/

Unter Bekloppten

Show | Von der Luftgitarrenweltmeisterschaft 2011

Unser Autor JAN FISCHER hat Aline Westphal, die Weltmeisterin im Luftgitarrespielen, nicht nur hinter, sondern sogar bis auf die Bühne begleitet.

Jan Fischer - LuftgitarreSchon in der Luft geht mir der Arsch auf Grundeis. Unter uns der scheinbar endlose finnische Nadelwald, und irgendwann, vielleicht, landen wir. Vielleicht bin ich müde, vielleicht bin ich wirklich verrückt, so oder so: Es ist einer dieser Momente, in denen man alles, sein Leben, die Welt, einfach alles infrage stellt. Ganz speziell frage ich mich, warum genau eigentlich ich mehr Geld, als ich habe, unbedingt dafür ausgeben musste, nach Nordfinnland zu fliegen, nach Oulu, um dort Luftgitarre zu spielen. Aber das sind nur nervöse Zuckungen. Die verfliegen, als wir landen, das Gepäck holen und schon vor dem Ausgang aus dem Flughafen von einem Fernsehteam begrüßt werden: Das hier, denke ich, könnte Spaß machen.

Die Erschöpfung in unseren Augen

Wir kommen zu viert an, aber eigentlich sind wir immer zu fünft: Die Mitglieder der Luftgitarrenshow Four versus Hellfire, einer, wie wir es genannt haben, Luftrockoper. Die fünfte, Aline Westphal, treffen wir am Flughafen, sie ist schon vorgeflogen, um sich filmen zu lassen: Seitdem sie im Juli Deutsche Meisterin im Luftgitarrespielen geworden ist, musste sie ein Interview nach dem anderen geben. Das Medieninteresse wuchs enorm, solange, bis ein Fernsehteam anfragte, um eine längere Dokumentation über sie zu drehen: Irgendwie wurde der Witz, den wir gemacht hatten, mit Alines Titel ein gutes Stück ernster. Dieses Fernsehteam jedenfalls ist es, das uns jetzt am Flughafen abholt. Sie wollen filmen, wie wir uns wiedersehen, die Umarmungen, vielleicht auch die Erschöpfung unter unseren Augen.

Studenten, Kneipen, Papierfabrik. Und Rock.

Als Deutsche Meisterin ist Aline für die Meisterschaften gesetzt, wir anderen müssen uns erst noch qualifizieren: So wollen es die Regeln der World Air Guitar Federation. Die Meisterschaft findet schon seit 1996 in Oulu statt: Anfangs noch als Anhängsel an ein Musikvideofestival, ist es inzwischen umgekehrt. Oulu ist eine ruhige Stadt, unheimlich ruhig, genau dort, wo die Ostsee endet. Am nächsten Tag wird es sonnig sein, direkt warm, und die ganze Stadt eingehüllt in den sanften Rauch der hier ansässigen Papierfabrik. Eine Menge Studenten, Eisfischen, Fahrradwege, die laut Werbematerial auch im Winter befahrbar sein sollen, an jeder Ecke eine Kneipe, ein schreiender Männerchor: Das war es so ungefähr.

Und schon allein zur Qualifikationsrunde stauen sich die Menschen vor einem kleinen Laden namens 45 Special bis an die nächste Straßenecke. Die Bühne ist kleiner als mein Zimmer zu Hause, und fast kann man den Schweiß in der Luft auf der Zunge schmecken. Heiß ist es auf jeden Fall, stickig auch. Ich erkenne im Publikum ein paar der großen, alten Luftgitarrenlegenden: Hot Lixx Hulahan aus den USA steht direkt vor der Bühne, grinsend, ein Bier in der Hand. Ich weiß nicht, wie er richtig heißt, so, wie ich die meisten Menschen in den nächsten Tagen nur mit ihren Bühnennamen kennen lernen werde. Meiner ist Geeky Gisbert.

Die ersten fünf aus der Qualifikationsrunde dürfen am nächsten Tag auf die große Bühne, es gibt 14 Teilnehmer, die sich noch qualifizieren wollen. Bewertet wird Luftgitarrenspielen nach der olympischen Eiskunstlaufskala, von einer vorher aus verdienten Luftgitarristen und Organisatoren ausgewählten Jury: 4,0 ist die schlechteste Note, 6,0 die beste. Gespielt wird ein selbst gewähltes Lied, das exakt eine Minute lang sein muss. Ich bin nervös, aber mittlerweile kenne ich das: Kleine, verschwitze Bühnen, das sind genau die Orte, an denen wir auch mit unserer Luftrockoper immer auftreten. Nervosität ist Energie. Bier auch, in diesem Zusammenhang jedenfalls. Ich trinke drei davon im Backstage, streng der Drei-Bier-Regel folgend, die eine weitere Luftgitarrenlegende, Björn Türoque, erfunden hat. Wir alle trinken, und Aline sagt uns allen, dass wir uns qualifizieren sollen. Sie habe keine Lust, das alleine zu machen, morgen, auf der großen Bühne.

