Criminal Minded

Comic | Ed Brubaker, Sean Phillips: Criminal

Straßendreck und Neonlicht: Mit ›Criminal‹ schufen Ed Brubaker und Sean Philips eine der stärksten Krimireihen der Comic-Geschichte. Bei Schreiber & Leser erschien nun der erste Sammelband einer prächtig ausgestatteten Deluxe Edition in deutscher Übersetzung. Von CHRISTIAN NEUBERT

Menschen aus dem Gangstermilieu, ein Mann mit Baseballschläger, Kriminelle mit Tiermasken und ein Boxer. Dazu ein Auto, das von der Polizei verfolgt wird.Autor Ed Brubaker und Zeichner Sean Phillips gehören zu besten ihrer Zunft, wie es heißt. Gerade als Team seien sie Weltklasse. Von Comic-Kennern frenetisch gefeiert, schufen sie eine Vielzahl eigenständiger Titel, die sich abseits ihrer Arbeiten für die großen US-Verlage Marvel und DC auf dem alternativen Comic-Markt behaupten und dabei ein Glanzlicht nach dem anderen setzen würden.

Sätze wie diese habe ich in den letzten Jahren des Öfteren gehört. Von befreundeten Comiclesern, die mir immer wieder die Werke des Duos empfahlen – allen voran die mit drei Eisner-Awards prämierte Noir-Reihe ›Criminal‹. Nur: Gelesen habe ich sie nie. Bis jetzt. Denn bei Schreiber & Leser erschien jüngst der erste Band einer prächtig ausgestatteten Neuausgabe in deutscher Sprache. Ich habe ihn buchstäblich verschlungen, inklusive des Bonusmaterials, das neben der Cover Galerie den bisher unveröffentlichten »Trailer« zur Serie sowie den Kurzkrimi ›Umsonst ist der Tod‹ beinhaltet. Und muss jetzt, nach wie vor atemlos, sagen: Ja, Autor Ed Brubaker und Zeichner Sean Phillips gehören zu besten ihrer Zunft. Gerade als Team sind sie Weltklasse. ›Criminal‹ belegt das zweifellos.

Wiederholungstäter

Der dicke neue Sammelband packt die ersten drei US-Paperbacks der seit 2006 erscheinenden Serie zwischen zwei Hardcover-Buchdeckel: ›Feigling‹, ›Blutsbande‹ und ›Grabgesang‹. Abgeschlossene Storys über Gangster und Gauner, Kleinganoven und Berufsverbrecher, Trinker und Kriegsheimkehrer, Ex-Boxer und Femme Fatales. Menschen am Rande der Gesellschaft, Wiederholungstäter, die sich mit krummen Dingern über Wasser halten – und scheitern. Am Milieu, den Umständen, sich selbst. Die Straßen, die sie einen, kennen kein Happy End. Was es stattdessen gibt: Schmerz, Wahnsinn, Trauer, Tod.

Zugegeben: Das klingt abgedroschen, nach Klischee, Schund und Schema F. Und ja: Natürlich steht der Sammelband knietief im Pulp, während er sich unverhohlen auf die üblichen Ingredienzien des Crime Noir besinnt. Aber: Brubaker erzählt mit Tiefe, Tempo und Drama. Die Messlatte seiner eigenen Anspruchshaltung liegt hoch. Er webt komplexe Handlungsbögen, spannend und wendungsreich, kalt und hart.

In Szene gesetzt von Sean Philips, der den rauen Stoff in rohe, kantige Bilder packt, und koloriert von Val Staples, der das schattige Beton-Elend in monochromer Tristesse funkeln lässt, schafft das abgeschlossene Krimi-Kleinodien unterschiedlicher Länge. Sie avancierten vollkommen zurecht zu Comic-Klassikern – und tun das noch heute: ›The Knives‹, die letzte Erzählung der Reihe, erschien jüngst beim US-Verlag Image. Zusammengenommen bilden sie einen ganzen Erzählkosmos, der die Schicksale der einzelnen Protagonisten verknüpft und in Beziehung setzt. Weswegen ich nun auch schon dem nächsten Sammelband entgegenfiebere: Im Januar 2026 soll er erscheinen.

