Live | Theater: ›Angst essen Seele auf‹
Passend zum Goldstadt-Jubiläum ›Goldstadt 250‹, das mit all seinen Schmuckvarianten, zahlreichen Events, Ausstellungen und Veranstaltungen glänzt, wird auch das Pforzheimer Stadttheater zur multimedialen Bühne in der Repräsentation eines zeitgemäßen Stückes von Rainer Werner Fassbinder …
(…super in der Ausführung seiner Videogestaltung: Bernhard Henning). Und das, obwohl der Film von Rainer Werner Fassbinder zum Titel ›Angst essen Seele auf‹ aus dem Jahr 1974 mit Brigitte Mira als Emmi Kurowski und El Hedi ben Salem als Ali nun schon einige Zeit zurück liegt.
Brandaktuell ist das Thema gerade nach der Bundestagswahl und der Wahl der Partei Alternative für Deutschland (AfD) mehr denn je. Es geht um die Akzeptanz von vermeintlichen Minderheiten, übergeordnet um die Flüchtlinge im Land und deren Akzeptanz bei der mehrheitlichen deutschen Bevölkerung. Gerade hierbei glänzt die Pforzheimer Aufführung durch aktuelle, zeitgeschichtliche Bezüge, wie sie nur mehr klar auf der Hand liegen. Ali (sehr überzeugend in der Sprachwahl in Verwendung von sprachlichen Unsicherheiten bei der Aussprache und Satzformulierung, sehr überzeugend als nicht-einheimischer Schauspieler: Puja Behboud) sorgt beim Publikum im fast bis auf den letzten Platz besetzten Saal des Stadttheaters Pforzheim auch prompt für Erheiterung und anhaltendes Klatschen, als er – abweichend vom ursprünglichen Text – auf Emmis (super und überzeugend, authentisch als Gast im Stadttheater Pforzheim: Johanna Liebeneiner) Frage, ob er Hitler kenne, da ihr verstorbener Mann »wie fast alle damals in der Partei gewesen« sei, knapp und überzeugend antwortet.
»Kennen Sie Hitler? «, fragt Emmi. Ali antwortet: »Ja, war ein Gauner«, und lacht dabei knapp und überzeugend, verborgen hinter Vorhang und Licht aus dem Gesamtschaubilds eines weißen, mit Leinen verhangenen, Würfels. Es ist das Resultat und vorab realitätsnahe Szenarium des Ausgangs einer Wahl, die viel Spielraum für die Gedanken um die Gestaltung einer Zukunft von Einwanderern und Migranten, dem Leben von Gastarbeitern und Hinzugezogenen im Zusammenspiel mit der einheimischen Bevölkerung lässt, wie sie gerade bei der Bundestagswahl in Deutschland alle Wählenden, Journalisten und die gesamte Bevölkerung zum Nachdenken veranlasst hat.
Passend dazu ist das Anfangsszenario, in dem alle Darsteller entgegen einer sogenannten »Haifischfamilie« auf der Bühne tanzen und auf die Flüchtlinge im Land, die »keine Menschenrechte kennen« oder Frauen unterdrücken, also Auslöser einer neuen globalen Krise seien, die noch dazu zu einer neuen Flüchtlingswelle führen, hinweisen.
Katja Thiele, in der Rolle unter anderem der Frau Ellis und in erotisch-rot aufleuchtendem Kleid, das die Brustpartie nicht unnötig ausspart, ruft und plädiert gegen die Unterdrückung der Frau. Sie ist es auch, die als Barbara keine Gelegenheit ausspart, Ali, der als Gastarbeiter bei Emmi Unterschlupf findet und sie auf ihren Vorschlag, um den kulturellen Diskrepanzen zu entweichen hin heiratet, immer wieder Avancen zu machen, mit ihr zu schlafen, was ihr auch zweimal gelingt.
Kulturelle Diskrepanzen durchwandern das Stück
Einmal, als Ali sich mit einer ihm überkommenden kulturellen Fremdheit konfrontiert sieht, als Emmi Blumenkohl und anderes Gemüse schneidet und er ihr ihr von seiner Leibspeise Cous-Cous berichtet, die er in dem Moment gerne essen würde, zieht Emmi ihn, fleißig Gemüse schnippelnd, direkt in seinen kulturellen Konflikt mit hinein. Er solle sich endlich an deutsche Verhältnisse und damit auch an deutsche Essgewohnheiten gewöhnen.
