Man lese und staune

Comic | Néjib: Stupor Mundi – Das Staunen der Welt

Néjibs Comic ›Stupor Mundi – Das Staunen der Welt‹ ist in luftigen, monochrom kolorierten Tuschestrichen zwischen Joann Sfar und Walter Moers festgehalten. Er inszeniert sich schnell als Historienthriller zwischen Umberto Eco und Dan Brown. Und ist ein großer Wurf. Ein ganz großer! Von CHRISTIAN NEUBERT

Nejib - Stupor mundiZu Beginn des dreizehnten Jahrhunderts bemüht sich Kaiser Friedrich II. im großen Stil um die Förderung der Wissenschaft: In Apulien hat er mit seinem gigantischen Castel del Monte einen freiheitlichen Hort des Forschens eingerichtet, eine Art interdisziplinären Think Tank des Mittelalters. Der christlicher Herrscher versammelt die großen Denker und Forscher seiner Zeit für regen Austausch und gegenseitige Inspiration, wovon alle profitieren sollen – auch der islamische Gelehrte Hannibal Qassim el Battuti. Mit seiner Tochter Houdeh und dem mysteriösen Diener El Ghul im Schlepptau reist er an, um seine epochemachende Erfindung fertigzustellen: Battuti hat den Prototypen einer frühen Fotoapparatur erfunden.

Bitte lächeln?

In Bagdad, wo er an seiner Methode forschte, Bilder festhalten zu können, stieß er seitens des Kalifats und der Imame auf heftige Ablehnung, weswegen er seine Abreise fluchtartig inszenieren musste – eine Stresssituation, bei der Houdeh ihre Gehfähigkeit verlor, weswegen sie fortan auf El Ghul als einer Mischung aus Kindergärtner und Trägersklave angewiesen ist.

Während sich Houdeh nun in Apulien mit Roger anfreundet, einem Jungen, der zur Enttäuschung seines Vaters offenbar nicht besonders zum Krieger taugt, arbeitet Battuti fieberhaft an seiner Erfindung – zum Wohlwollen Friedrichs II., der indessen schon weiterführende Pläne verfolgt: Er sieht in der Apparatur die Möglichkeit einer Aussöhnung mit Papst Innozenz IV. Doch auch im Castel gibt es vehemente Gegner von Battuti. Offenbar empfinden einige der versammelten Gelehrten seine Erfindung als Affront gegen das Wort Gottes.

Ein historisches, lose auf tatsächlichen Orten und Personen basierendes Setting als Kulisse eines zwischen Wissenschaft und Glaube schwelenden Krimidramas: Der in Tunesien geborene, in Paris lebende Comic-Künstler Néjib hat mit ›Stupor Mundi – Das Staunen der Welt‹ einen wunderbaren Comic geschaffen. Nicht umsonst wurde er 2016 vom Comicfestival in Angouleme für den Hauptpreis nominiert.

Fantasievoll und spannend

Nejib - Stupor mundi›Stupor Mundi – Das Staunen der Welt‹ ist in luftigen, monochrom kolorierten Tuschestrichen zwischen Joann Sfar und Walter Moers festgehalten und inszeniert sich schnell als Historienthriller zwischen Umberto Eco und Dan Brown. Seine fantasievolle, verschwörungsgeschwängerte Story bekommt dabei immer wieder unerwarteten Gegenwind, was für zusätzliche Spannung und Dynamik sorgt. Zum Beispiel, indem Houdeh als Erzählfigur manchmal außerhalb der dialogischen Struktur steht. Und, indem Néjib zugunsten narrativer Schwenks und Exkurse schon mal mit Genre-Codes bricht – geistreiche, sich direkt auf die Handlung beziehende Bonmots inklusive.

Néjib weiß mit seinen Zutaten vortrefflich umzugehen. An ›Stupor Mundi‹ ist nichts zu viel und nichts zu wenig. Wirklich ein großer Wurf.

| CHRISTIAN NEUBERT

Titelangaben
Néjib: Stupor Mundi – Das Staunen der Welt
Aus dem Französischen von Resel Rebiersch
Berlin: Schreiber & Leser 2017
288 Seiten. 29,95 Euro
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Reinschauen
| Künstlerporträt auf ARTE
| Leseprobe

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Vater der Powenzbande

Nächster Artikel

Brennende Flagshops, umhäkelte Laternen

Weitere Artikel der Kategorie »Comic«

Der Himmel voller Blut

Comic | John Arcudi / Peter Snejbjerg: A God Somewhere ›A God Somewhere‹ imaginiert schmerzhaft und eindrucksvoll, wie ein grenzenlos mächtiger Mensch zum Monster wird. Für TIM SLAGMAN erschlagen die drastischen Bilder aber die vielen leiseren Töne der Geschichte.

»Bilder, in denen Blut und Gehirn spritzen, interessieren mich nicht«

Comic | Interview mit Erik Kriek Der niederländische Comic-Künstler Erik Kriek stürzt sich gerne auf morbide, düstere Stoffe. 2013 brachte der Avant-Verlag seine Lovecraft-Adaptionen ›Vom Jenseits und andere Erzählungen‹ in deutscher Sprache heraus. Heuer hat er auf dem Comic Salon in Erlangen sein neues Werk vorgestellt: ›In The Pines – 5 Murder Ballads‹. CHRISTIAN NEUBERT unterhielt sich mit ihm – über seine Arbeitsweise, die Zeitlosigkeit von Horror und das, was dem Unheil vorausgeht.

Ein Superheld im Spiegel der Zeit

Comic | Batman Anthologie Die bei Panini veröffentlichte ›Batman Anthologie‹ leuchtet den Werdegang des Dunklen Ritters von seinen Anfangstagen bis ins Jahr 2013 aus. CHRISTIAN NEUBERT hat sich nie wirklich mit Superheldencomics auseinandergesetzt, nutzt nun aber die Chance, den Vigilanten durch seine bisher 75-jährige Karriere zu begleiten.

Gratis Comic Tag 2016

Comic | Gratis Comic Tag 2016 Einen Feiertag für Comic? Den gibt es! Mit dem »Gratis Comic Tag«! Er findet diesen Samstag statt, also am 14. Mai – bei allen teilnehmenden Händlern. Sein Name ist dabei Programm: Einschlägige Verlage drucken spezielle Verschenk-Exemplare ihrer Erzeugnisse. 17 Verlage sind in diesem Jahr beteiligt, insgesamt winken 34 Gratis-Comic-Hefte.

Vom Kongo zur Elfenbeinküste

Comic | C.Perrissin/T.Tirabosco: Kongo / M.Abouet, C.Oubriere: Aya Die Comicalben ›Kongo‹ (avant) und ›Aya‹ (Reprodukt) laden ein zu einer Entdeckungsreise nach Afrika. Anlass für BORIS KUNZ, sich ein wenig Gedanken darüber zu machen, was für ein Bild des »schwarzen Kontinents« dem Comicleser so vermittelt wird.