003)

NORD
Fr, 17. Januar

18:00 Podiumsgespräch mit Matthias Kaul
19:30 Matthias Kaul, Relax (2006)
21:30 Nachtkonzert Ensemble neoN (Oslo)

LANGE NACHT
Sa, 18. Januar

20:00 Neue Kompositionen des katarakt-Netzwerks
00:00 Makino Takashi
01:00 Sutsche DJ-Kollektiv

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Das Tier im Manne rockt nicht im Mainstream

Nächster Artikel

Standorte

Weitere Artikel der Kategorie »Bühne«

Von Ganz bis Eidinger

Kulturbuch | Jürgen Schitthelm: 50 Jahre Schaubühne 1962-2012

Der von Jürgen Schitthelm herausgegebene Jubiläumsband 50 Jahre Schaubühne 1962-2012 lässt THOMAS ROTHSCHILD in Erinnerungen schwelgen.

Kafka auf dem Stuhlberg

Bühne | Kafka/Heimkehr: Staatstheater Wiesbaden Ganz unkonventionell beginnt die Aufführung bereits in der Theaterbar: Ein Schauspieler setzt sich auf die Bar, und ein anderer beginnt zu erzählen: Er rezitiert nichts Geringeres als Franz Kafkas Erzählung ›Das Urteil‹; der Sitzende spielt das Erzählte als Protagonist Georg Bendemann nach. Erst als der sich in das Zimmer seines Vaters begehen will, wird das Publikum von den Darstellern durch lange, dunkle, staubige Gänge in den Theatersaal der Wartburg in Wiesbaden geleitet. Der Regisseur Jan Philipp Gloger hat sich für das Staatstheater Wiesbaden ein gigantisches Projekt vorgenommen, mit dem Titel ›Kafka/ Heimkehr‹, benannt nach Kafkas

Takt zwischen Schrott und Mülltonnen

Live | Bühne: STOMP Es ist ein Rhythmusspektakel der besonderen Art, das seit mehr als fünfzehn Jahren für Furore sorgt! Die Macher von ›STOMP‹ erfinden für die Perkussions-Kunst eine völlig neue Identität. Dies schafft das Ensemble einzig und allein durch Fingerschnippen, Besenschwingen, Feuerzeugklicken und Mülltonnenklappern. Man kann sagen, dass die Darsteller neue Maßstäbe im Trommeln setzen. ANNA NOAH will wissen, ob Schrott allein wirklich für eine gelungene Abendunterhaltung taugt.

Zauberhafte Schattenspiele

Bühne | Show: Moving Shadows Nachdem das Schattenspiel in den vergangenen Jahren eine Wiederbelebung erfahren hat, erfreut sich die deutsche Produktion der Theatergruppe ›Die Mobilés‹ – Gewinner der französischen Ausgabe von »Das Supertalent« – einer großen Beliebtheit. Mit ihrer ästhetisch-poetischen Schatten-Reise erobert die Gruppe jetzt nach und nach die deutschen Bühnen. ANNA NOAH achtet auf die Details zwischen den Bildern.

Mit Koketterie den Verführungen des Lebens begegnen

Bühne | Mozarts ›Die Hochzeit des Figaro‹. Stadttheater Pforzheim Eines der großen Themen unserer Zeit, mit dem sich unzählige Theaterstücke, Opern, Filme, Serien und auch einige Veranstaltungsformate, regional und überregional − sowie das Leben selbst – auseinandersetzen, ist die Liebe. Diese ist, sowohl in der gesellschaftlichen Realität als auch in der künstlerisch dargebotenen Inszenierung, immer wieder von Hindernissen, Verwirrungen und auch Intrigen durchwoben. Von JENNIFER WARZECHA