Zittern und Zucken

Zwei aus unserer Gruppe sind auf den ersten beiden Startplätzen. Sie fahren die schlechtesten Wertungen des Abends ein. Ich bin später dran – auf dem siebten Startplatz. Vor mir spielt ein Belgier in Hannibal-Lecter-Maske irgendeinen Zusammenschnitt von merkwürdigen Songs und explodiert dabei förmlich. Er bekommt die besten Wertungen des Abends, und als ich auf die Bühne muss, bin ich wieder Geeky, dieser bebrillte Typ, der sich durch seine Perfomance zuckt, dieses bewusst gesetzte Anti-Cool, weil alle anderen Luftgitarristen immer cool sein wollen.

Geeky zittert, als auf er auf die Bühne geht. Das ist nur ein bisschen gespielt. Ich hebe den Arm, mein Song geht los, und dann merke ich nichts mehr: Die Füße tun automatisch, was sie tun müssen, die Hände spielen die Luft, und dann, irgendwann, hört das Lied auf: Die Leute mögen Geeky. Am Ende des Abends lande ich auf dem zweiten Platz, und ich bekomme noch am Rand mit, dass eine Frau mit Plastikgesicht sich das Gesicht irgendwann auf der Bühne runterreißt, und jemand anders zu einem völlig zerfahrenen Song einen Flamenco-Gitarristen mimt. Die Dritte aus unserer Gruppe, die in einem himmelblauen Prinzessinnenkleid eine Marionetten-Performance zu einem Metal-Song hinlegt, kann sich auch nicht qualifizieren: Aline und ich müssen auf der großen Bühne zu zweit für Deutschland antreten.

Arsch auf Grundeis. So richtig.

Am nächsten Tag poste ich auf Facebook: Jan Fischer geht der Arsch auf Grundeis. Und dieses Mal stimmt es. Aline schreibt gerade ihre Diplomarbeit über die Kulturgeschichte der Luftgitarre, und sie erzählt mir, dass mindestens 3000 Leute kommen, um zuzuschauen. Die Bühnen sind nicht einfach ein paar zusammengenagelte Podeste in einem miefigen Club: Es ist eine Konzertbühne. Eine von den richtig großen, mitten auf dem Ouluer Martkplatz. Mittags werden wir eingewiesen. Die Luftgitarrenideologie wird wiederholt: Es geht bei der ganzen Sache um den Weltfrieden, wird uns gesagt. Wenn alle Menschen gleichzeitig Luftgitarre spielten, könne niemand mehr eine Waffe halten.

Dann wird die Reihenfolge ausgelost, und uns wird mitgeteilt, dass das Warum-Up-Programm von der »finnischen Lady Gaga« bestritten wird. Ein paar Stunden später stehe ich in Kostüm vor dem Backstage-Zelt im nordfinnischen Nieselregen und rauche meine letzte Zigarette. Die finnische Lady Gaga entpuppt sich als 16jährige Gewinnerin der finnischen Ausgabe von Popstars, und sie hat eine Armada von kleinen Mädchen auf den Marktplatz gelockt, die sich vor der Bühne die Seele aus dem Leib kreischen. Und der Medienzirkus läuft heiß. Ich drücke die Zigarette aus, habe in Bier in der Hand und Kopfhörer in den Ohren, höre noch ein letztes Mal mein Lied, versuche, in dem Regen meine Performance noch einmal zu üben, und sofort richten sich mindestens drei Kameras auf mich. Das Filmteam, das Aline begleitet, interviewt sie noch einmal in der Ecke, dann geht sie ins Zelt und zieht sich um. Ich habe Angst, wird sie später sagen, während wir in einer Reihe stehen und darauf warten, von noch einem Fotografen porträtiert zu werden. Dieser Ritt, sage ich zu Aline, wird immer surrealer. Sie nickt. Alle hier sind irre, denke ich. Völlig bekloppt.

3000 Menschen, das macht matschig im Kopf

Ich muss als Erster auf die Bühne, ich habe ein schlechtes Los gezogen, das heißt, ich habe keine Chance, völlig unabhängig davon, wie gut ich bin: Die erste Wertung von der Jury ist immer niedrig, sie müssen sich immer erst einpendeln. Vielleicht mögen sie auch nicht, was ich tue. Schwer zu sagen. Aline ist als Elfte dran. Ich werde angekündigt. Ich gehe raus. 3000 Menschen jubeln mir zu. Ich performe. Ich gehe von der Bühne, wo mich das Filmteam, das Aline begleitet sofort überfällt, und mich fragt, wie es war. Ich sage so etwas wie: Überwältigend, jeder sollte das mal gemacht haben, und verkrieche mich hinten im Zelt, wo es das Bier gibt.

