Geduld, »Munyal!«, ist es, was man den muslimischen Frauen im nördlichen Kamerun mit auf den Lebensweg gibt. Es durchzieht ihre kurze Kindheit, ehe sie, immer noch junge Mädchen, von ihren Vätern verheiratet werden. An Männer, die oft so alt sind wie ihr Vater, die taktisch klug gewählte Geschäftspartner sind oder auch gewalttätige Trunkenbolde. Geduld fordert man von ihnen, egal, ob sie die erste Frau oder die zweite, dritte, vierte in polygamen Ehen sind, Geduld, egal was geschieht. Von ANDREA WANNER
Djaïli Amadou Amals Roman über drei ungeduldige Frauen, deren Schicksale miteinander verbunden sind, erschien im vergangenen Jahr in der Reihe »afrika bewegt«. Dem Text vorangestellt ist ein kurzer Satz: »Diese Geschichte ist eine Fiktion nach wahren Begebenheiten« und was man da liest, ist so unbeschreiblich entsetzlich, dass man es kaum aushält. Die drei Geschichten von Ramla, Hindou und Safira sind ganz unterschiedlich und gleichen sich dennoch: Sie zeigen die Rechtlosigkeit der Frauen in einer der furchtbarsten Männerherrschaften, die man sich vorstellen kann. Rechtlos und komplett vom Ehemann abhängig kann der mit seiner Frau machen, was er will. Treibt er es zu bunt wie etwa Moubarak, der Cousin Hindous, mit dem sie verheiratet wird, nachdem er ein Dienstmädchen im elterlichen Haus vergewaltigt hat, wird er milde ermahnt. Gefällt ihm eine Frau nicht mehr, hat er immer noch die Möglichkeit, sie zu verstoßen. Die verheiratete Frau dagegen ist ihrem Mann auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.
Konsequent aus der Perspektive der beiden jungen Mädchen und der jungen Frau erzählt, wird das Unausweichliche, das Unentrinnbare dieser Frauenschicksale spürbar. Nein, wir befinden uns nicht im finsteren Mittelalter. Aber hier und heute werden Frauen noch immer wie Sklavinnen ohne eigene Bedürfnisse und Wünsche, ohne eigenes Leben und ohne eigene Interessen behandelt. Dabei hat Ramla ihr Abitur bestanden und wollte studieren. Apothekerin zu werden, war ihr Traum. Und der Ehe mit einem jungen Mann, einem Freund ihres Bruders, der ihr durch viele Gespräche vertraut war, hatte sie auch zugestimmt. Aber dann entscheidet der wohlhabende Onkel anders, der Vater fügt sich und übergibt seine Tochter als Zweitfrau einem Mann in den Fünfzigern. Alle Träume platzen, alle Hoffnung ist dahin. Und Safira, die Erstfrau, der die letzte Geschichte gewidmet ist, erweist sich als intrigante Gegnerin. Aber auch sie ist Opfer eines Systems, in dem die Rolle der Frau schlichtweg unglaublich und inakzeptabel ist.
Die Autorin und Menschenrechtsaktivistin Djaïli Amadou Amal wurde selbst mit 17 Jahren zwangsverheiratet. 2012 gründete sie die Vereinigung »Femmes du Sahel«, die sich für die Bildung von Mädchen und jungen Frauen engagiert und Bibliotheken ausstattet. Lesen und Literatur hätten ihr Leben gerettet, sagt sie und will versuchen, so das Leben vieler Frauen zu retten. Ihr Roman wurde 2019 mit dem Prix Orange du Livre en Afrique ausgezeichnet und 2020 mit dem Prix Goncourt des Lycéens. Jetzt hat die Jugendjury ihn für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert. Eine gute Wahl, denn wie Le Monde schreibt, wird hier »die Literatur zur Waffe für Frauen in der Sahelzone«. Ein Buch, dem man viele Leser:innen wünscht.
Titelangaben
Djaïli Amadou Amal: Die ungeduldigen Frauen
(Les Impatientes, 2020). Aus dem Französischen von Ela zum Winkel
Berlin: Orlanda 2022
176 Seiten, 18 Euro
Jugendbuch ab 16 Jahren
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