Dominant, feministisch, menschlich. Die Sexworkerin Dasa Hink gibt in der bei avant veröffentlichten Graphic Novel ›Hinterhof‹ Einblicke in ihren Beruf als Domina in Berlin. Doch statt spicy Storys aus dunklen Dungeons mit verruchten Sexpartys gibt es die nackte Realität: das menschliche Miteinander abseits der sexuellen Norm und die Begegnungen auf Augenhöhe. Von JULIA JAKOB
Der Job als Kellnerin ist anstrengend und schlecht bezahlt, der Partner will das gutbürgerliche Familienleben in der Kleinstadt. Dasa möchte jedoch etwas Anderes, Aufregenderes – mehr vom Leben, als die Kleinstadt zu bieten hat. Sie trennt sich und zieht nach Berlin, um in der Großstadt neu anzufangen. Durch Zufall sieht sie in der Zeitung eine Jobanzeige eines Domina-Studios – im Hinterhof. Selbstbestimmt arbeiten, Grenzen selbst setzen, kein Sex. Dasa ist neugierig, wobei sie bis dahin noch nie eine dominante Rolle in einer Beziehung eingenommen hat – geschweige denn jemandem absichtlich wehgetan. Doch als sie es ausprobiert, beginnt es ihr Spaß zu machen und sie bleibt dabei.
Dasa berichtet aus ihrem Berufsalltag. Wer kommt eigentlich in so ein BDSM-Studio? Was wird dort angeboten? Ist das nicht alles total verrucht, illegal, schmuddelig, pervers, vulgär, überzogen, krank, unseriös, menschenverachtend? Nein.
Zwanglos und jenseits gängiger Klischees
Die Erzählung beginnt mit dem ersten Treffen zwischen ihr und einem neuen Kunden. Statt sich sofort vor ihr in den Staub zu werfen, halten die beiden einen kurzen Smalltalk und reden anschließend darüber, was sie heute zusammen machen wollen. Dasa ist nicht das wandelnde Klischee der strengen Leder-Domina, die alte Männer in die Knie zwingt und diese stundenlang auspeitscht. Direkt zu Anfang wird klar, dass dieses BDSM so viel mehr sein kann als perverse Sexspielchen. In erster Linie ist Dasa eine Dienstleisterin. Sie hat jahrelange Erfahrung darin, die Fantasien ihrer Kund*innen, meistens Männer, in einem geschützten Rahmen umzusetzen. Safe, sane, consensual – sicher, mit Bedacht, einvernehmlich.
Dasa feiert ihre Kund*innen. Sie bewundert den Mut, sich gegen gesellschaftliche Konventionen zu stellen und der eigenen Sexualität hinzugeben, loszulassen. Gleichzeitig fühlt sie sich empowered, wenn sie in eines ihrer vielen Outfits schlüpft, sich hohe Schuhe anzieht und in eine dominante Rolle treten darf. Sie kann Kunden*in und sich selbst spielerisch erforschen, Genuss bringen, geben, nehmen und befreien. Denn Schmerz kann eine Rolle einnehmen, muss er jedoch nicht. Fetische sieht sie nicht als Einschränkung, sondern als eine Superpower, die eine Befriedigung garantieren, wenn die anerzogene Scham erst überwunden ist. Sexualität ist fast immer Kopfsache, die Berührungen nur ein Katalysator.
Kundentypen und Sexualpraktiken
Dasa erzählt von ihren Erfahrungen im Beruf, verschiedenen Kundentypen, BDSM- und Sexualpraktiken und was sie daran fasziniert. Dabei geht es vor allem um die Empfindungen und das zwischenmenschliche Spiel. Sie erzählt darüber, welche Motivationen es geben kann, zu einer Domina zu gehen – ein Ausgleich, eine Form der Self-Care, ein Ausbrechen aus dem Alltag, das Abenteuer, das Ausleben dieser einen Sexfantasie, von der niemand erfahren darf, das Ausweinen an einer starken Schulter.
Der Job als Domina hat Dasa für vieles geöffnet. Sie hat die Polygamie für sich entdeckt, von der sie vor Berlin nicht einmal wusste. Sie ist offen für den erotischen Porno als Kunstform geworden und feiert die vielen, kreativen Möglichkeiten, die eine offene Darstellung von Nacktheit und Sexualität bietet. Auch ist ihr Job vereinbar mit ihrer eigenen Kunst, dem Songschreiben und Singen in einer Band. Hierbei inspiriert sie ihre Arbeit und der Wunsch, eine Botschaft zu vermitteln.
Aufklärend, nicht pornografisch
Dasa definiert sich als Domina, ihren Beruf als Teil der Prostitution in Berlin, denn sie ist auch als solche gewerblich gemeldet. Auch wenn nicht alle Feminist*innen Sexwork fördern, so sieht sie ihren Beruf als mit dem Feminismus vereinbar. Sie bietet zwar sexuelle Dienstleistungen an, jedoch nach ihren Vorstellungen – kein penetrativer Sex, klare Grenzen, Selbstbestimmung. Den Begriff der Sexworker*in oder Prostituierten empfindet sie als deskriptiv und plädiert für eine positive Wiederaneignung des Begriffs: »Ich bin Prostituierte, und ich schäme mich nicht dafür.«
Wer interessiert an den Themen BDSM und Sexwork ist, der wird mit dieser Graphic Novel viel Spaß haben. Sie feiert die individuelle Vielfalt von Sexualität und stellt sie menschlich dar. Nacktheit sowie sexuelle Praktiken werden stilisiert, nicht detailliert dargestellt. Das Buch ist aufklärend, nicht pornografisch. Ich empfehle die Graphic Novel ab 16 Jahren.
Titelangaben
Anna Rakhmanko (Text) / Mikkel Sommer: Hinterhof
Aus dem Dänischen von Katharina Erben
Berlin: Avant-Verlag 2022
128 Seiten, 20 Euro
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