Bühne | Mozarts ›Die Zauberflöte‹ in Karlsruhe
Ein »Vogelfänger« im knallbunten Kostüm, ähnlich des eines Wiener Hanswurst‘, und sinnbildlich stehendem blondem Haar schleicht sich auf der Bühne herum und resümiert über sein »Weibchen«, nach dem er sich so sehr sehnt und das gleichzeitig in einem vereint für die wichtigsten Deutungsaspekte rund um Wolfgang Amadeus Mozarts Oper ›Die Zauberflöte‹ steht: Ist sie eines der wichtigsten geschichtlichen Zeugnisse rund um die Freimaurer, ist sie allein ein Stück zur Unterhaltung der ganzen Familie – auf der ein Schwerpunkt der Karlsruher Inszenierung liegt? Von JENNIFER WARZECHA
Ist die Oper Ausdruck von Frauenhass und Patriarchat? Oder gerade für das Gegenteil, das Matriarchat – und damit auch Entsprechung zu der widersprüchlichen und faktisch ungeklärten Biografie des Komponisten, Wolfgang Amadeus Mozart? Klar ist allein: Trotz des zunächst harmlos erscheinenden Anspruchs, mehr zu unterhalten, als nachhaltig wirken zu wollen, wird die Oper in ihrer Karlsruher Aufführung (musikalische Leitung: Christoph Gedschold, Justus Thorau; Regie: Ulrich Peters) zu einem eindrücklichen Appell an das moderne Subjekt, den modernen Menschen, wenn er auch, der Machart der Oper gemäß, komisch verpackt ist.
Die moderne Komponente kommt dadurch zum Tragen, dass Papageno (gesangstechnisch und schauspielerisch mehr als überzeugend: Andrew Finden, gut: Gabriel Urrutia Benet) als moderner Mann mit den in der Breite der Masse ganz normalen Problemen des modernen Menschen daher kommt. Er scheut sich, großen Aufwand zu betreiben, um die Geliebte zu erobern. Stattdessen gibt er sich – vorerst – einmal lieber mit irgendeiner zufrieden – im Fall der Oper einer alten Frau, die urplötzlich wie aus dem Nichts erscheint – und gibt nach jeder Aufforderung seiner Widersacher zu verstehen, dass er bei all den Mühen dann doch »lieber ledig« bleibe.
Damit steht Papageno als Sinnbild für verschiedene Pole im Menschen, die sich nach Unabhängigkeit und damit bindungsloser Liebe und andersherum wieder Liebe in gegenseitiger Partnerschaft sehnen. Regisseur Ulrich Peters bezeichnet ihn dementsprechend im Programmheft als »modernen und suchenden Menschen« und erfüllt dadurch paradoxerweise gerade in der Tat den Anspruch, den der Regisseur, ebenfalls im Programmheft, formuliert: den eines zeitlos gültigen Stücks. Denn die Frage nach Weisheit, Glück, Stand, Moral, Tugend oder andersherum nach Lasterhaftigkeit und unmoralischem, „bösem“, Verhalten ist dem Stück immer noch, auch mehr als 200 Jahre nach seiner Uraufführung am 30. September 1791, implizit inbegriffen und macht es damit von vornherein eben doch mehrdeutig. Wenn auch der ursprüngliche zeitliche Bezug Mozarts zum Werk, zum Beispiel die Freimaurer, in der Karlsruher Inszenierung vordergründig nicht mehr zum Tragen kommt, ist diese existenzielle Suche jedes Menschen trotz aller Komik und Unterhaltung tragender Aspekt der Oper.
Papageno als moderner Mensch mit all seinen widersprüchlichen Sehnsüchten
Das Bühnenbild (Bühne: Christian Floeren) ist farbenprächtig, von den Formen her dennoch sparsam gehalten. Sonne und Waldmotiv, Zweige und Gras sind als Gegenstände zwar eindeutig. Mehr Formenvielfalt hätte aber durchaus sein können. Die Farbwahl von Schwarz-weiß und Gelb-bunt wiederum passt. Papageno mit seiner Papagena (überzeugend: Lydia Leitner, Ks. Tiny Peters, niedlich: Larissa Wäspy) erfreut mit den roten Boxen, mit denen das Paar die Anzahl seiner Kinder veranschaulicht.
