Comic | Scott McCloud: Der Bildhauer
Ist ›Der Bildhauer‹, Scott McClouds erste abgeschlossene Comic-Langerzählung das Meisterwerk, das man von einem Künstler seines Kalibers erwartet hatte? Oder steht der vor allem als Comic-Theoretiker berühmte Mann sich eventuell selbst im Weg? CHRISTIAN NEUBERT hat sich den dicken Comic-Brocken vorgenommen – und viel Gutes entdeckt. Zu viel.
Scott McCloud hat für ›Der Bildhauer‹, sein Debüt als Graphic Novelist, vom Besten gelernt: von sich. Seine drei bisher erschienenen Sachcomics zu Theorie, Methodik und Zukunft des Mediums bilden Speerspitzen im knappen Kanon der Comicwissenschaft. Selbst als Comics inszeniert, vermitteln sie die Wirkungsweisen von Comics unmittelbar einleuchtend und ungeahnt launig. Seine theoretischen Werke waren es, die den in Zeichner weltberühmt machten – auch, wenn seine Comicserie ›Zot!‹ und seine Superheldenparodie ›Destroy‹ einst diverse Awards einheimsten.
Inzwischen liegt McClouds erste Comic-Langerzählung in deutscher Übersetzung vor: ›Der Bildhauer‹ ist ein auf knapp 500 Seiten ausgetragener Pakt mit dem Teufel, der Mystery in ein Boy-meets-Girl-Schema bringt, Blicke in sensible Künstlerseelen und kulturindustrielle Abgründe riskiert, den Wert von Kunst und Liebe verhandelt sowie Mut zum Kalauer beweist. Ist solch ein Unterfangen nicht überambitioniert, dann stolziert es auf dem schmalen Grat zwischen Begabung, Kühnheit und Manie. ›Der Bildhauer‹ ist überambitioniert! Und begeht diesen Grat dennoch mit Stolz und voller Können.
Viel vorgenommen
McCloud exerziert in ›Der Bildhauer‹ trotz der Fülle seiner Einflussvielfalt leichtfüßig, was er in ›Comics richtig Lesen‹ offenlegte und in ›Comics Machen‹ propagierte – und erschafft mit seiner mäandernden, von klaren Linien umrissenen und seiner Bewunderung für Manga Ausdruck verleihenden Erzählung etwas, das man sich nur schwer außerhalb von Comics vorstellen kann.
›Der Bildhauer‹ hört auf den Allerweltsnamen David Smith und steht nicht besonders darauf, mit seinem berühmten Namensvetter – dem Bildhauer David Smith – verwechselt zu werden. Vom Schicksal gebeutelt, erscheint ihm der Tod, um einen Pakt anzubieten: Die Gabe, Materie mit seinen Händen beliebig formen zu können gegen den Preis des Ablebens in 200 Tagen. Dann erscheint ihm ein schöner Engel, der Hoffnung verspricht. David geht den Pakt ein. Und verliebt sich kurz darauf.
Vieles unter einem Hut
Wie McCloud gegensätzliche, sich fast schon widerstrebende Bezugsgrößen und Erzählansätze zu einer gelingenden narrativen Einheit bringt, ist kurzweilig und fantasievoll. Es zeigt aber auch, was genredefinierende Meisterwerke ihm voraus haben: Sie können sich in Verzicht üben, wenn es der Geschichte dient. McCloud dagegen wird bei aller Kunstfertigkeit das Dozieren nicht los.
Das Nebenher an ironischer Selbstbezugnahme, Zeitgeistkommentaren und Hobbyanthropologie konterkariert die zentrale Thematik, weswegen die Drastik des Unvermeidlichen oft Verschütt geht. Da leisten auch Tricks wie das Darstellen von Sprechblasen als räumlich bedrückende Bildelemente kaum Abhilfe. Die Konsequenz: ›Der Bildhauer‹ packt. Aber er reißt nicht vollends mit. »Ihr wollt, dass (Eure Leser) verstehen, was ihr zu sagen habt … und ihr wollt, dass es sie berührt«, erklärt McCloud in ›Comics Machen‹. Auf dem Weg vom guten Comic zu dem Meisterwerk, was man vom ihm erwartet hatte, scheitert ›Der Bildhauer‹ aufgrund seiner Redseligkeit an Letzterem. Würde er weniger sagen wollen, könnte er mehr berühren.
Titelangaben
Scott McCloud: Der Bildhauer
(The Sculptor). Aus dem Amerikanischen von Jan-Frederik Bandel
Carlsen: Hamburg 2015
496 Seiten. 34,99 Euro.
Reinschauen
| Homepage des Künstlers