Comic | Ben Gijsemans: Hubert
Der in Brüssel lebende Zeichner Ben Gijsemans hat im Rahmen seiner Masterarbeit einen wunderbaren Comic geschaffen. Nach seinem stillen Helden auf ›Hubert‹ getauft, zeichnet er ein minutiös geschildertes Porträt der Einsamkeit – und der Möglichkeit, ihr zu entkommen. Von CHRISTIAN NEUBERT
Huberts Blick gehört den Frauen. Den Frauen, wie Künstler sie sehen, wie sie auf Leinwände gemalt in Museen ausgestellt sind. Regelmäßig besucht er in seiner Heimatstadt Brüssel das Königlich-Belgische Kunstmuseum, immer wieder auch das Museé d’Orsay, für das er extra nach Paris fährt. Die Bilder faszinieren ihn, er studiert sie intensiv – und fotografiert sie. Zuhause versucht er sich darin, sie nachzumalen. Darin erschöpft sich sein gesamter Alltag. Mit realen Menschen hat er´s nicht so.
Dabei hat er wohl ein Auge auf die junge Frau vom gegenüberliegenden Haus geworfen. Sie interessiert ihn, anders als die ältere Dame von unten, deren Einladungen zum Wein er lieber davonläuft. Sie bemerkt es, als er sie von seinem Fenster aus fotografiert – und versteckt sich fortan hinter Vorhängen.
Sich in der Kunst verlieren – und sich selbst
Als Leser bekommt man Hubert selten außerhalb von Museen oder seiner Wohnung zu sehen. In minutiöser Schilderung wird man dabei Zeuge seiner Einsamkeit. Sie nagt an ihm, er droht, sich im Stillstand zu verlieren. Dabei braucht seiner Rettung gar keine Aufbruchsstimmung vorausgehen. Dass Impulse von außen erst mal genügen, zeigt sich, als Hubert anfängt, die Frau von gegenüber zu malen.
Die Lektüre von ›Hubert‹ – der Comic ist schlicht nach seinem Helden benannt – ist eine melancholisch-meditative Erfahrung, die nach und nach zur Tat auffordert. Der Blick des Lesers klammert sich an Hubert fest, und dieser sich wiederum an seiner passiven Ich-Versunkenheit. Viel erfährt man nicht von dem Eigenbrötler. Die wenigen Infos, die man über seine unsicheren Blicke, seine scheue Kopfhaltung, seine Gesten erfährt, sprechen allerdings Bände. Gijsemans beherrscht es hervorragend, die Gefühlswelt seiner Figur über ihre Körperlichkeit zu vermitteln. Dabei sind Huberts Augen zwei immer gleiche Punkte hinter Brillengläsern, sein Mund nur ein einzelner Strich. Man fühlt sich ein Stück weit an den französischen Zeichner Bastien Vivès erinnert, der seinen Protagonisten ebenfalls über die Dynamik ihrer Bewegungen Leben einhaucht. Mit dem Unterschied, dass Gijsemans Hubert gerade durch fehlende Dynamik lebendig wird.
Eine Bestandsaufnahme der Stasis
Die einzelnen Panels zeigen entsprechend Ausschnitte eines rumorenden Stillstands. Zunehmend brodelt es in Huberts Emotionen – ein Prozess, dem Gijsemans genau das richtige Maß an Zeit gönnt und der in den Seitenarrangements eine wunderbare Entsprechung findet. Huberts festgefahrene Tagesabläufe brechen auch aus den aufgeräumten Anordnungen nicht raus, und Gijsemans hält die Schönheit in der Stasis mit gedeckten Farben und spärlicher Akzentuierung fest.
Kunst wird erst durch ein Festhalten und insofern durch ein Entrücken aus der Zeit zu etwas Greifbarem und Schönem. Das Leben selbst verhält sich konträr, es gelangt nur im unmittelbaren Moment zur Blüte. Der Comic formuliert diese Wahrheit wie im Nebenher, während man Hubert selbst als ein Zwitterwesen dieser Prämisse betrachtet. Man fiebert mit ihm, fiebert lange Zeit mehr als er. Und freut sich, dass am Ende dieser wunderbaren Comic-Entdeckung ein Fünkchen Hoffnung aufkeimt.
Man mag kaum glauben, dass ›Hubert‹ im Rahmen einer Masterarbeit entstand. Der in Brüssel lebende Ben Gijsemans ist 1989 geboren. Von ihm ist sicher noch viel zu erwarten. Ein weiterer Grund zur Freude? Hoffentlich!
Titelangaben
Ben Gijsemans: Hubert
Aus dem Niederländischen von Maria Holtrop und Edmund Jacoby
Berlin: Stuart & Jacoby
2016. 96 Seiten. 24 Euro
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