Aline sitzt da, in ihren Strapsen, mit ihrem schwarzen Glitzerkleid. Sie starrt ins Leere, wie alle hier: Die Teilnehmer sitzen einzeln vor ihren Bieren, starren stumm auf den Bildschirm, auf dem man sehen kann, was auf der Bühne passiert. Der Gewinner vom letzten Jahr, ein Franzose namens Günter Love, geht irgendwann auf die Bühne und bekommt schlechte Noten – trotz seiner zwei Backflips. Ein Amerikaner namens Nordic Thunder geht auf die Bühne, er hat lange Haare und trägt ein archaisches Urmenschen-Oufit. Er wird ganz gut bewertet. Und dann kommt Aline.

Ich kenne die Performance, ihr Lied ist The Pretender von den Foo Fighters, wir alle haben das monatelang geprobt: Aline ist gut, sie spielt präzise, sie bekommt den Sprung an der richtigen Stelle hin. Die Zeitlupensequenz sieht auch cool aus. Die 3000 Leute jubeln, lauter, als sie an diesem Abend gejubelt haben: Sie bekommt mit eine der höchsten Bewertungen des Abends. Als sie von der Bühne kommt, umarme ich sie, sie ist etwas desorientiert: Wenn 3000 Menschen einem zujubeln, macht das matschig im Kopf. Das eine Ende, was ich erzählen könnte, wäre das magische: Es gibt noch eine Improrunde, in der jeder Teilnehmer dasselbe Lied spielen muss. Aline gewinnt, haushoch, bekommt die wunderschön designte, durchsichtige Plexiglasgitarre als Preis, und geht ihren Weg. In dem anderen Ende, das Ende, was nicht das Märchen ist, passiert das alles auch, aber das ist nur der Anfang: Dann geht die Arbeit erst richtig los, dann kommen die Interviews, dann kommt das klingelnde Telefon, und das Newswheel dreht sich unaufhörlich. Aber belassen wir es doch erst mal beim Märchen, und schauen, was noch so passiert.

| JAN FISCHER
| Fotos: MARIE VON BORSTEL

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Abschied vom Vater

Nächster Artikel

Kartelle, wohin man sieht

Weitere Artikel der Kategorie »Bühne«

Wenn der Postbote 2x klingelt

Bühne | Stand-up-Comedy im Theater ›Das Zimmer‹ Hamburg … kann er wahrscheinlich das Namensschild nicht lesen! Unikum Hans-Hermann Thielke kennt als einstiger Schalterbeamter im »mittleren nichttechnischen Dienst« alle noch so skurrilen Postgeheimnisse, wie etwa das korrekte Befeuchten von Briefmarken. Geht auch nach Schalterschluss bei ihm die Post ab? MONA KAMPE über die Begegnung mit einer urigen Brieftaube, die die Päckchen des Lebens sympathisch leicht aus den Flügeln schüttelt.

Ein ganz normaler Tag

Bühne | Alltagsmonologe im Theater das Zimmer

Was haben eine deutsch-türkische Haushaltshilfe, Badekugeln und ein Männerwochenende gemeinsam? Den Verwandlungskünstler Dominik Velz. Von MONA KAMPE

Im Wilden Westen nichts Neues

Bühne | William Shakespeares ›Romeo und Julia‹ im Staatstheater Nürnberg Theodor W. Adorno lehnte es in seinen Vorlesungen zur Ästhetik ab, William Shakespeares ›Romeo und Julia‹ als Tragödie zu interpretieren, die den Übergang von der mittelalterlichen zur bürgerlichen Liebe markiere, da die Ära der Bürgerlichkeit mit noch viel mehr erotischen Tabus versehen sei. Dennoch hat Shakespeare auch den modernen Menschen kreiert. Das dachte sich wohl auch der Regisseur Johannes von Matuschka und inszenierte das Drama in Nürnberg als amerikanisches Wildwestschauspiel – also im fluiden Übergang von Wildheit und Zivilisation. PHILIP J. DINGELDEY hat sich die Premiere von ›Romeo und Julia‹

Die Macht der Illusionen

Bühne | ›Weiße Nächte‹ im Zimmer

Auch die zweite Premiere in Hamburgs kleinstem Theater ist eine große Überraschung, denn sie lädt zum Träumen ein. Die Realität ist auf den Kopf gestellt – was könnte dieses Jahr besser zusammenfassen? Von MONA KAMPE

Nuancen einer Liebe

Live | Bühne | Show: Ghost – Nachricht von Sam Man nimmt das Motiv der unsterblichen Liebe und bringt es als magisches Geistermusical auf die Bühne. Dazu ein hinterhältiger Mord und zack ist der Zuschauer emotional mitten im Geschehen. Die Macher von ›Ghost – Nachricht von Sam‹ wissen, wie sie das Publikum verzaubern können. Dies funktioniert beeindruckend gut. ANNA NOAH freut sich über einen gelungenen Abend.