Comic | Suskas Lötzerich: Hexenblut
Ein bewegtes Leben im Rückspiegel eines rasanten Comic-Vehikels: ›Hexenblut‹ hangelt sich episodenhaft durch das bewegte Leben des intersexuell geborenen Suskas Lötzerich. CHRISTIAN NEUBERT hat ihn während der rastlosen Suche nach seiner Identität begleitet.
Wer sich in den vergangenen Jahren auch in den Outskirts der hiesigen Comic-Landschaft umgesehen hat, dürfte unweigerlich auf Andi Liriums Debütwerk ›Punkrock Heartland‹ gestoßen sein. Der Männerschwarm Verlag verlieh dem ambitionierten, mit autobiografischen Elementen spielenden Werk eine Label-Heimat. Andi Lirium stellte sich dort als Exot in einer Randgruppe vor: als schwuler Comiczeichner mit Wurzeln im Straßenpunk.
Mit ›Hexenblut‹, seinem neuen Werk, ist er nun beim Wiener Luftschacht Verlag untergekommen. Auch dieser Band zeigt sich im erhellenden Lichte autobiografischen Erzählens: Unter seinem Klarnamen Suskas Lötzerich rekonstruiert der junge Hamburger Zeichner sein bewegtes Leben bis zu seinem 31. Lebensjahr.
Ein Exot in einer Randgruppe
Eines vorweg: Hintersinnig durchkomponierte Seitenlayouts oder detailvoll-filigrane Illustrationen sind Lötzerichs Sache nicht. Der Hamburger schraubt auch beim Zeichnen seine Punk-Attitüde nicht runter. Die sprichwörtlichen drei Akkorde und die Geschwindigkeit des Punkrock schlagen sich in einem unmittelbaren, direkten Erzählfluss nieder, der ohne Umschweife zur Sache kommt. Das Ergebnis ist daher nicht gerade künstlerisch, aber aufgrund seiner Rohheit und seines Muts zur pointierten Zuspitzung auch weit davon entfernt, künstlich zu wirken. Und: Im Gegensatz zu nicht wenigen Illustratoren, die sich im autobiografischen Erzählen üben, hat Lötzerich tatsächlich was zu erzählen.
Bevor er zu dem homosexuellen Mann wurde, als der er sich in seinem Comic-Debüt offenbarte, erzählt er in ›Hexenblut‹ nun von den drei Dekaden zwischen seiner Geburt und seinem ersten öffentlichen Auftritt auf dem Comic-Salon 2010. »Ich werde der berühmteste Comiczeichner der Welt«, sagt er da. »Und niemand wird jemals erfahren, dass ich mal ein Mädchen war!«
Vom Suchen und Finden der Identität
Richtig gelesen: Suskas Lötzerich war einmal ein Mädchen. Davor war er – zumindest einen Tag lang – ein Junge. Bei seiner Geburt wurde er als männlich klassifiziert. Das hört sich zugegeben sehr klinisch und wissenschaftlich an. Doch mit eben diesem klinisch-kalten Blick wurde ihm am zweiten Tag nach seiner Geburt seine vermeintliche Fehlbildung kastriert. »Nur ein kleiner Schnitt«, äußerte sich der Arzt gegenüber der Stationsschwester. Ein kleiner Schnitt, dessen Nachhall sich noch heute, in der Gegenwart, auf Lötzerichs Leben auswirkt.
Lötzerich lässt seine Leser sehr konzentriert an seinem bewegten Leben teilhaben. Die kraftvollen Zeichnungen zeigen kaum Details in den wenigen Graustufen, der Fokus ist stets auf die wenigen Handlungsträger gerichtet. Rasant und episodenhaft hangelt er sich von den Tagen, in denen seiner Mutter das Blut seiner Kastrationswunde als sogenanntes Hexenblut, als »sowas wie die erste Monatsblutung« verkauft wurde, über einschneidende Kindheitserfahrungen und seine sprunghaften, da nachvollziehbarerweise schwierigen ersten Sexkapaden bis zum Entschluss, einen Penoidaufbau vornehmen zu lassen. Glücklicherweise vermeidet Lötzerich dabei den Tritt in die Eskapismusfalle: In ›Hexenblut‹ findet keine Verklärung statt, schon gar keine romantisch entrückte. Er inszeniert sich einfach nur als Mensch, der auch um seine Fehler und Verfehlungen weiß.
Titelangaben
Suskas Lötzerich: Hexenblut
Wien: Luftschacht Verlag 2014
144 Seiten. 15,50 Euro
Reinschauen
| Blog des Künstlers