Mister Wonderful und die Liebe

Comic | Daniel Clowes: Mister Wonderful

›Mister Wonderful‹ heißt Marshall mit Vornamen und steckt am Ende seiner Midlife-Crisis. Comic-Künstler Daniel Clowes schickt den verschrobenen Kauz zu einem Blind Date – und lässt seine Leser herzklopfend mitfiebern. Von CHRISTIAN NEUBERT

Daniel Clowes - Mister WonderfulDer US-amerikanische Comic-Künstler Daniel Clowes kann gut mit verschrobenen Typen umgehen. Die Hauptfiguren seiner Arbeiten, so unterschiedlich sie auch sind, belegen das allesamt. Egal, ob sie sich als Antiheld in den alptraumhaft-entrückten Comic-Wahnwelten von ›David Boring‹ oder ›Wie ein samtener Handschuh in eisernen Fesseln‹ behaupten, die Vorstädte von ›Ghost World‹ bevölkern, an den ›Todesstrahl‹ geraten oder – siehe ›Wilson‹, dessen Verfilmung nächstes Jahr ins Kino kommt – als egomanisch-dysfunktionale Altersgrantler ihren Mitmenschen auf den Sack gehen.

›Mister Wonderful‹, der nun in deutscher Übersetzung vorliegt, ist so ein Typ wie Wilson, wenngleich auch weniger Arschloch. Genau genommen ist er gar kein Arschloch. Er ist einfach ein Abgehängter, ein Zweifler und Grübler ohne Selbstvertrauen und Perspektiven. Natürlich sind das nicht die besten Voraussetzungen für ein Blind Date. Dabei steht ihm eines unmittelbar bevor. Ohgottohgottohgott …

Verloren Beim Blind Date

Daniel Clowes - Mister WonderfulDie Frau, die sich im vorstellt, ist eigentlich viel zu hübsch für einen Loser wie ihn. So denkt er, und so verhält er sich. Ständig stellt er sich und sein Verhalten infrage, grübelt permanent über die richtigen Worte – mit der Konsequenz, nicht mehr zuhören zu können und den Faden zu verlieren. In solchen Situationen gehen ihm gerne mal die inneren Wildpferde durch. Marshall ist nicht nur neurotisch, sondern auch cholerisch. Ein Typ, der Katastrophen nur so anzieht.

So scheint das Date nun nicht eben glücklich zu enden. Es ist weit von dem entfernt, wie Marshalls Wunschträume es vorsehen. Dann jedoch spielt ihm der Zufall in die Hände. Zumal auch Natalie selbst ihre verschrobenen Macken hat, wie man bald erkennt.

›Mister Wonderful‹ erschien ursprünglich als Fortsetzungsgeschichte im ›The New York Times Magazin‹ – in einem Breitwandformat à la Cinemascope. Die schmalen Comicseiten mindern dabei nicht den optischen Eindruck, ›Mister Wonderful‹ sieht blendend aus. Daniel Clowes ist, neben Künstlern wie Chris Ware, Seth oder Adrian Tomine, einer der vorherrschenden nordamerikanischen Vertreter der Ligne Claire – jenem von Hergé etablierten Stil, der auf klar umrissene Figuren setzt, einhergehend mit einem vereinfacht-abstrahierten Look.

Präzision in Wort und Bild

Gemäß des Comic-Theoretikers Scott McCloud würde sich die klare Linie besonders gut eignen, um sich als Leser mit den gezeichneten Figuren identifizieren zu können. Bestimmt hat er damit recht. Für eine gelungene Identifikation, die einen mitfiebern, mitleiden, mithoffen lässt, sorgt Clowes jedoch nicht nur mittels präzisem Strich: Er leistet das auch über den Textinhalt. Mit Worten begegnet Clowes seinen Figuren ebenso behutsam wie mit dem Zeichenstift – wenngleich sein ›Mister Wonderful‹ stets an Dialogen scheitet, weil seine Aufmerksamkeit sich innerhalb seiner inneren Monologe erschöpft.

Daniel Clowes - Mister WonderfulDa werden Natalies Sprech- von Marshalls Gedankenblasen schon mal überlagert oder einfach aus dem Bild geschoben. Wenn nicht sogar eine Inkarnation seiner inneren Stimme selbst mit Marshall in Dialog tritt.