Gerade durch Papagenos Rolle wird die Oper auch für Kinder zum relativ leichten Genuss. Einige Kinder sitzen prompt im Publikum. Apropos Kinder: Drei Knaben, Solisten des Knabenchors von Cantus Juvenum Karlsruhe, die Papageno und Pamina immer wieder auf den rechten Weg bringen sollen, machen ihre Sache für ihr Alter zwar gut. Sie passen auch in die Rolle der Kastraten, die Mozarts Knaben ursprünglich mit ihren hohen Stimmen spielten, kommen aber durch ihr Outfit mit Turnhose, Pullover und Socken nicht so autoritär daher, als dass man ihnen abnehmen könnte, dass sie Papageno oder Pamina ernsthaft ausreden könnten, sich umzubringen. Dennoch ernten sie viel Applaus beim Publikum.
Patriarchat und Matriarchat bei Mozart: heute
Wie steht es aber mit der Frage nach der Dominanz des Patriarchats und der frauenfeindlichen Äußerungen in Mozarts Werk, gerade in einer Zeit, in der die Gender-Debatten immer lauter werden? Überraschenderweise ist in der Zusammenschau des Werkes festzuhalten, dass entgegen aller früheren Kritik die Rollen hier recht ausgeglichen sind. Einzig der Begriff »Weibchen“ wirkt drollig und je nach Empfinden abwertend. Zur komischen Rolle, die Papageno, wie oben stehend erläutert, innehat, passt sie dennoch. In der Aufführung wirken sämtliche Textstellen wie die des »unglücklich Weib«, das den Mann zum Plaudern bringt und damit in Verderben und Verdummung verführt, lange nicht so patriarchalisch wie bei alleinigem Lesen der Textvorlage. Dennoch steht Papageno mit seinen Vögeln, seinem Vogelfänger und nicht zuletzt seinem Aussehen als Vogelmensch für die niedere Triebhaftigkeit, alltäglich-unkomplizierte Liebe Papagenos, aber auch für die in der Moderne oft recht rückständig behandelte, respektgebundene und verantwortliche Liebe zum Gegenüber. Nicht umsonst symbolisiert Papageno den Wiener Hanswurst, der als wüster, obszöner und lüsterner Kerl all das verkörperte, was in der gehobenen Wiener Gesellschaft verboten war.
Wenn er auch das Publikum immer wieder erheitert, wird Papageno vom Publikum dennoch immer wieder reichlich ermahnt und in seine Schranken gewiesen. Hinzu kommt das neue Selbstbewusstsein der Frauen: die Zofen der Mutter (allesamt überzeugend: Christina Niessen, Christina Bock und Rebecca Raffell), der Königin der Nacht (gesanglich herausragend und schauspielerisch überzeugend: Emily Hindrichs), erscheinen statt mit langem Haar, das Unfreiheit symbolisieren würde, mit kahl rasiertem Schädel, bunten Gewändern und großflächig geschminkten Wimpern und treten alles in allem selbstbewusst und nicht-demütig auf. Die plaudernden Frauen, die in der Textvorlage immer wieder mit schlechten Attributen wie »unglücklich Weib«, das Männer »berückt« und durch »Gram und Jammer niederdrückt« belegt werden, was sind sie also: »Rasende Weiber«, wie Mozart sie nannte oder schlichtweg selbstbewusste, emanzipatorische Frauen? Letzteres, denn »Am Ende erscheinen ›Tamino, Pamina, beide in priesterlicher Kleidung‹ als Abbild des göttlichen Paares Isis und Osiris. Jeder Rangunterschied der Geschlechter ist hier aufgehoben.« Und damit auch die psychologische Dimension der Mutter-Kind-Rolle bei Pamina und der Königin. Die Mutter steht mit ihrem Streben nach Macht weder für eine Frau, die sich unterdrücken lässt, noch für eine Mutter, die aus Sorge um ihre Tochter ihre Machtgelüste und -gedanken vergisst.
