Die (Bild-)Sprache der Unterdrücker

Comic | Anton Kannemeyer: Papa in Afrika

Bei Avant ist unter dem Titel ›Papa in Afrika‹ eine Werkschau des südafrikanischen Comickünstlers und provokanten Satirikers Anton Kannemeyer erschienen. Die Ähnlichkeiten mit dem ersten Band von Tim und Struppi sind natürlich alles andere als zufällig – und gut dazu geeignet, einem Hergé-Fan wie BORIS KUNZ die Schamesröte ins Gesicht zu treiben.

Papa_in_Afrika_Cover_webSelbst der größte Fan von Tim und Struppi muss sich eingestehen, dass nicht alle Comicalben des großen Meisters Hergé von jenem Naturalismus, jener Genauigkeit der Recherche und vor allem jenem Humanismus geprägt sind, für die man seine späteren Werke liebt und bewundert. ›Tim in Amerika‹ und ›Die Zigarren des Pharaos‹ sind purer Slapstick – und die beiden Erstlingswerke sogar noch viel Schlimmeres als das: naive politische Propaganda. Sie sind eine Ansammlung von Klischees und Vorurteilen, die mit der Wirklichkeit des beschriebenen Landes so viel zu tun haben wie Entenhausen mit den Zuständen in einer Geflügelfarm. ›Tim bei den Sowjets‹ zählt deshalb schon lange nur inoffiziell zum Kanon, doch ›Tim im Kongo‹ (und auch das ist irgendwie schon bezeichnend für die politischen Kräfteverhältnisse auf dieser Welt) ist dieser Art von Zensur irgendwie entgangen, obwohl darin kaum etwas anderes zu sehen ist als ein weißer, blonder Jüngling, der den wie Kleinkindern agierenden Negern Segnungen der Zivilisation nahebringt, wenn er nicht gerade dabei ist, ohne jeden Skrupel so gut wie jede Tierart abzuschießen, die sich im Kongo herumtreibt.

Ligne Quer

Der südafrikanische (weiße) Comiczeichner Anton Kannemeyer, Begründer des einzigen Südafrikanischen Comicmagazins ›Bitterkomix‹, führt uns jetzt drastisch vor Augen, was wir da eigentlich in unserem Comicschrank stehen haben. Er tut dies, indem er sich der Bilder aus ›Tim im Kongo‹ bedient, um den Albtraum der Kolonialpolitik und der Apartheid satirisch aufzuarbeiten. Das Album enthält zahlreiche Kurzcomics, Cartoons und Bildarrangements, die weit über eine Parodie von Hergés Jugendsünde hinausgehen.

Kannemeyer benutzt in großen Teilen seines Werks die Ikonographie Hergés, um sie in einen neuen Kontext zu setzen. Fast alle Weißen haben dasselbe Mondgesicht, dieselben Knopfaugen und dieselbe Stupsnase wie Tim, dafür aber die Halbglatze ihres Neuschöpfers Kannemeyer. Fast alle Schwarzen sehen so aus wie Tims naiver Boy Coco, und auch ein schadenfroher und bösartiger weißer Terrier taucht immer wieder auf. Manchmal zeichnet und arrangiert Kannemeyer konkrete Einzelbilder aus ›Tim im Kongo‹ neu, manchmal bedient er sich nur bei dessen Gesten und Bildsprache, manchmal montiert er die Köpfe dieser Figuren auf seine eigenen, bösartigen Cartoons, auf denen weiße Rugbyspieler mit dem Kopf eines Schwarzen und schwarze Fußballer mit dem Kopf eines Weißen Ball spielen.

Nur in einigen seiner früheren Geschichten, in denen sich Kannemeyer noch ›Joe Dog‹ nannte, und die in ihrem Schwarz-Weiß und mit dem oftmals direkt mit dem Leser sprechenden Protagonisten ebenso an alte Undergroundcomics wie an moderne, autobiographische Graphic Novels erinnern, zeichnet Kannemeyer tatsächlich die Welt, in der er lebt: das heutige, moderne Südafrika. Doch es sind nur wenige und nur sehr stilisierte Bilder, die dem Leser einen Eindruck von der Realität dieses Landes vermitteln. Die meiste Zeit bekommt man davon nur indirekt etwas mit.

