Sean Chuang: Meine 80er. Eine Jugend In Taiwan
Comiczeichner und Werbefilmer Sean Chuang blickt zurück: Der im Zürcher Verlag Chinabooks zweisprachig veröffentlichte Band ›Meine 80er. Eine Jugend In Taiwan‹ möchte anhand biographischer Comic-Episoden einem Lebensgefühl in einer Zeit des Umbruchs nachspüren. Von CHRISTIAN NEUBERT
Fremde Länder und Kulturen über Comics zu erschließen, erschöpft sich längst nicht mehr in lustigen Galliern. In den letzten Jahren haben Zeichner wie Joe Sacco, Emmaunuel Guibert und Guy Deslisle die sogenannte Comicreportage etabliert und auch hierzulande bekannt gemacht. Andere zeichnen anhand eigener oder fremder Biographien das Lebensgefühl einer Ära an einem bestimmten Fleck der Erde nach. In dieser Disziplin glänzten jüngst Künstler wie Julian Voloj und Claudia Ahlering, die die Story eines Gangleaders aufgriffen, um die Bronx der Siebziger abzubilden, oder Il Kunwu, der der chinesischen Tradition der sogenannten Lotusfüße nachspürt, indem er die Geschichte seines Kindermädchens erzählt.
Der taiwanesische Werbefilmer und Comiczeichner Sean Chuang verortet ›Meine 80er. Eine Jugend In Taiwan‹ in die gleiche Tradition. Er erzählt die Geschichte seiner Schulzeit um im gleichen Atemzug seine Heimat während eines gesellschaftlichen Umbruchs zu porträtieren. Taiwan emanzipierte sich seinerzeit nach und nach vom Kuomintang-Regime, öffnete sich in diesem Zuge freiheitlich-demokratischen Strukturen, hob schließlich anno 1987 das seit 40 Jahren bestehende Kriegsrecht auf. Gleichzeitig erlebte der ostasiatische Staat einen beispiellosen Wirtschaftsboom.
Ein Exempel für eine Lebenswirklichkeit?
In Sean Chuangs Comic ist all das jedoch weit weg. Kindheit und Jugend sind egozentrisch und maßlos, der Zeichner weiß das. Die soziokulturellen Eckpfeiler seiner Adoleszenz bilden entsprechend nicht der Kaohsiung-Vorfall oder die Einführung der Pressefreiheit, sondern Baseball, Kino und Breakdance, während Bruce Lee als Identifikationsfigur überragt. Und als die Taiwanesen die Geburtswehen der Unabhängigkeit erleben, werden für ihn lediglich die Fernsehbildschirme bunter und Statussymbole bedeutsamer.
Die in der Fixierung auf jugendliche Ichbezogenheit liegende Reduzierung der Ereignisse ist insofern ein Gewinn, als dass sie ein etwaiges überzogen-verqueres Taiwan-Bild verabschiedet. Sean Chuangs (erzählte) Geschichte unterscheidet sich nur marginal von der einer seiner Altersgenossen aus z.B. Südeuropa. Man muss lediglich spezifische Ausprägungen transkribieren, Baseball durch Fußball ersetzen. Der Autor als Exempel eines taiwanesischen Jungen weicht überhaupt dem des Jungen. Das jedoch schadet dem Comic: ›Meine 80er. Eine Jugend In Taiwan‹ ist auf eine Weise universell, die der vom Urheber im Vorwort forcierten historischen Verortung nicht gerecht wird. Sein geschichtliches Setting ist kaum von Belang.
Nun muss man den Wert des Historischen innerhalb einer Erzählung nicht überstrapazieren. Ein spannender Held, der eine packende Story vorantreibt, sollte an sich schon genügen. Doch auch auf dieser Seite kann es Sean Chuangs Geschichte nicht mit den Großen aufnehmen. Und auch nicht mit den Kleinen: Der Protagonist leistet weder Unerhörtes noch Erbärmliches, bedeutsame Konflikte bleiben aus, ebenso Triumph oder Demut, Erweckung oder Läuterung. Der Band lässt einen an heiteren, aber herkömmlichen Episoden einer Kindheit teilhaben, nicht mehr und nicht weniger. Auch als einfache Coming of Age-Geschichte gelesen bleibt er mager, denn sein Held wächst nicht nur nicht über sich hinaus: Er wächst fast gar nicht. Er bleibt Beobachter von Phänomenen und Geschehnissen, die kaum eine zeitgeschichtliche oder individuelle Einordnung und Bewertung erfahren. Lediglich zum Ende hin gewinnt der episodenhaft abgehandelte Comic an Fahrt, während gleichzeitig persönliche und gesellschaftliche Entwicklungen durchblitzen. Es bleibt zu hoffen, dass dieser Kurs im bereits angekündigten zweiten Band beibehalten wird. Vieles spricht jedoch dafür: Zum Ende des ersten ist Chuang erwachsener und reflektierter, sein Fokus schärfer und weiter.
Jugend im Fokus
Auf der grafischen Seite offenbart sich der Zeichner als eher untypischer Manhuajia. Während sich der Manga als Gattungsbegriff japanischer Comics international durchsetzen konnte, ist der Manhua, der chinesische Comic, der sich für europäische Augen bis auf die Leserichtung kaum von seinem japanischen Pendant unterscheidet, deutlich weniger bekannt. Chuang sticht hier mit seinem autobiographischen Band etwas heraus. Seine Outlines sind, obgleich präzise, vergleichsweise brüchig gezogen. Außerdem reichen seine stilisierten Figuren auch europäischen Funnies zur Ehre. Das passt: Die Zeichnungen atmen die Vitalität und die Ausbruchstimmung der Jugend, und Spaß steht bei allem im Vordergrund.
Es ist übrigens erst die Bildmontage, die den Band augenscheinlich zum Comic macht. Der erste Eindruck, die Geschichte sei Panel für Panel inszeniert, täuscht jedoch: Im Grunde ist ›Meine 80er. Eine Jugend In Taiwan‹ als Fließtext inszeniert. Die Zeichnungen haben vorwiegend eine illustrierende Rolle, auf die Erzählebene begeben sie sich selten. Ihr Auftrag ist entsprechend eher assoziativer Art. Blitzt da Chuangs Profession als Werbefilmer durch? Vielleicht. Ist das ein Problem? Keineswegs. Wenn der Comic krankt, dann an anderer Stelle. Doch auch wenn er seine Trümpfe lange zurückhält: Gegen Ende spielt er sie aus.
Eins noch zum Schluss: Der Band enthält den Comic in zwei Sprachen. Nacheinander ist er in deutsch und chinesisch aufgeführt. Insofern eignet er sich bestimmt gut als Lehrbuch.
Titelangaben
Sean Chuang: Meine 80er. Eine Jugend In Taiwan (zweisprachig Deutsch Chinesisch)
Aus dem Chinesischen von Marc Hermann
Zürich: Chinabooks 2015
380 Seiten. 16,00 Euro
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Reinschauen
| Leseprobe
| Sean Chuang im Pavillon Taiwan auf dem Comicfestival von Angoulême 2014