Die Frage nach der Weisheit im Meer der Definitionen und Begriffe
Die Königin ist es nicht allein, die teilweise ihre Rollen wechseln und sie gar umkehren muss – und noch dazu vor unterschiedliche Prüfungen gestellt wird. Auch wiederum Papageno steht vor der Lösung der Frage, wie er seine Triebhaftigkeit lenken und schließlich die Frau seines Lebens finden kann.
Fragen wie die, wie die einzelnen Figuren zu größerer Weisheit über den Sinn ihres Lebens, ihrer Liebe und ihres Glückes kommen können, stellen sich wiederum Tamino und Pamina – gerade dann, wenn sie von den Priestern Sarastros (gesanglich stark, schauspielerisch rollengemäß stoisch: Avtandil Kaspeli und Ks. Konstantin Gorny), der abwechselnd das Böse und die Weisheit versinnbildlicht, in den Prüfungstempel geführt werden. Oder Tamino alleine, nach weiteren Prüfungen, nach denen er zu »ewiger Weisheit«, hier in Form von Freundschaft, gelangt. Die Frage ist: Wie definieren Zuschauer und Schauspieler diesen bedeutungsschwangeren Begriff der »Weisheit« heute?
Unsere heutige Gesellschaft ist, nicht nur in der Wissenschaft, stetig darum bemüht, gerade, was das Thema »Beziehungen« angeht, Begriffe neu zu definieren. Möglicherweise reicht die Tiefe der mozartschen Oper aber gerade eben doch über den rein komischen und Familien erheiternden Aspekt hinaus: Gerade Papageno zeigt immer wieder, dass wir uns auch in der modernen, subjektiven Leichtigkeit nie dafür zu schade sein sollten, um das passende Gegenüber oder auch nur um die Sache, die uns wichtig ist, zu kämpfen. Papageno scheut immer wieder die Mühe, die ihm auferlegt wird und innerhalb derer er um Papagenas Liebe kämpfen soll und verlacht sie weg. Auffällig ist der Part, in dem er betont, dass er eine Frau der gesellschaftlichen Unterhaltung wegen brauche – und damit ganz klar die erotische Komponente meint.
Möglicherweise ist die Botschaft des gesamten Märchens ein Aufruf dazu, sich auf die Schwierigkeiten des Lebens mitsamt all ihren Beziehungen einzulassen, in der Moderne mit all ihrer Definitionsvielfalt noch mehr als für Mozart und seine Zeit angemessen gewesen wäre. Das kommt auch beim Publikum an, denn auch Papageno erntet hier viel Applaus. Insofern dürfte auch Mozarts »geistige Idee« als »ein Bekenntnis zum Leben« erfüllt sein, wie es Wilhelm Zentner im Programmheft bezeichnet, »das sich im liebenden Auge eines Genius spiegelt, der bereits ahnt, wie bald die Abschiedsstunde schlägt«. Und auch die musikalischen Einlagen überzeugen rundum, in gewohnter melodiöser künstlerischer Komposition und Melodie.
| JENNIFER WARZECHA
| Fotos: FELIX GRÜNSCHLOSS
Titelangaben
Die Zauberflöte
Große Oper von Wolfgang Amadeus Mozart
Badisches Staatsheater, Großes Haus
MUSIKALISCHE LEITUNG D. Squeo, J. Willig
REGIE Ulrich Peters
BÜHNE Christian Floeren
DRAMATURGIE Frank Gersthofer, Achim Sieben
Termine
Samstag, 21.11.2015, 19:30
Samstag, 26.12.2015, 18:00
Freitag, 26.02.2016, 19:30
Mittwoch, 09.03.2016, 19:30
Dienstag, 10.05.2016, 19:30