Comic | Mawil: The Singles Collection / Flix: Schöne Töchter
Von den ›Tagesspiegel‹-Sonntagsseiten in longplayergroße Sammelbände: Mawils ›The Singles Collection‹ und Flix‘ ›Schöne Töchter‹ belegen den hohen Standard einer recht überschaubaren deutschen Comic-Szene. CHRISTIAN NEUBERT ist in beide verliebt. In die Singles. Und in die schönen Töchter.
Seit 2006 gehen Mawils Comic-Kolumnen allmonatlich auf Heavy Rotation im Berliner ›Tagesspiegel‹. Auf der Sonntagsseite, im steten Wechsel mit denen von Tim Dinter, Arne Bellstorf bzw. mittlerweile Olivia Viehweg, und Flix. jüngst abgelöst von Marvin Clifford. Nun gibts die einzelnen Episoden geballt: in Form der bei Reprodukt verlegten Kompilation ›The Singles Collection‹. Die Werkschau hat nahezu das Format eines Musikalbums: Nur wenige Zentimeter trennen den quadratischen Band vom 12“-Format eines Langspielplattencovers. Eine gebührende Aufmachung für die Früchte eines ehrgeizigen Projekts.
Mawils ›The Singles Collection‹
Mawils gesammelte Singles sind augenzwinkernde Comics mit Punk-Attitüde: Persönlich, roh, direkt, gerne mit Kugelschreiber handgelettert, der Straße verpflichtet, zuerst übrigens den Radwegen – der Berliner Künstler ist Fahrradfan, hat sogar mal eine Episode als Suchaufruf nach seinem verschollenen Drahtesel gestaltet. Auch sonst zeigt er sich in den Einseitern vielseitig. Er experimentiert mit dem Raum, den er im Tagesspiegel zur Verfügung hat. Ein Schema F räumt er sich gar nicht erst ein.
Mawil pappt schon mal »Post Its« als begrenzende Panels auf einen Papierrahmen, gewährt Blicke in seine Reisebilderbücher, nimmt Rezeptblöcke her, wenn er vom Krankenbett aus an seinen Strips arbeitet. Und zeigt sich dabei als präziser Beobachter des Alltags. Seines Alltags, gerne auch aus den Augen seines knuddeligen Alter Egos Super-Hasi. Da nimmt er sich schon mal selbst als didaktisch unzureichenden Dozenten eines Comic-Workshops auf´s Korn. Beklagt die Kündigung seiner Wohnung wegen einer bevorstehenden Luxussanierung. Oder plaudert aus dem Nähkästchen, wie es in der Ateliergemeinschaft so läuft. Und auch, wenn sich Mawil kaum als Vertreter seiner Generation hernehmen lässt, porträtieren die Episoden zusammengenommen durchaus das Klientel der jungen Großstädter, deren Jugend heute gerne mal bis Mitte dreißig geht.
Die gesammelten One-Pager gehen übrigens über ein Best-Of hinaus: ›The Singles Collection‹ enthält auch B-Seiten und Hidden Tracks. Episoden zum Beispiel, deren Veröffentlichung abgelehnt wurde. Oder jene, die dem ›Tagesspiegel‹ für alle Fälle als »Notfallcomic« vorlag, aber nie zum Einsatz kam.
Flix‘ ›Schöne Töchter‹
Parallel zu ›The Singles Collection‹ kam bei ›Carlsen‹ die Kompilation ›Schöne Töchter‹ von Mawils Sonntagsseiten-Kollegen Flix heraus – im selben Format, ebenfalls als Comic gewordene LP. Doch während Mawil in seinen One Pagern stilistisch den scheppernden Fahrrad-in-der-Garage-Punk pflegt, hat sich Flix – bleiben wir bei der Analogie – eher dem Prog Rock verpflichtet. Wie dieser zeichnen sich Flix‘ Sonntagsseiten dadurch aus, dass sie ein zugrunde liegendes Motiv stilistisch weiterentwickeln.
Der Titel verrät es: ›Schöne Töchter‹ erzählt von Frauen. Und von ihnen ausgehend von der Liebe in all ihren Facetten, Spielarten und Stadien. Es geht um Beziehungen zwischen Alltag und Amore, um Sex und Sehnsucht, um Herzen und Hormone. Und um die Kluft zwischen den Geschlechtern, für die Flix einen geschulten und humorvollen Blick hat – und in denen sich wohl jeder Leser wiederfindet.
Auch Flix lotet die gestalterischen Möglichkeiten des Raums aus, der ihm zur Verfügung steht. Sein Vorgehen ist allerdings deutlich planmäßiger und kompositorischer als Mawils Unmittelbarkeit gegenüber der Form: Seine Layouts sind kunstfertige Reflexionen über die narrativen Möglichkeiten, die in und außerhalb der Panels liegen. Immer wieder bricht er lineare Erzählmuster, schafft kreisförmig arrangierte Short Storys. Oder solche, bei denen der Leser interaktive Räume betritt, in denen er selbst über den Verlauf der Geschichte entscheidet.
Klar stürzen sich nun manche lieber auf die ›Schönen Töchter‹ als auf die ›Singles‹, geben Mawil oder Flix den Vortritt. Eines aber haben beide Sammelbände gemein: Sie bezeugen, was Comicstrips leisten können. Und dass sich die deutsche Zeichner-Riege nicht verstecken braucht. Schön, dass man das beim ›Tagesspiegel‹ seinerzeit erkannte – und nicht den ausgelatschten Weg der lange etablierten Lizenz-Comicserien eingeschlagen hat.
Titelangaben
Mawil: The Singles Collection
Berlin: Reprodukt 2015
136 Seiten. 29 Euro
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Flix: Schöne Töchter
Hamburg: Carlsen 2015
128 Seiten. 24,95 Euro
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Reinschauen
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| Flix: Schöne Töchter – Leseprobe
| Mawil: The Singles Collection – Leseprobe