Ali wendet sich ab, geht zu Barbara (ausdrucksstark und überzeugend: Katja Thiele); weil sich das entgegen der moralischen Vorstellungen der übrigen Mitmenschen gestaltet, spielt sich die Szene auf dem weißen Würfel und dem entsprechendem Terrain ab, sie nähern sich an, das erotische Szenario wird dadurch halbwegs überdeckt, dass Ali ihr lediglich über die Hüftgegend unterhalb der Brüste streicht, mit einer der zahlreichen Filmszenen aus dem oberhalb angeordneten Bildschirm wird die gesamte Szene des Miteinander-Schlafens angeordnet und gezeigt.
Andere Szenen sind es, die die kulturellen Differenzen aufzeigen. Zum Beispiel dann, wenn Ali auf Emmis Anraten hin seine Freunde einlädt und sie mit orientalischer Musikbegleitung unterlegt laut ein Fest der Kulturen feiern, frei mit orientalischem Teppich und entsprechendem Spiel ums Ganze. Beinahe lustig gestaltet sich diese Szenerie, wenn über die Videoprojektion reichlich unsichere Polizisten, die langsam die Stufen im Treppenhaus erklimmen, gezeigt werden, die von den schläfrig und unsicheren, sich in ihrem Schlaf gestörten Nachbarinnen im lustig anheimelnden Schlafanzug angeheuert wurden, gezeigt werden.
Zeichen der Fremdenfeindlichkeit zeigen sich auch dann, wenn Emmi und Ali in einem Außenrestaurant zusammen hin Essen gehen und sie mit allerlei misstrauischen Blicken konfrontiert sind. Diese Gruppen, die Ali und Emmi regelmäßig diskriminieren, stehen jeweils außerhalb. Lilian Huynen (kühl, aber gerade deshalb in diesem Kontext realitätsnah) spielt als Innere Stimme der Protagonisten mit einfältiger Einhornmaske ›People Help The People‹ von Birdy, gerade in dem Moment, indem Emmi realisiert, dass sie einerseits mit Ali geschlafen und sich andererseits in ihn verliebt hat.
Insgesamt ist diese liebevolle, multimedial und von den Kostümen und der Szenerie (Inszenierung: Annett Kruschke; Bühne und Kostüme: Indra Nauck; Dramaturgie: Peter Oppermann) her eingespielte Bühnenfassung des Fassbinderschen Filmes einfach nur unbezahlbar. Die Kostüme sind teilweise gewöhnungsbedürftig bzw. einfach zu sehr den Sechziger Jahren angepasst, aber die Kür des Stückes ist es, dass sowohl stoffliche Nachahmung, als auch zeitgenössische Interpretation vollauf gelungen sind, was der tosende Schlussapplaus im fast bis auf den letzten Platz gefüllten Saal des Theaters beweist.
Und gerade Emmis (hier erst recht eine vollauf überzeugende Interpretation der Schauspielfigur: Johanna Liebeneiner) liebevoll und dramatische, letztendliche Beipflichtung zu ihrem Mann, der an einem Magengeschwür leidet, bezüglich des Titel des Stückes lautende Botschaft heißt: Angst frisst nicht unbedingt die Seele auf. Der Angst kann auch kulturell entgegnet werden, dann, wenn man zueinander steht. Das beweisen die Protagonisten des Stückes und die Leitidee desselben allemal.
Resultat: Äußerst gelungen!
| JENNIFER WARZECHA
| FOTOS: SABINE HAYMANN
Titelangaben
Angst essen Seelen auf
Besetzung
El Hedi — Puja Behboud
Emmi — Johanna Liebeneiner
Gesellschaft — Lilian Huynen
Anne-Kathrin Lipps
Katja Thiele
Clemens Ansorg & Fredi Noël
Inszenierung — Annett Kruschke
Bühne und Kostüme — Indra Nauck
Termine
Freitag, 29.09.2017 20:00 / Samstag, 30.09.2017 20:00
Samstag, 07.10.2017 20:00 / Freitag, 13.10.2017 20:00
Sonntag, 15.10.2017 20:00 / Freitag, 20.10.2017 20:00
Samstag, 21.10.2017 20:00 / Sonntag, 22.10.2017 20:00
Samstag, 28.10.2017 20:00 / Sonntag, 29.10.2017 20:00