Schonungsloser Realismus

›Criminal‹ setzt auf einen schonungslosen Realismus abseits cooler Gangster-Posen, der beispielsweise auch Nicolas Winding-Refns filmische ›Pusher‹-Trilogie besonders macht. Für das Drehbuch der Amazon-Prime-Miniserie ›Too Old to die young‹ arbeiteten Brubaker und Winding-Refn erstmals zusammen. Nun steht die Serienadaption von ›Criminal‹ in den Startlöchern. Brubaker selbst agiert neben Jordan Harper als Showrunner, die Besetzungsliste führt Namen wie Charlie Hunman (›Sons of Anarchy‹) und Emilia Clarke (›Game of Thrones‹) auf. Mal sehen, wie das so wird. Doch auch, wenn die Adaption das ganz große Ding werden sollte – ich bin mir sicher: Die besondere Qualität und die schiere Güte ihrer Comic-Vorlage wird die TV-Serie nicht erreichen.

| CHRISTIAN NEUBERT

Titelangaben
Ed Brubaker (Text) / Sean Phillips (Zeichnungen): Criminal
Aus dem Englischen von Bernd Kronsbein und Resel Rebiersch
Hamburg: Schreiber & Leser 2025
432 Seiten, 49,80 Euro
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Reinschauen
| ›Criminal‹ im Schreiber & Leser Magazin

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Sätze wie Schreie

Nächster Artikel

»Vorne einen Russlandwimpel und hinten Stars and Stripes«

Weitere Artikel der Kategorie »Comic«

Neuigkeiten aus der Zukunft

Comic | Saga Drei / Waisen 3. Der Mann mit dem Gewehr / Aâma 1. Der Geruch von heißem Staub Hat das Genre der Science-Fiction eigentlich vor Fantasy und Zombies, vor Vampiren und Werwölfen kapituliert, oder hat es dem Leser auch heute noch etwas Neues zu bieten? BORIS KUNZ hat sich die drei meistgelobten aktuellen Science Fiction-Comicserien der letzten Zeit angesehen, um dieser Frage nachzugehen.

»Fort, fort von zu Hause«

Jugendbuch | Jurga Vilé: Sibiro Haiku

Der dreizehnjährige Algis, genannt Algiukas, aus Litauen wird 1941 mit seiner Mutter und seiner Schwester in ein sibirisches Lager gebracht. In einer Graphic Novel berichtet seine Tochter von dieser wahren Geschichte. Von ANDREA WANNER

Blusenwunder

Comic | Bastien Vivès: Die Bluse Comic-Künstler Bastien Vivès macht eine Binsenweisheit zum Comic-Stoff. In ›Die Bluse‹ entfacht das titelgebende Kleidungsstück den Sex-Appeal eines Mauerblümchens und macht diesen zum Motor seiner Handlung – ohne den gleichnamigen, bei Reprodukt erschienenen Band zur Sexploitation-Klamotte verkommen zu lassen. Von CHRISTIAN NEUBERT

Anarchie in den Ardennen

Comic | Nicolas Debon: Essai Mit aquarellartigen Bildern zeichnet der in Kanada lebende Comic-Künstler Nicolas Debon den Weg des französischen Anarchisten Fortuné Henry nach, der um 1900 die Utopie eines idealen sozialen Konstrukts Wirklichkeit werden lassen wollte – mit dem Spaten, nicht mit dem Gewehr. Von CHRISTIAN NEUBERT

Aus dem Leben eines Vortragsreisenden

Comic | J. Ottaviani/L. Myrick: Feynman – Ein Leben auf dem Quantensprung Der Physiknobelpreisträger Richard Feynman war zweifelsohne eine faszinierende Persönlichkeit, berühmt für seine unkonventionelle Art zu denken und für lebendige Vorträge, die auch den Laien die komplexen Zusammenhänge der Quantenelektrodynamik näherbringen konnten. Die Comicbiographie ›Feynman – ein Leben auf dem Quantensprung‹ von Jim Ottaviani und Leland Myrick versucht, diese Faszination auch beim Leser zu erzeugen, doch für BORIS KUNZ blieb vieles unverständlich.