Kannemeyer benutzt die Bilder aus ›Tim im Kongo‹ für eine Art von Satire, die leicht schiefgehen kann und ihm in seiner Heimat auch schon jede Menge Anfeindungen eingebracht hat. Er konfrontiert die rassistischen Darstellungen nicht mit der Realität, um dadurch ihren mangelnden Gehalt aufzuzeigen, sondern benutzt sie, um sie auf die Spitze zu treiben und die Albträume und Ängste der ehemaligen weißen Kolonialherren in einer Deutlichkeit zu illustrieren, mit der sie sich das selbst niemals trauen würden: In Kannemeyers Comics fallen Horden von ungebildeten Negern mit dicken, fleischigen Lippen (und langen Schwänzen) über die Weißen her, um die Väter zu töten, die Frauen zu vergewaltigen und den Kindern noch schlimmere Dinge anzutun.

Abb: © Avant Verlag
Abb: © Avant Verlag
Kannemeyer illustriert aber nicht nur weiße Angst, sondern auch Gewaltphantasien: In einer Abwandlung der (auch im Original schon recht grausigen) Antilopenjagd-Sequenz aus ›Tim im Kongo‹ knallt ein weißer Jäger nicht nur einen, sondern versehentlich gleich einen ganzen Stamm Buschneger über den Haufen (dieses Missgeschick passiert ihm, weil diese alle völlig identisch aussehen, für die Augen des weißen Mannes also nicht zu unterscheiden sind) und schneidet ihnen anschließend die Hände ab – eine Anspielung auf eine perfide Praxis belgischer Kolonialherren im Kongo: Damit die zwangsrekrutierten, schwarzen Soldaten im Kampf keine Kugeln verschwendeten, mussten sie für jede verschossene Kugel die abgehackte Hand eines getöteten Gegners vorlegen.

Optisches und sprachliches Glatteis

Neben den einprägsamen Bildern thematisiert Kannemeyer gerne noch ein zweites großes bewußtseinsbildendes (besser vielleicht: bewußtseinsverzerrendes) Indoktrinationsinstrument der weißen Herrscherklasse: Die Sprache. Kannemeyer zitiert und illustriert, wie viele Ausdrücke und Sprichworte aus dem Afrikaans die schwarze Bevölkerung (die »Kaffer«) mit negativen Eigenschaften in Verbindung bringen. »Kafferwerk« etwa ist gleichbedeutend mit »Drecksarbeit«. Während manche Comics in diesem Album eher pure, verstörende Provokation sind, während andere im Gestus von politischen Zeitungscartoons daherkommen, leistet Kannemeyer in manchen Beiträgen mit dieser Sprachanalyse spannende, detaillierte Aufklärungsarbeit. Manche Anspielungen dagegen richten sich eindeutig an ein aufgeklärteres bzw. mit den politischen Gegebenheiten Südafrikas etwas vertrauteres Publikum. (Oder wissen Sie, wer Jan van der Merwe ist?)

Im Großen und Ganzen sind aber alle Beiträge in diesem Album unterschiedlichste Spielarten und Varianten desselben Themas mit denselben Bildern. Das ist auf perfide Weise auch unterhaltsam, doch irgendwann wünscht man sich tatsächlich etwas mehr Information anstatt weiterer drastischer Darstellungen von symbolischer und buchstäblicher Vergewaltigung.

So brillant bösartig und verstörend Kannemeyers Werk auch sein mag, so befindet mach sich außerhalb von Südafrika auch schon beinahe außerhalb seiner Zielgruppe. Diese ist nämlich in erster Linie die weiße Bevölkerung von Südafrika. Kannemeyer stößt sie vor den Kopf, indem er sie knallhart mit ihren eigenen Ressentiments konfrontiert. Als aufgeklärter Mitteleuropäer fällt es einem natürlich leichter, sich ohne persönliche Betroffenheit von der Kritik des Werkes zu distanzieren. Wir sind schließlich keine Kolonialherren und sprechen auch kein Afrikaans. Obwohl man es auch als eingefleischter Fan von ›Tim und Struppi‹ nach der Lektüre dieses Albums sehr schwer haben wird, ›Tim im Kongo‹ weiterhin mit einem Gefühl von verzeihender Nostalgie zu lesen und zu sagen: Der junge Hergé hat es eben damals nicht besser gewusst.

| BORIS KUNZ

Titelangaben
Anton Kannemeyer: Papa in Afrika (Pappa in Afrika)
Aus dem Englischen von Mathias-Emanuel Hartmann
Berlin: Avant-Verlag 2014
64 Seiten, 19,95 Euro

Reinschauen
Über Anton Kannemeyer
Interview mit Kannemeyer über Bitterkomix

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