Eine Geschichte ist das nicht, was hier zwischen den Buchdeckeln lauert, keine Spannung, keine Gänsehaut, kein gutes Ende. Halt, kein gutes Ende? Na ja, vielleicht ja doch. Es ist schon »besonders«, dieses kleine Buch. BARBARA WEGMANN stellt es vor.
»Lesen ist doof, weil der Anfang immer so schwierig ist«, »Lesen ist doof, weil es so anstrengend ist«, oder »Lesen ist doof, weil es so überflüssig ist«. Ja, was ist das denn? Es ist ein Buch mit lauten Meinungen, mit Meinungen all derer, die Lesen offenbar doof finden. Eine Stellungnahme und jeweils eine Illustration dazu.
Das ist schon eine witzige Buchidee, die Nils Freytag und Silke Schlichtmann hatten. Die beiden leben mit ihren Kindern in der Nähe von München und ein Trost vielleicht vorweg: Nils Freytag findet eigenem Bekunden nach »Lesen nur selten doof«. Das beruhigt ja schon einmal.
Insgesamt 20 Ansichten und zwar immer dieselbe: Lesen ist doof: »… weil es so langweilig ist«, »… weil Bücher echt nicht schmecken«. Ansichten, die von Seite zu Seite zunächst verwirren, aber dann plötzlich auch zum Widerspruch anregen. Wenn Lesen wirklich »doof« ist, weil man es noch nicht kann, klare Sache, das motiviert, es bald zu lernen. Und wenn Lesen »doof ist«, weil es »das alles gar nicht gibt«, dann ist das noch längst kein Argument dafür, das Buch zur Seite zu legen, ganz im Gegenteil, denn da beginnt die wunderbare Fantasie und in der Fantasiewelt gibt es einfach alles.
Beeindruckt hat mich besonders das Statement, dass Lesen »doof« sei, weil alle es so komisch fänden. Auf dem Bild sieht man viele Kinder in einem Schulbus, alle haben ihr Handy in der Hand, nur ein Schüler liest ein Buch. Viele der Kinder zeigen mit dem Finger auf den lesenden Mitschüler. Ein Bild, das ziemlich realistisch ein Problem unserer Zeit deutlich macht. Jeder läuft nur noch mit dem Hany in der Hand herum, sieht nicht nach rechts, nicht nach links und scheint einen kleinen Jungen mit einem Buch in der Hand plötzlich auszugrenzen, weil er ja nicht wie sie alle auf ein Handy starrt.
Was die kleinen Leserinnen und Leser zu Zustimmung und Lachen, zu Widerspruch, Entgegnungen und Protest motivieren wird, das hat für die großen noch einen ganz anderen Stellenwert: die Sammlung der Illustrationen zu jedem Statement stammt nämlich von bekannten Illustratorinnen und Illustratoren. Cornelia Funke ist da beispielsweise, die mit »Tintenherz« Millionen Kinderherzen verzauberte. Da ist Daniela Kulot, deren Geschichten auch schon für das Sandmännchen produziert wurden, oder da sind die beiden »Anstifter« zu diesem besonderen Büchlein, Nils Freytag und Silke Schlichtmann: viele Bücher und viele Preise, dazu 2019 für Silke Schlichtmann auch die Auszeichnung zur »Lesekünstlerin des Jahres«.
Ganz unterschiedliche Illustrationen von unterschiedlichen Künstlern, und manchmal erkennt man sie an ihrem Stil, an ihrer Art zu verzaubern und manchmal fallen die Bilder auch regelrecht auf, weil sie so gar nicht zu dem Statement passen wollen. Ist Lesen vielleicht also doch gar nicht so doof?
So wird das kleine Büchlein auch zu einer Sammlung namhafter Illustratoren, die sich der Idee anschlossen und Pate standen für je eine Seite, beziehungsweise je ein Statement.
»Lesen ist doof«, das fordert geradezu heraus zu einer eigenen Stellungnahme, zu einer eigenen Beurteilung, das wäre spannend, die einmal zu hören … Und schließlich liegt da zwischen den Buchdeckeln dann doch etwas sehr Spannendes, keine Geschichte, aber kleine Leser werden bestimmt für sich herausfinden, warum Lesen alles andere als doof ist. Mein Favorit wäre die Seite mit dem Statement: »Lesen ist doof, weil es so schnell zu Ende geht.« Oh ja, das stimmt bei den allermeisten Büchern.
Titelangaben
Nils Freytag & Silke Schlichtmann: Lesen ist doof
München: Hanser 2023
48 Seiten, 15 Euro
Kinderbuch ab 6 Jahren
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