Clowes hat viele gute Ideen, wenn es darum geht, Marshall ohne viel Aufhebens oder Erklärungen als spleenig-verkopften Kerl darzustellen. Überhaupt hat Clowes ein feines Gespür für seine Charaktere. Dass das nicht nur gute Comics, sondern überhaupt gute Geschichten ausmacht, ist kein Geheimnis, aber etwas, das man beherrschen muss. Und Daniel Clowes? Ist diesbezüglich selbst ein Mister Wonderful. Sein Comic berührt und lässt schmunzeln und findet dabei immer das richtige Maß.

| CHRISTIAN NEUBERT

Titelangaben
Daniel Clowes: Mister Wonderful
Aus dem Amerikanischen von Heinrich Anders
Berlin: Reprodukt 2015
80 Seiten. 24 Euro
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Reinschauen
| Homepage des Künstlers
| Blog des Künstlers
| Daniel Clowes bei Reprodukt

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Ende der Schonzeit

Nächster Artikel

Folkdays aren’t over… »Schwarzes Gold« und das Plattenlabel ›Folkways‹

Weitere Artikel der Kategorie »Comic«

Die Novelle des Grafikers

Comic | Hans Hillmann: Fliegenpapier Der Grafiker Hans Hillmann hat sich 1975 an eine ambitionierte Umsetzung einer Kurzgeschichte von Dashiell Hammett gewagt. Seine Illustrationen beeindrucken auf jeder einzelnen Seite – und regen auch nach über 30 Jahren zum Nachdenken über die Stärken und Schwächen rein visuellen Erzählens an. BORIS KUNZ über den Prototypen einer Graphic Novel.

Mein Zielpublikum bin ich

Comic | ICSE 2016 Spezial: Interview mit Ville Tietäväinen und Marko Juntunen Auch auf dem diesjährigen Comicsalon waren aktuelle politische Entwicklungen ein Thema – und damit nicht zuletzt die Flüchtlingskrise. Zu einem entsprechenden Podiumsgespräch war auch Ville Tietäväinen erschienen, ein finnischer Autor und Zeichner, der bereits vor einigen Jahren mit seiner grandiosen Schilderung eines Migrantenschicksals in ›Unsichtbare Hände‹ für Furore gesorgt hat. Auch wenn kein aktuelles Album von ihm vorliegt, war das für BORIS KUNZ Anlass genug für ein ausführliches Gespräch.

Der Hochglanzblitz

Comic | Flash-Anthologie. 75 Jahre Abenteuer im Zeitraffer Passend zum neuen Kinofilm ›Justice League‹, einem Bund der DC-Superhelden, hat der Panini-Verlag eine dicke Anthologie zu einem der an der Liga beteiligten Helden herausgebracht – nämlich zu Flash. PHILIP J. DINGELDEY hat sich den Band angesehen – und zwar nicht im Zeitraffer!

Was machen wir mit Hit-Girl?

Comic | Mark Millar (Text), John Romita, Jr. (Zeichnungen): Kick-Ass: Hit-Girl Für seine Superheldenparodie Kick- Ass hat sich Mark Millar vor einigen Jahren die Figur »Hit-Girl« ausgedacht: Ein kleines Mädchen, das in einem Kostüm herumläuft und Gangstern mit dem Samuraischwert zu Leibe rückt. Als diese Figur 2010 in der gleichnamigen Verfilmung von der damals 13 Jahre alten Schauspielerin Chloë Grace Moretz verkörpert wurde, war das die heimliche Sensation des Films. Comic und Film versuchen nun, das Phänomen Hit-Girl weiter auszuschlachten. BORIS KUNZ hat den Kick-Ass Sonderband Hit-Girl gelesen – und seine Zweifel.

Illustrierte Gedankenspiele

Comic | Fábio Moon & Gabriel Bá: De:Tales Nach ihrer gefeierten Graphic Novel Daytripper hat sich BORIS KUNZ nun auch dem Frühwerk des brasilianischen Zwillingsbrüderpaares Gabriel Bá und Fábio Moon angenommen: De:Tales, eine Kurzgeschichtensammlung nach ganz ähnlichem Rezept. Die beiden vermischen Alltägliches mit einer Prise Übersinnlichem und suchen nach jenen unscheinbaren Augenblicken im Leben, denen die Magie eines Schicksalsmoments innewohnt. Das Ergebnis ist ebenfalls teils magisch, teils eher banal.